Nur der Umstand, dass es eine Seilbahn gibt, lässt vermuten, dass sich hinter den Felskuppen noch etwas versteckt, Oberleibnig, ein kleines Dorf auf 1.250 Metern mit an die 100 Einwohnern, die zur Gemeinde St. Johann im Walde gehören. Vielleicht liegt es an der Abgeschiedenheit, dass sich um den Ort viele Geschichten ranken, etwa jene, dass die Oberleibniger 1809, als die französischen Truppen durch das Iseltal zogen, ihr Kirchlein mit Bäumen verdeckten und so niemand auf die Idee kam, dass sich hinter den Felsen, auf einer sonnigen Terrasse, eine bäuerliche Siedlung befinden könnte. Auch um die Kapelle selbst rankt sich eine Sage: Man sagt, die Oberleibniger hatten sie ursprünglich mitten ins Dorf gebaut. Die Heiligenbilder hängte man während des Baus an einen Baum – dort, wo die Kapelle heute steht. Als man die Bilder holte, verschwanden sie zweimal über Nacht und hingen morgens wieder an jenem Baum. Darauf packte die Leibniger der Zorn und sie warfen die Tafeln den Kofel hinunter. Dieser heißt bis heute im Volksmund der „Heiligenkofel“.
Für diese Untat aber sollten sie bitter büßen. Zur Strafe musste es von nun an immer einen „Krummen“ auf Leibnig geben. Die Wurzeln jenes Baumes aber, die gehen noch immer alljährlich in Saft. Auch heute gibt es noch einiges von Oberleibnig zu erzählen, allem voran die Geschichte der Seilbahn. Früher war das Tal schwer und nur zu Fuß erreichbar. Hinunter musste man vor allem zur Heiligen Messe, und das nicht nur sonntags, und die Kinder mussten in die Schule. Später wurden sie in einer Bauernstube im Dorf unterrichtet und erst in den 1950er Jahren bekam Oberleibnig eine eigene Schule, die 1981 wieder geschlossen wurde. Eine Materialseilbahn gab es, wie anderswo, schon lange, auch Personen wurden transportiert. Wenn derjenige, der sie vom Berg aus bediente, nicht gar zu viel bremste, war man in etwas turbulenten drei Minuten unten im Tal.
Heute braucht man zehn Minuten. 1965/66 wurde eine sogenannte Hauptseilbahn errichtet, eine öffentliche Seilbahn nach dem Eisenbahngesetz. Die Erhaltungskosten stellten sich bald als zu hoch heraus, weshalb 1977 eine „landwirtschaftliche Materialseilbahn mit Werksverkehr“ beschlossen wurde. Personen waren zugelassen, allerdings mit eingeschränktem Benützerkreis. Von Maschinen über Schafe bis hin zu Bischof Kothgasser wurde seitdem so ziemlich alles transportiert, nur das Gesetz ist nun ein anderes, das Güter- und Seilwege-Landesgesetz. Um den Benützerkreis laut diesem Gesetz festzulegen, wurde die Bringungsgemeinschaft St. Johann/Oberleibnig gegründet. Alle Mitglieder sind berechtigte Benützer.
Die landwirtschaftliche Materialseilbahn mit Werksverkehr ist bis heute eine Besonderheit. In Nordtirol gibt es nur fünf davon, in Osttirol immerhin zwölf, manche Ortschaften besitzen mehrere, wie Hopfgarten, Matrei oder Virgen. Die jüngste steht in Amlach und führt seit 2011 auf die Kerschbaumeralm.
1999 wurde die Bahn nach Oberleibnig auf den aktuellen technischen Stand gebracht und mit neuen Kabinen ausgestattet. Vereinsobmann Franz Stemberger erzählt, dass die Oberleibniger damals recht unglücklich waren und die neuen Kabinen als „Glump“ abtaten. Die alten lagern aus Nostalgie bis heute in der Talstation und die neuen waren zunächst tatsächlich „a Glump“, hatte man doch vergessen, die Befestigungsösen für Särge anzubringen! Zehn Jahre später wurde auf Automatikbetrieb umgestellt. Otto Moroder von der Agrar Lienz, die die Bahn betreut, befürchtete Konflikte wegen des großen Benützerkreises in Oberleibnig (mit 100 Personen tirolweit der größte), doch man arrangierte sich gut.
Heute müssen nur noch die Schulkinder per Maschinistenbetrieb ins Tal gebracht werden, weil diese schneller fahren und dies nur unter Aufsicht von Maschinistin Maria Stemberger geschehen darf. So geht die Bahn im Automatikmodus 2,5 Meter pro Sekunde, im Maschinistenbetrieb satte 4 Meter pro Sekunde. Vier Mal pro Tag nimmt Maria Stemberger die Seilbahn für die Schulkinder in Betrieb und transportiert elf Volks- und Hauptschüler, zwei Kindergartenkinder und einige Größere. Außerhalb der Schulzeit dürfen die Kinder mit Hilfe eines Schlüssels alleine mit der Bahn fahren.
Wer sonst noch einen Schlüssel bekommt, für 100 Euro im Jahr übrigens, ist streng geregelt. Inzwischen dürfen auch die „neuen Häuslbauer“, die keine Landwirte sind, einen Schlüssel haben, aber die Weitergabe an Nicht-Berechtigte ist strengstens verboten. Die Gondel wird heute stärker benützt als früher, man will ja nicht nur wegen der Messe oder der Schule hinunter ins Tal. Auch bei Versammlungen, Musikproben oder einem Fest wird gerne auf das Auto verzichtet. Um zu einer Veranstaltung ins Nachbardorf oder in die Stadt zu kommen, brauchen die Oberleibniger kein Auto, dank Bus und Seilbahn. So mancher auf der gegenüberliegenden Bergseite beneidet die Oberleibniger um ihre Gondel. Dass es sie gibt, verdanken sie ihren Kindern. Nur mit den Fördergeldern für die Schulkinder ist der Seilbahnbetrieb finanzierbar. Um ihre Zukunft muss man sich keine Sorgen machen. Im Gegensatz zu anderen Bergdörfern wächst Oberleibnig – das mag auch an der Gondelbahn liegen. So wird manchmal schon darüber nachgedacht, das ehemalige Schulhaus abzureißen und an seiner Stelle einen Wohnblock zu errichten.
Technische Daten zur Seilbahn |
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System: zweispurige Zweiseilpendelbahn |
Schiefe Bahnlänge: 1 310 Meter |
Höhenunterschied: 496 Meter |
Stützenanzahl: 3 |
Nutzmasse: 6 Personen oder 480 Kilo |
Geschwindigkeit: maximal 40 Meter pro Sekunde |
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