„Ich hatte schon immer eine große Sehnsucht in mir, etwas zu finden, mit dem ich mich ausdrücken kann“, erzählt die freischaffende Künstlerin Gabriela Oberkofler, deren Weg zur Kunst alles andere als vorgegeben war: „Mit 14 wusste ich ja noch nicht einmal, dass man Kunst studieren kann.“ Zusammen mit ihren fünf Geschwistern ist die Südtirolerin in einer dörflichen und landwirtschaftlichen Umgebung aufgewachsen. Geprägt hat sie aber vor allem der Kontakt mit dem Fremden, denn sie stammt aus einer traditionellen Gasthofs-Familie, die zahlreiche Urlauber:innen aus verschiedensten Regionen beherbergte. „Es kamen etwa Damen aus Rom oder aus Mailand angereist, trugen üppige Kleider und roten Lippenstift. Sie zu beobachten, das war für mich wie im Film. Diese selbstbewussten Frauen, die um die Welt kamen und Geschichten zu erzählen hatten. Sie weckten in mir den Wunsch, auch etwas aus meinem Leben zu machen, vor allem in beruflicher Hinsicht.“
Das Kunstgeschichte-Studium hat sie erstmal in die Kleinstadt Innsbruck verschlagen. Danach folgte eine Ausbildung als Kunsttherapeutin. Und so markierte der Sozialbereich die erste berufliche Station von Gabriela Oberkofler. Erst im Alter von 28 Jahren hat sie sich in der Kunstakademie eingeschrieben und ihren eigenen künstlerischen Weg aufgenommen. „2009 habe ich die Entscheidung getroffen, mich hauptberuflich der Kunst zu widmen. Das war ein Risiko – damals konnte ich noch überhaupt nicht von der Kunst leben. Doch es ist gut gegangen“, schildert Oberkofler, die dennoch weiterhin von ihrer jahrelangen Erfahrung als Therapeutin profitiert: „Es war auf jeden Fall eine Lebensschule. Ich weiß nicht, ob man Emphatisch-Sein lernen kann, aber ich glaube, das habe ich mitgenommen: Die Fähigkeit, mich auf andere Menschen einzulassen.“
Die zwischenmenschliche Kommunikation ist ein Schlüsselelement des künstlerischen Schaffens von Gabriela Oberkofler, die mittlerweile ihren Hauptwohnsitz in Stuttgart hat. „Wieder ganz aufs Land zurückzuziehen, könnte ich mir nicht vorstellen“, meint sie, „an der Stadt lässt sich mehr ablesen, wie es einer Gesellschaft gerade geht – wie es uns gerade geht. Da passiert so viel. Es entstehen neue Projekte und Initiativen. Diese Entwicklungen zu beobachten, das interessiert mich einfach.“
Trotzdem arbeitet Oberkofler gerade an einem großen Projekt in der ländlichen Südtiroler Gemeinde Jenesien – „groß“ im wortwörtlichen Sinne, handelt es sich dabei um einen jahrhundertealten bäuerlichen Hof im Ausmaß von rund 300 Quadratmetern, den die Künstlerin kürzlich zusammen mit ihrer Schwester geerbt hat. Dort soll mit kommendem Herbst ein Kulturzentrum entstehen, was in Anbetracht der Geschichte des Gebäudes Sinn mache. So sei das Bauernhaus, das einige Zeit dem Kloster gehörte, ein Treffpunkt unterschiedlichster Bevölkerungsschichten gewesen – von sozial schwächeren Familien, denen dort eine temporäre Unterkunft gewährt wurde, bis hin zu Bällen, Hochzeiten und anderen Festen, die dort stattgefunden haben. Dieser Aspekt des Zusammenkommens und Sich-Austauschens soll wieder belebt werden. Die Eröffnung des Kulturzentrums ist für Anfang September geplant, begleitet von einer Kunstausstellung.
Zudem will Gabriela Oberkofler an diesem Standort ein „Institut für alternative Landwirtschaft, zeitgenössische Kunst und Leben in der Peripherie“ errichten. „Ich glaube, dass die Landwirtschaft gerade in einer Krise steckt. Und mich berührt das zutiefst, dass die Bauern vor so großen Herausforderungen stehen.“ Aber auch das mit der Landwirtschaft verbundene Thema des permanenten Wachstums interessiert die Künstlerin, die sich zugleich auch als Bäuerin bezeichnet: „Wir alle wachsen ja die ganze Zeit weiter, wie alles um uns herum – es geht mir darum, menschliches Leben in Relation zu setzen mit dem pflanzlichen, dem permanenten Werden und Vergehen.“
Die Natur hat die Künstlerin schon immer begleitet: „Dieses Gefühl des Verbunden-Seins mit etwas – das ist es, was mein Wesen ausmacht“. Für ihre aktuelle Ausstellung „Api étoile – ein wachsendes Archiv“ in der Villa Merkel Galerie in Esslingen hat sie ein Samenarchiv kreiert, bei dem sie Saatgut von Nutzpflanzen aus unterschiedlichsten Teilen der Welt sammelte und ausstellte. Das Künstlerische daran? „Für mich zeigt es, dass die Welt wie eine Pflanze gesehen werden könnte – oder besser: wie ein zusammenhängendes System vieler unterschiedlicher Pflanzen“. Ausschlaggebend sei vor allem das intelligente Kommunikationssystem von Pflanzen und anderen Lebewesen. „Dieses lässt sich wiederum auf die Gesellschaft übertragen: Jeder Akteur beeinflusst den anderen, hat Konsequenzen auf den anderen.“
Ob es eine Pflanze gibt, von der die Künstlerin am meisten angetan ist? „Zurzeit sind es für mich die Moose. Sie sind Indikatoren dafür, wie es einem Ökosystem geht. Sie können Feuchtigkeit aufnehmen und abgeben – wenn Moose trocken sind, ist das kein gutes Zeichen. Aber sie verfügen über eine wahnsinnige Überlebensstrategie: wenn es regnet, werden sie wieder lebendig. Außerdem gehen sie viele Lebensgemeinschaften mit anderen Tieren und Pflanzen ein. Sie sind wie ein Teppich, den man auslegen kann und der dann alles Mögliche anzieht.“
Gabriela Oberkoflers Kunst ist Spiegel der Gesellschaft – und was sie mit ihren Werken zeigt ist, was wir von der Natur lernen können. Es lohnt sich also, genauer hinzusehen und natürliche Prozesse bewusster wahrzunehmen.
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