Versteckt liegt das Haus von Kurt Reiter auf dem Hang schräg gegenüber vom Bahnhof Thal. Von Lienz aus kommend lässt es sich von der Straße aus zwischen den Bäumen gar nicht entdecken. Das Haus schmiegt sich in die Natur ein, fast so, als wolle es die Naturverbundenheit seiner Bewohner nach außen tragen.
Unsere Gastgeber Kurt und seine Frau Luise empfangen uns herzlich zwischen den wildwachsenden Blumen im Garten und nehmen uns über eine Holzstiege mit in den Wohnbereich. Wie viele schwere Bergstiefel mögen hier schon auf und ab gerannt sein? Eine unzählbare Aufgabe, wie wir während des Gesprächs mit den beiden herausfinden.
Wenn Kurt Reiter von seiner Leidenschaft erzählt, dann blitzen seine Augen, fast wie wenn sich die Sonnenstrahlen zwischen den Wellen in einem Bergsee spiegeln. Woher die Faszination für die Bergwelt kommt, weiß der 80-Jährige selbst nicht so genau. Er erinnert sich aber noch gut daran, wie er als junger Bursche mit elf Jahren seinen Vater zum ersten Mal zum Sichelsee im Kristeinertal begleitet hat. Die beiden nahmen den beschwerlichen „Hatscher“ von der Talsohle in Mittewald zum hochgelegenen Bergsee auf 2497 Metern in Angriff, Kurts Vater wollte einige Seesaiblinge aus diesem Gewässer angeln.
„Inwieweit dieser Marsch ins Gebirge in mir die Sehnsucht zum Bergsteigen ausgelöst haben mag, kann ich nicht beurteilen. Es war jedenfalls ein eindrucksvolles Erlebnis in meinem jungen Leben“, meint Kurt.
„Mir wurde bewusst, dass das Bergsteigen derart viel an Schönem bietet, das man bei keinem anderen Hobby erleben kann.“
Bis der junge Kurt dann allerdings endgültig zu einem begeisterten Bergsteiger wurde, sollten noch einige Jahre vergehen. „Erst als ich im Jahr 1973 Gründungsmitglied eines kleinen örtlichen Bergsteigerclubs namens ‚Arnsteiner‘ wurde, nahm mich die Bergsteigerei endgültig gefangen. Es wurde mir bewusst, dass das Bergsteigen derart viel an Schönem bietet, das man bei keinem anderen Hobby erleben kann.“ Natürlich, so Kurt, müsse man mit allen Sinnen, die einem Menschen zur Verfügung stehen, den Weg ins Gebirge wahrnehmen, wo tausend wunderbare Dinge zu erfassen und zu beobachten seien.
Doch einfach nur ins Gebirge auszuschweifen – das war Kurt zu wenig. Laufend überlegte er sich neue Ziele und Projekte. So hat er nicht nur 100 Bergseen in Osttirol und der Umgebung durchschwommen, sondern auch alle Osttiroler Gipfel mit über 3000 Metern Seehöhe bestiegen und gemeinsam mit einem Arbeitskollegen den Bezirk in 26 Tagen umrundet – und das 20 Jahre bevor „Osttirol 360˚“ ein Thema wurde.
„Ich bin ja nicht Sklave von Haus und Garten.“
„Ich durfte viel Freiheit genießen“, sagt Kurt mit einem Blick zu seiner Frau Luise. „Wir haben fünf Kinder und ich musste den Haushalt führen“, meint sie. Trotzdem begleitete Luise ihren Mann auf vielen seiner Touren. Besonders seit die Kinder außer Haus sind, ist sie mit einer mindestens gleich großen Begeisterung wie ihr „Kurtl“ in den Bergen unterwegs. „Ich bin ja nicht Sklave von Haus und Garten“, schmunzelt die pensionierte Volksschullehrerin.
Die silberne Hochzeit feierte das Ehepaar auf dem Mont Blanc und auch zwei gemeinsame Bergprojekte haben sie noch offen: Sechs der „Seven Summits der Alpen“ – zu denen der Mont Blanc genauso zählt wie der Großglockner oder der Gran Paradiso in Italien – haben die beiden schon gemeinsam bestiegen. Die Vordere Grauspitze (Liechtenstein) würde ihre Serie komplettieren. „Das schaffen wir auch noch“, meinen die beiden. Unwahrscheinlicher sieht Kurt das Ziel, die höchsten Berggipfel aller Berggruppen in Österreich zu besteigen: „Da würden noch einige herausfordernde Gipfel vor uns liegen.“ Doch im Hinblick auf die bisherigen Erfolge des rührigen Ehepaars wirkt auch dieses Ziel nicht ganz abwegig.
Auch als Kurt die Idee für sein „Bergseeprojekt“ kam, war Luise an seiner Seite: „Wir rasteten gerade am traumhaften Degenhornsee auf 2731 Metern im Deferegger Gebirge, als mich der Wunsch überkam, in solch klaren Gewässern zu schwimmen.“ Von seinen Bergfreunden wurde er anfangs noch belächelt, doch Kurt setzte seinen Plan durch.
Schnell war klar, dass sein Projekt ohne einen Neoprenanzug und Flossen nicht möglich sein würde. Außerdem stellte Kurt einige Regeln auf, nach denen seine „Bergsee-Schwimmerei“ ablaufen sollte: In jedem See wollte er zumindest eine halbe Stunde lang schwimmen. Nebenbei sollte „das Spiel mit dem Wasser“, wie er es nennt, dem Gipfelglück nicht den Rang ablaufen und so war ein bestiegener Gipfel vor oder nach dem Schwimmen immer ein Muss.
1995 war es dann soweit und Kurt wagte seinen ersten Sprung ins kühle Nass am Wetterspitz-Schwarzsee im Kristeinertal. Der erste Sprung, dem noch 99 weitere bis ins Jahr 2013 folgen sollten.
„Ursprünglich wollte ich alle 160 Osttiroler Bergseen durchschwimmen, wie sie Walter Mair in einem seiner Bücher aufgelistet hat. Da viele davon aber zu klein oder zu wenig tief sind, bin ich vom ursprünglichen Plan etwas abgewichen und habe nebenbei die schönsten und größten Bergseen der umliegenden Bundesländer und Südtirol mit dazu genommen“, erzählt Kurt.
In seiner Sammlung finden sich mit dem Dorfersee und dem Wolayersee nur zwei Bergseen, die knapp unter 2000 Metern Seehöhe liegen. Der höchstgelegene damals bekannte See, den Kurt durchschwommen hat, ist der Mittagsee im Kleinbachtal (Prägraten) auf 2840 Metern. „Möglich, dass es inzwischen auch höher gelegene Seen über 3000 Metern in Osttirol gibt, durch die Gletscherschmelze entstehen immer wieder neue Gewässer.“
Highlights für den 80-Jährigen waren auch das Schwimmen im Mur- und im Innursprung. Einen Lieblingssee kann und mag er allerdings nicht nennen, „ich will ja keinen beleidigen.“
Nicht immer konnte er in jedem See gleich beim ersten Versuch schwimmen gehen. „Ich war meistens im Oktober unterwegs, manche waren um diese Zeit dann schon zugefroren.“ Die meisten Seen wiesen bei Kurts Schwimmrunden Temperaturen von drei bis vier Grad Celsius auf, den Laserzsee in den Lienzer Dolomiten durchschwamm er bei nur einem Grad Celsius. Verglichen damit weist der Tristacher See mit seinen derzeitigen 22 Grad fast Badewannenwassertemperaturen auf. Davon konnte Kurt bei seinen Ausflügen nur träumen, der wärmste Bergsee in seiner Sammlung ließ das Thermometer auf frische 14 Grad steigen.
„Irgendwann wird man halt doch zu alt.“
Vor sieben Jahren hat der ehemalige Bankbeamte dann sein „Seeprojekt“ mit dem 100. Bergsee abgeschlossen. „Irgendwann wird man halt doch zu alt“, schmunzelt er.
Neben dem Berggehen hat Kurt Reiter noch eine weitere große Leidenschaft: In mühevoller Detailarbeit hält er all seine Erinnerungen in großen Fotoalben fest. In sauberer gerader Handschrift reiht sich in seinen Alben ein Buchstabe nach dem anderen zwischen den Fotos ein, Tourendaten und schöne Erlebnisse werden genauso dokumentiert wie die Bergblumen, die das Ehepaar auf seinen Wanderungen entdeckt.
Eine Dokumentation von hundert Bergseen und unendlich viel Gipfelglück für die Ewigkeit.
3 Postings
Herzliche Gratulation wünsch ich dir lieber Kurt und deiner lieben Frau Luise zu zu diesen Erlebnissen. Schönere Erinnerungen im betagten Alter gibt es wohl kaum. Bin zufällig erst heute (12.03.21) auf deine netten Erzählungen bzw. Erlebnisse gestoßen. Vollen Respekt !! Weiterhin viel Gesundheit euch beiden und der ganzen Familie !
Lieber Kurt nochmals vielen Dank für die wünderschönen Fotos "Alpenflora Kerschbaumeralm"die Du in mühevoller Arbeit gemacht hast. Eder Sepp
http://www.kerschbaumer-alm.com/page-4/index.php
Ein ganz tolles Buch vom Kurt, wunderschöne Bilder. Ich schaue es immer wieder gerne an! Herzlichen Glückwunsch an Kurt, möge er mit seiner Luise noch viele schöne Bergerlebnisse genießen können!
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