Heidrun Sandbichler, "Der Krieg", Foto: Claudio Abate

Heidrun Sandbichler, "Der Krieg", Foto: Claudio Abate

Vom Wagnis,
weise zu sein
Vom Wagnis, weise zu sein
Berückend poetisch, rätselhaft und zugleich sehr präzise auf Fragen zum Zustand unserer Gesellschaft gerichtet: Die Kunst von Heidrun Sandbichler erfordert genaues Hinschauen. Wer das tut, wird reich belohnt.

In einem Kunstbetrieb, der neben dem Werk allzu gern auch das Persönliche, besser noch die „Personality“ seiner UrheberInnen in die Auslage stellt, ist es selten geworden, dass sich jemand solchen (Markt)mechanismen konsequent entzieht. Heidrun Sandbichler ist so jemand. Nicht ihre Person, sondern ihre Arbeiten sollen im Zentrum der Auseinandersetzung stehen. Weshalb die 1970 in Innsbruck geborene Künstlerin, die gerade mit dem Tiroler Landespreis für zeitgenössische Kunst 2020 ausgezeichnet wurde, am liebsten ihren Werken die Bühne und das Sprechen überlässt.

Die stille Zurückhaltung, die die Künstlerin auch an den Tag legt, wenn man ihr persönlich begegnet, spiegelt sich in ihrer Kunst unübersehbar wieder. Doch so rätselhaft Sandbichlers Installationen, Skulpturen, Zeichnungen, Architekturmodelle und Fotoarbeiten auf den ersten Blick oft erscheinen mögen, so vielschichtig sind die Bezüge – etwa zu Philosophie, Kunst- und Medizingeschichte, den Idealen des Humanismus und den Miseren unserer Zeit -, die sich darin eröffnen.   

Heidrun Sandbichler: Modell für ein Denkmal, Hutschenreuther Porzellan. Foto: Claudio Abate
Heidrun Sandbichler: Arche Noah, 2016. Foto: WEST.Fotostudio

Wenn die Künstlerin eine mit Tinte gefüllte Spritze in eine Glasvitrine legt, ist das das poetische Destillat ihrer intensiven Auseinandersetzung mit der Schrift, diesem Archiv des Wissens, das sowohl Impfstoff gegen als auch Infektionsherd für geistige Epidemien sein kann. Es braucht dafür heute ja mitunter nur die 140 Zeichen eines Tweets. Doch an verknappten Botschaften ist Sandbichler nicht interessiert.  Aus einer Vielzahl an „Quellen und Verweisen“, so auch der Titel einer ihrer jüngsten Ausstellungen in Tirol, entstehen vielmehr Parabeln über das widerständige Potenzial des Geistes gegen Manipulation, Machtmissbrauch, den drohenden Verlust von Errungenschaften wie Freiheit, Menschen- und Bürgerrechten.

Zu denen auch das Recht zu Denken und zu Wissen gehört, das einem fragilen Elfenbeintürmchen eingeschrieben zu sein scheint: Es entpuppt sich bei näherer Betrachtung als das Fragment eines gewöhnlichen Alltagsobjekts, konkret eine Wäscheklammer. Mit „Wage es, weise zu sein“ ruft Sandbichler anderswo den Leitspruch der Aufklärung in Erinnerung oder schreibt „The New Colossus“ auf eine Werbetafel vor dem Innsbrucker Hauptbahnhof. „Gebt mir eure Müden, eure Armen (…) schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen“, heißt es im gleichnamigen Sonett der jüdischen Dichterin und Humanistin Emma Lazarus, das seit 1903 auf einer Bronzetafel im Inneren des Sockels der New Yorker Freiheitsstatue zu lesen ist.

"The New Colossus", das Sonett von Emma Lazarus auf einer Werbetafel vor dem Innsbrucker Hauptbahnhof 2019. Foto: Miro Kuzmanovic
Heidrun Sandbichler: Eine Arbeit zur allgemeinen Theorie der Dressur. Foto: Miro Kuzmanovic

„Trümmerfelder der Humanität sind immer Trümmerfelder der Freiheit“, notierte die Künstlerin zu ihrer Intervention am Bahnhof, einem Ort des ständigen Ankommens und Abreisens. Nach wie vor beklemmend aktuell wirkt auch ihre „Arche Noah“ von 2016, ein mit schwarzer Tinte gefülltes, altes Plastikschiff, das auf klarem Wasser dahindümpelt. Seine Ladung tariert den Kahn aus, könnte ihn aber auch zum Kentern bringen. Wenn das geschähe, welche Botschaft würde die Tinte in schwarzen Schlieren ins Wasser schreiben? „Das Boot ist voll“ vielleicht?

Seit vielen Jahren lebt und arbeitet die studierte Kunsthistorikerin in Rom, einer Stadt der unzähligen historischen Schichten. Hier begann auch die für sie wichtige Zusammenarbeit mit dem 2017 verstorbenen Fotografen Claudio Abate, der eine zentrale Figur der Arte-Povera-Bewegung und der fotografische Wegbegleiter von Jannis Kounellis war.

Eine Glasvitrine, einen Fingerbreit hoch mit Tinte gefüllt: "o.T.", 2019. Foto: TLM/Johannes Plattner
Schrift und die Macht der Manipulation: Statt dem namensgebenden Schriftzug "New York Stock Exchange" schreibt Sandbichler einen Ausspruch von Benito Mussolini auf ein Modell des Börsengebäudes: "o. T.", The New York Stock Exchange, Modell hergestellt von Timothy Richards. Foto: WEST.Fotostudio
Heidrun Sandbichler: "Tintenfirmament", 2013. Fotografie mit Tinte überarbeitet. Foto: Sandbichler

„Der Krieg“ ist bei Sandbichler eine rostige Rasierklinge, das Skelett eines Hasen verweist auf Joseph Beuys, eine Gitterskulptur wird zur scheinbar rotierenden Überwachungs- oder Isolationsmaschine und der einen Fingerbreit hoch in eine Glasvitrine gefüllte Tintensee zum Ozean der verlorenen Erinnerungen. Die Poesie, mit der sich die Künstlerin auch brandaktuellen politischen und gesellschaftlichen Fragen nähert, lässt einen immer wieder staunend zurück. Ihre Arbeiten waren in zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen zu sehen, 2016 erhielt Sandbichler den Preis der Innsbrucker Kunst-Biennale „Innsbruck International“, spätestens der Landespreis sollte nun eigentlich auch Anstoß für eine längst fällige, museale Einzelpräsentation in ihrer Heimat sein.

Credits
  • Autorin: Ivona Jelčić

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