Vo weme
bische denn?
Vo weme bische denn?
Eine Grenzland-Erinnerung von Marcus G. Kiniger.

Als ich komme, um als Kind zu bleiben und als Erwachsener zu gehen, weiß ich noch nichts von der Grenze. Von den Grenzen. Den Naturgegebenen und den Menschgemachten. Einzig sichtbar die des Waldes, der zu den Gipfeln hin an Kraft und Höhe und Farbe verliert. Darüber Himmel, stahlblau bis blitzzuckend grün, scharf geschnitten vom Karnischen Kamm.

Von der Grenze entlang des Grats erfahre ich fern aus Erzählungen. Der Krieg, der sie hinterlassen hat, nimmt erst mit zunehmendem Alter Gestalt an. Zuerst aber höre ich Geschichten statt Geschichte. Über weggesprengte Gipfelsiege und ein verloren gegangenes Kaiserreich und Helden auf einer Seite, der richtigen, der unsrigen. Auf der anderen Seite Verräter. Bis ich walsch von falsch unterscheiden kann, dauert es.

Ich will auch Held sein, bastle aus einem Brett ein Gewehr, will es am Sonntag in die Kirche mitnehmen, so wie die Schützen, die es bei den Prozessionen krachen lassen. Im Pulverdampf kreischen Mädchen, Kinder weinen und das Herz springt vor Schreck lustvoll in die Höhe. In Ewigkeit Amen.

Die Ewigkeit bröckelt. „Gebenedeit-sei-sie-unter-den-Weibern“ sagten sie, die in der Kirche links knieten und Kopftuch trugen, während die Männer rechts standen und ihre Hüte in den Händen hielten. Heute stehen Frauen auch auf der rechten Seite, gerade noch die ganz alten tragen Kopftücher und zur Prozession Jungferntracht, und die Männer tragen keine Hüte, und sie sitzen nicht mehr im Männerchorgestühl, wo sie Karten gespielt und geraucht haben. Der Priester sagt: „Gebt Euch ein Zeichen des Friedens.“ Hände werden geschüttelt und Sätze gemurmelt. Schwer zu verstehen.

„Vo weme bische denn?“ verstehe ich am Anfang nicht und dann zum Glück doch und sage mit meiner Wiener Kinderstimme den Hausnamen und wer mein Vater sei und werde dadurch „in Huita Seppilan sei Bui“ und darf irgendwie dazu gehören, weil unser Haus schon da war, bevor ich da war. Hausnamen gab es nicht, wo ich herkam, aber da, wo ich hinkam, sind sie bis heute wichtig.

Strutzer-Pricher-Schaller-Huiter-Zacher-Katzer-Leller-Peißer-Palla.

Wer keinen hat, bleibt fremd. „Hosche Fremde?“, eine seltsame Frage, die wenig gastfreundlich klingt, mit der auch nach Deutschen gefragt wurde, als Italiener, Walsche, noch keine Gäste waren, und die Grenze dicht und Speck geschmuggelt wurde, mehr aus Tradition als aus Notwendigkeit. Heute ist der Speck keimfrei in Plastik verschweißt und genormt, Italiener sind gern gesehene Gäste und Fremdenverkehr sagt man nicht mehr. Jetzt heißen Fremde Gäste und Wirte Touristiker. In der Neuen Mittelschule, wie sie die alte Hauptschule nennen, lernen die Schüler Italienisch und Vermieter bemühen sich in Kursen um professionelle Gastfreundschaft.

Als ich ging, kannte ich die erwachsenen Grenzen. Die, die sich bei ihrer Überschreitung auflöstendie; die Lebensräume auflösten und der Grund zum Gehen sind.

Gekonnte Gastfreundschaft erleben Verwandte und Freunde und Freunde von Verwandten, vom Berg, aus einem anderen Tal, „ober“ – jenseits der Staatsgrenze. Für sie gibt es Suppe und Brot und Wein und Schnaps und Milchkaffee mit Haut drauf und einen Platz auf der Ofenbank. Geschichten werden mitgebracht über Sonnseite, Schattseite, Obermarktl, Untermarktl, Stadtner, Villgrotta, Mottinga, Walsche. Im Brustton der Überzeugung vorgetragene Selbstversicherung, die
klar machen soll, dass die Welt so sei, genau so, nicht anders, und sich auch niemals ändern würde. Der Oberländer geizig, der Iseltaler verschwenderisch, der Villgrater so, der Tillga anders, der Stadtner hochnäsig. Und erst die über, „ober“ der Grenze. Se-wasche-wo/-he-mogsche-wo-wissen/-loppe-na-jo.

Als ich ging, kannte ich die erwachsenen Grenzen. Die, die sich bei ihrer Überschreitung auflösten, die, die Lebensräume eng machen und Grund zu gehen sind, einzig anziehend die Natürlichen, die mich wiederkehren lassen. Sie öffnete sich, die Grenze. Und jetzt wollen sie manche wieder schließen. Als ob die alten Zeiten wirklich gute gewesen wären.

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