Wenn am 29. April an der Durst-Straße im Industriegebiet Peggetz die Raiffeisen-Genossenschaft Osttirol mit einer großen Zuchtschau ihre neuen Hallen öffnet, wird ein Stück Lienzer Stadtgeschichte versinken. Jenes, das die Dolomitenstadt auch als „Bauernstadt“ definierte, als eine Stadt, die noch vor wenigen Jahrzehnten sehr ländliche Züge hatte. Der „Rindermarkt“ an der Beda-Weber-Gasse heißt nicht von ungefähr so und auch der „Stegergarten“ an der Tiroler Straße war in den vierziger Jahren Versteigerungsgelände. Am 15. September 1960 fiel zum ersten Mal der Hammer in der Versteigerungshalle an der Nußdorferstraße, in der bald auch die Fäuste flogen. Die Arena war nicht nur Kühen vorbehalten, sondern auch Austragungsort für die Turniere des Lienzer Boxclubs und für manches legendäre Rockkonzert.
Knapp 40.000 Tiere wechselten seit den sechziger Jahren mitten in Lienz ihren Besitzer. 16 Mal wird pro Jahr gesteigert, je sieben Mal Zuchtrinder und Mastvieh, zwei Mal kommen Schafe unter den Hammer. Wer eine Kuh kaufen möchte, muss dafür etwa den Preis eines erstklassigen Mountainbikes kalkulieren. 1.700 Euro ist der Durchschnittspreis, den man derzeit für eine gutmütig wiederkäuende Rinderdame hinblättern muss. Wir hatten – als ahnungslose „Stadtner“ – ja immer schon den Verdacht, dass so eine Fleckviehversteigerung irgendwie die Züge einer Misswahl trägt. Im Gespräch mit Thomas Diemling, Geschäftsführer der Raiffeisengenossenschaft Osttirol und Langzeitauktionator Christoph Peintner bestätigt sich dieser Eindruck.
Auf dem Laufsteg der Eitelkeit zählt auch in der Welt der Tiere das Äußere oft mehr als innere Werte. Nicht weil sie gutmütig ist, wird die Kuh gekauft, sondern weil der „Busen“ passt!
Klar soll die Gute zeitlebens viel Milch geben und am Ende ein zartes Steak, aber die Einkäufer am „Cowwalk“ in der Lienzer Versteigerungshalle lassen sich auch von der Optik verführen. Das ist wissenschaftlich erhärtet, immerhin – so plaudert Peintner aus der Schule – gebe es sogar eine Diplomarbeit, die eine Relation zwischen der Farbe der Kuh und ihrem Preis nachweisen kann. Fazit: Rothaarige sind teurer als Blondinen. Christoph Peintner hat Zigtausende Rinder versteigert und erinnert sich an echte Käuferrallyes: „Wenn sich ein Bauer ein Vieh einbildet, dann kann das teuer werden.“ Wichtig ist neben der Schönheit klarerweise auch der Stall, aus dem die Kuh kommt. Die Osttiroler „Fleckviehgenetik“ hat einen ausgezeichneten Ruf. Die gefleckten Mädels, die vorwiegend im hinteren Iseltal, in Prägraten, Virgen und Matrei aufwachsen, aber auch aus dem Defereggental und dem Villgratental kommen, geben nicht nur viel gute Milch, sondern bestechen auch durch zartes Fleisch und sind obendrein gute Mütter. Diese Vielseitigkeit ist es, die eine typische Osttiroler Kuh begehrlich macht, vor allem für Käufer aus Südtirol und Oberitalien. So sitzen auf den vorderen Rängen der betagten Halle meist die Großeinkäufer von jenseits der Grenze.
77% aller Tiere, die an der Nußdorferstraße ihren Besitzer wechselten, übersiedelten gleich nach dem Kauf nach Italien, etwa ein Viertel davon nach Südtirol, der Rest nach Oberitalien. Je nach Herkunft des Käufers offenbaren sich auch hier unterschiedliche Vorlieben. Übersiedelt die Kuh beispielsweise ins Piemont, sollte sie noch ihre Hörner haben.
Und so liest sich die Erfolgsmeldung von der letzten Versteigerung im Fachjournal der Züchter: „Das teuerste Tier, eine ausdrucksstarke Montbeliarde-Kalbin, stammt aus Virgen. Sie überzeugte mit sehr viel Länge, einem perfekten, trockenen Fundament und einem wunderbaren Euterspiegel.“ 2.300 Euro musste der Kärntner Käufer für die Schöne hinblättern.
Das teuerste jemals in Lienz versteigerte Tier war übrigens kein Rind, sondern ein Widder, der satte 5.000 Euro einbrachte.
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