Am 20. April 2017 feierte Josef „Pepi“ Stiegler seinen Achtziger. Er ist der Berühmteste seiner Familie und in Osttirol noch heute ein Held. Redet man über Olympia – wie im Oktober bei der Volksabstimmung – dann fällt sehr oft auch der Name Pepi Stiegler. Und fast alle wissen, wo der Pepi zu Hause ist und was er jenseits des Atlantiks aufgebaut hat, in der neuen Welt und der neuen Heimat, in Jackson Hole. Pepi Stiegler und Jackson Hole, das ergibt eine gemeinsame Geschichte. Schließlich lebt der gebürtige Lienzer seit 1965 dort, baute dort seine Skischule auf und gründete dort auch seine Familie. Seine zwei Kinder, Resi (31) und Seppi (28), traten in seine Fußstapfen. Resi fährt im Nationalteam und gilt nicht nur als eine der talentiertesten, sondern auch als eine der sympathischsten Profiskiläuferinnen in Amerika. Mit 31 Jahren und nach viel Verletzungspech will sie es heuer – in der Olympasaison – noch einmal wissen. Seppi arbeitet nach seinem Universitätsabschluss nun als Trainer beim Jackson Hole Ski Club. Die Fußstapfen des Vaters sind groß.
In nur sechs Jahren im österreichischen Nationalteam schaffte Pepi Stiegler 1960 bei den Winterspielen in Squaw Valley Silber im Riesentorlauf. 1964 folgten bei den Olympischen Heimspielen in Innsbruck eine Bronzemedaille im Riesenslalom und die Goldene im Slalom. Im selben Jahr wurde er gleichzeitig noch Weltmeister und Österreichs Sportler des Jahres. 2001 wurde er in die „U.S. National Ski Hall of Fame“ in Ishpeming, Michigan, aufgenommen. Natürlich auch das nicht unverdient. Pepi Stiegler war maßgeblich an der Entwicklung von Jackson Hole zu einem der wichtigsten Skisportzentren Amerikas und an der Vermarktung des Skisports in den USA im Allgemeinen beteiligt. Er leitete nicht nur 29 Jahre lang die Skischule in Jackson, sondern bewarb in diesen Jahren den Wintersport auch in vielen großen Städten Amerikas.
Begonnen hat dieser American Way of Life für Pepi Stiegler im November 1965. Oder schon ein wenig früher, wenn man genau sein will. „Anfang der Sechziger, bei einem gemeinsamen Abendessen mit amerikanischen Skiläufern in Portillo, Chile, hörte ich, wie Lucy Rockefeller, die ich damals noch nicht kannte, über einen Ort in Wyoming sprach, den sie als Paradies bezeichnete. Er habe die schönsten Berge, Seen, einen Nationalpark und tausende Elche, Bären und Vögel. Damals wusste ich noch nicht, welche Bedeutung dieser Ort einmal für mein Leben haben würde“, erzählt Pepi Stiegler in einem Vorwort zu einem Bildband über Jackson Hole.
„1965 erhielt ich dann den wichtigsten Telefonanruf meines Lebens. Er kam von Paul McCollister, dem Begründer des Jackson Hole Ski Resorts. Er bot mir dort die Stelle als neuer Skischulleiter an. Ich traf ihn im Hotel Europa in Innsbruck, wo er Jackson Hole vorstellte. Im Sommer lud er mich nach Jackson ein, wir flogen mit dem Hubschrauber zum Gipfel des Rendezvous Mountain, stiegen zu Fuß ab und trafen dabei auf den größten Elch, den ich in meinem Leben gesehen habe. Die Schönheit dieses Ortes faszinierte mich und ich verliebte mich in sie.“
Bis 1973, wo sich dann die Visa-Bestimmungen der USA verschärften, arbeiteten viele österreichische Skilehrer – unter ihnen übrigens auch Peter Habeler – bei Pepi Stiegler in Jackson Hole. „The mountain, in the early days, was like paradise“, sagt Pepi Stiegler zu dieser Zeit. „Ich habe es nie bereut, die österreichischen Alpen gegen die Grand Tetons ausgetauscht zu haben. Ich erachte es als großes Privileg, dass meine zwei Kinder hier aufwachsen durften.“
Das Skifahren war für Pepi Stiegler jedoch niemals seine einzige Leidenschaft. Er galt schon in seinen jungen Jahren als der einzige Profiläufer, der noch kurz vor dem Start ein Buch las. Wenig verwunderlich also, dass er ein Studium in englischer Literatur abschloss. Herausragend ist allerdings, dass er das mit 66 Jahren an der State University of Montana tat. Kurz vor seinem Universitätsabschluss im Mai 2003, sagte er damals: „Ich bin hartnäckig. Wenn ich etwas anfange, bringe ich es auch zu Ende.“ Einer seiner Professoren, Jerry Coffey, beschrieb Pepi Stiegler als „a fine gentleman“, den die jüngeren Studenten bewunderten und die Professoren schätzten. Und die Menschen, die Pepi Stiegler kennen, beschreiben ihn alle ähnlich: belesen, bodenständig, ruhig, reflektiert. Ein Mensch, der sich nie in den Vordergrund stellt und immer bescheiden geblieben ist. Einer, der sich selbst im Sommer noch gerne in die Kälte und den Schnee von Alaska absetzte und die Natur und die Bewegung immer brauchte.
Inzwischen ist er aufgrund von Multipler Sklerose, an der er schon seit über 20 Jahren leidet, und einem schweren Unfall im Jahr 2015 nicht mehr ganz so mobil, aber er trifft sich immer noch jeden Mittwoch mit seinem Bruder Peter Stiegler. Pepi ist für Peter auch heute noch „halb Bruder, halb Papa, halb Held.“„Die beiden waren sich immer schon sehr nahe“, erzählt Hannes Schwarzer, der als einer der ersten Lienzer bereits 1986 in Jackson Hole war. Seitdem ist er an die 17 Male dorthin gereist. Ganz genau weiß er es gar nicht mehr. Dafür kommen die Eckpunkte der Lebensgeschichte von Peter Stiegler, Pepis Bruder, wie aus der Pistole geschossen. „Peter kam 1972 mit 21 Jahren nach Jackson Hole und spätestens als er nach den ersten Jahren als Koch 1983 sein Restaurant Stiegler’s Austrian Restaurant and Copper Bar in den Aspens aufmachte, wurde er genauso zu einem Begriff in Jackson wie sein Bruder Pepi.“
Peter gilt als der extrovertiertere der beiden Stiegler Brüder, denn er führte in Jackson Hole nicht nur sein beliebtes Restaurant, sondern spielte dort auch immer wieder mit seiner Band „Rockin’ Tirol“. Und selbst viele Lienzer, die noch nie in Jackson Hole waren, kennen ihn als Musiker. Denn wenn Peter Stiegler nach Lienz kommt – und das tut er mindestens einmal im Jahr – dann stehen die Chancen gut, dass er auch hier Musik macht. Und zwar als Mitglied der wohl ältesten, schon 1965 gegründeten und noch in ihrer Originalbesetzung bestehenden Band des Bezirkes: „The Silencers“. Das letzte Konzert von Andy Leitner, Willi Pedevilla, Hugo Innerkofler und Peter Stiegler fand übrigens 2012 im Kolpingsaal statt. Damals begeisterten sie nicht nur ihre treuen Groupies, die schon immer ihre Fans waren, sondern auch viel junges Publikum, denn ihr Bandname ist definitiv irreführend: Die Musik von den „Silencers“ ist nämlich genauso wie ihre Vorbilder – die Beatles, die Stones und Crosby, Stills & Nash – alles andere als leise.
Leise war auch der Abschied von Peter Stiegler aus seinem Berufsleben und seinem Restaurant nicht. Ostern 2017 schloss er es nach 33 Jahren, um – wie er damals sagte – „einmal zwei Tage in der Hochsaison hintereinander frei zu haben.“ Er wollte den letzten Abend im Restaurant und in seinem Berufsleben gemütlich bei einem guten Essen ausklingen lassen. Aber ausgerechnet an dem Tag, an dem dutzende Menschen – Stammgäste, ehemalige Angestellte, Freunde und Verwandte – mit ihm seinen letzten Arbeitstag feierten und gleichzeitig von einem der besten Restaurants der Gegend Abschied nahmen, fing der Herd zu brennen an. Die einzige wirkliche Panne in all den Jahren, in denen Peter Stiegler dieses Restaurant geführt hatte. Er und seine Gäste nahmen es gelassen. Oder als ein Zeichen: nun war endgültig Schluss.
„Jetzt konn i no öfta ham foan“, sagt Peter Stiegler in perfektem Osttirolerisch am Telefon dazu. „Des is guat, heia tat i gern amol im Winta kemmen und am Schlossberg skifoan gehn. I brauch lei an Hong. An Hong auf und ob und danoch zu meine Freind ins Pichler Ladele. Des is schen.“ Lienz ist für Peter Stiegler „a Geheimtipp, Gott sei Donk net so bekonnt wie Jackson. Obwohl Jackson is einsomer af die Pistn. Net so voll. Des is a schen!“
Der Grund, warum Osttiroler Jackson Hole in den letzten dreißig Jahren regelmäßig besuchten, liegt aber nicht in seinem Skigebiet. Es liegt auch nicht nur an den Stiegler Brüdern oder der seit 1970 offiziell bestehenden Städtepartnerschaft. Der Mann, der wohl am meisten dafür verantwortlich ist, dass diese beiden Städte und ihre Bewohner so freundschaftlich miteinander verbunden sind, ist Emil Erhart. Der langjährige Englischprofessor war es, der ein Schüleraustauschprogramm zwischen dem Lienzer Gymnasium und der Jackson Hole Middle School organisierte und dann jahrelang betreute. Er war es auch, der eine erste Lienzer Politikerrunde 1986 nach Jackson Hole begleitete. Mit dabei waren damals Bürgermeister Hubert Huber und die Politiker Günther Lamprecht, Georg Panzl und Günther Horvath. Erhart war es, der 1988, zusammen mit seinem Freund und Lehrerkollegen aus Jackson, Stan Klassen, die gemeinsame Ausstellung der zwei Osttiroler Künstler Joe Wandaller und Lois Salcher und dem lokalen Künstler Randy Roberts in Jackson organisierte und er war es, der 2009 mit einer weiteren Politikerriege – damals unter Bürgermeister Johannes Hibler – nach Jackson Hole flog. Es verwundert deswegen wirklich nicht, dass Emil Erhart 1988 in der Lokalzeitung „Stepping Out“ als Lienzer Bürgermeister bezeichnet wurde. Das war er zwar nicht, aber er war der Meisterdirigent dieser transkontinentalen Freundschaft, die man heute perfektes Networking nennen würde.
Die enge Städtepartnerschaft zwischen Lienz und Jackson Hole scheint sich tatsächlich durch die vielen Freundschaften, Begegnungen und Geschichten zu erklären, die man voneinander zu erzählen weiß. Wie jene von Joe Wandaller, der sich noch genau an seine zwei Wochen in Jackson Hole im September 1988 erinnert. An die Schwierigkeiten mit den in einer Kiste verpackten Bildern auf den Flughäfen, an den Schneesturm bei der Ankunft, die Fotografien der Bilder des lokalen Künstlers Randy Roberts, der zwar mit ihnen ausstellte, aber seine Bilder alle in Kalifornien hatte, die Kunst vor Ort, die sich auf Präriebilder zu beschränken schien und die unglaublich schöne Landschaft. „Es ist vor allem die Weite dieser Gegend, die wie die Kulisse aus Westernfilmen aussieht, die Jackson Hole so attraktiv macht und wegen der ich auch gerne noch einmal dorthin reisen möchte“, sagt er heute. Nach dem Tod von Stan Klassen und dem Ruhestand von Emil Erhart müssen nun diese austro-amerikanischen Freundschaften von der nächsten Generation aufrecht erhalten werden. Einen ersten Schritt dazu leistete die Neue Mittelschule Nußdorf-Debant, die im Juni 2011 nach Jackson Hole flog. Nach zwei Jahren Vorbereitungszeit und 27 Stunden Anreise, wohnten die Osttiroler Schüler damals bei Gastfamilien in Jackson Hole, besuchten den Yellowstone und Grand Teton Nationalpark, sahen sich ein Rodeo und das berühmte tägliche Shootout, eine 15-minütige Westernszene am Town Square, an, campten und – das Wichtigste – schlossen Freundschaften mit den Schülern der Middle School, die sie ein Jahr später dann hier in Osttirol besuchten. Eine Frau, die dieses Projekt mitorganisierte, war Elise Stiegler, die Tochter von Peter Stiegler. Sie kommt nach ihrem Vater am öftesten nach Lienz. „Wenn es geht, jedes Jahr, mindestens aber alle zwei Jahre.“
„Jede Familie hat eine Geschichte und jeder Platz in Lienz erzählt eine Geschichte meines Lebens. Es sind die Geschichten, die ich als Kind von meinem Vater hörte und die ich nun meinem Sohn weitergeben kann. Ich liebe es, den Schlossberg hinauf zur Hochsteinhütte zu gehen, in der Stadt einen Kaffee zu trinken oder sonntags zum Gribelehof zu gehen. Nachdem ich mit Schlipfkrapfen, Schnitzel und Gröstl aufgewachsen bin, verbinde ich Lienz natürlich immer noch mit gemeinsamen Essen. Es gibt in den Staaten nur wenige Orte, an denen ich leben möchte und einer davon ist Jackson Hole. Aber wenn ich nicht hier leben würde, dann würde ich es wahrscheinlich in Lienz tun.“
Für Elise Stiegler ist „Jackson Hole nicht wirklich Amerika. Es ist eine der reichsten amerikanischen Städte, eine Stadt ohne Kriminalität, große Restaurant- oder Geschäftsketten oder Reklamewände. Wir haben leider nicht wirklich eine Kaffeehauskultur wie in Österreich, dafür sind wir aber viel internationaler. Und wir haben unendlich viel Land. Hier kann man fünfzig Meilen fahren, ohne ein anderes Auto oder eine andere Stadt zu sehen. Wir haben auch keine bewirtschafteten Berghütten. Wenn wir am Berg sind, dann sind wir wirklich ‚in the middle of nowhere‘. Dann treffen wir höchstens auf Bären und Elche.“
Und das ist wohl der größte Unterschied zu Lienz. „Als mein Mann zum ersten Mal mit mir nach Lienz kam, meinte er, dass Lienz eine Mischung aus Jackson Hole und Stowe in Vermont ist. Only on stereoids“, meint Elise Stiegler. Das verwundert etwas. Doch hier sind nicht wirklich Anabolika im eigentlichen Sinne gemeint. „On stereoids“ bedeutet umgangssprachlich, dass alles ein wenig intensiver ist. Laut Elise Stiegler, sind in Lienz „die Berge noch ein wenig höher, das Gras ein wenig grüner, die Täler noch schöner und die Wälder noch beeindruckender.“
Ob dem tatsächlich so ist oder nicht, können vielleicht aber schon bald ein paar weitere Osttiroler Politiker herausfinden, denn im Juli 2017 stand auf der Tagesordnung des Lienzer Gemeinderates der Punkt: „Städtepartnerschaft Lienz – Jackson Hole; Besuch der Partnerstadt – Grundsatzbeschluss“. Wenn diesem Grundsatzbeschluss auch tatsächlich Taten folgen, dann wünschen wir der Gruppe schon jetzt eine schöne Reise. Bei den Bildern aus Jackson Hole müsste da eigentlich jede Menge Vorfreude aufkommen.
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