Michael Rotschopf, gebürtiger Lienzer, steht seit Jahren auf den großen Bühnen, wird für internationale Filmproduktionen engagiert und ist im deutschen TV fast omnipräsent. Sein Arbeitspensum ist enorm. Vor dem Gespräch mit ihm hatte ich Respekt. Zur Zeit der Berlinale erreiche ich ihn in Berlin, wo er lebt. Nach den ersten Sätzen fallen meine Bedenken von mir ab, denn ich erlebe einen freundlichen und begeisternden Gesprächspartner.
Was hat ihn Schauspieler werden lassen? „Um Gottes willen, daran soll ich mich erinnern? Es gab den Wunsch, etwas zu tun, das mir wirklich entspricht. Ich konnte zum Beispiel nie etwas mit dem Konzept von Identität und Authentizität anfangen, und ich wollte die Weltzusammenhänge körperlich und geistig erfahren. Ich muss mich sehr stark bewegen, wenn ich überlege und lerne. Wo kann man das besser als im Schauspiel?“, sagt er auf eine sehr authentische Art.
Das Max Reinhard Seminar in Wien zu besuchen, sei konsequent gewesen, weil für seinen Beruf eine umfassende Ausbildung notwendig sei, eine, die sprachlich, körperlich und intellektuell fordernd ist. Claus Peymann holte ihn an das Wiener Burgtheater. „Nach dem Studium hatte ich Angebote von vier bestimmenden Spielstätten. Ich bin in Wien geblieben, nicht weil ich die Stadt so sehr liebe – ich habe Wien immer gehasst – sondern, weil dort die Schauspieler waren, mit denen ich spielen wollte. Ich wollte von den Großen lernen. Es geht in diesem Beruf ja auch darum, ein Mensch zu werden. Man sieht an den älteren Kollegen, wie man das machen kann, und wie das überhaupt nicht geht.“
Von den Großen lernen. Die Großen, das sind nicht nur Kollegen, das sind für Michael Rotschopf auch die Weltliteraten, die „besser als jeder noch so gute Drehbuchautor“ in einem Stück Grandioses, Markerschütterndes schaffen. Deretwegen es notwendig sei, zu wissen, was man tue. Ob er je Gefahr gelaufen sei, sich in einer Rolle zu verlieren? „Klares Nein. Der große Schauspiellehrer Stanislawski hat gesagt: ‚Identifizieren Sie sich niemals mit einer Rolle. Jede dieser Rollen, die in der Weltliteratur geschrieben wurden, ist dazu angetan, Ihr Leben zu zerstören‘. Das ist natürlich so. Was wir spielen, sind menschliche Extremsituationen. Kunst ordnet. Sie bringt das Leben auf den Punkt. Dafür muss sie extrem formulieren. Als Künstler musst Du verstehen, was passiert, um es nachzuempfinden und darzustellen. Sobald der Vorhang fällt, muss der Schauspieler aber aus der Rolle aussteigen können.“ Das sei wichtig.
Ein Hauch Berlin klingt durch seine druckreif gesprochenen Sätze, kein Osttirol. Was nichts damit zu tun habe, dass er seine Herkunft verleugne, überhaupt nicht: „Nur, der Dialekt würde meine künstlerische Kampfzone einengen.“ Er ist vielsprachig. Seine Set-Card listet auf: Englisch und Dänisch fließend, dazu Italienisch, außerdem als Dialekte Berlinerisch, Schwäbisch und Wienerisch. Wieso nicht Tirolerisch, nicht Osttirolerisch? Er zögert einen kurzen, einen fast intimen Moment lang: „Das wäre mir zu nahe.“
Ich habe mein Leben geträumt, so wie es sein und wie es werden soll, und bis jetzt ist alles eingetroffen.
Ich frage, welche künstlerischen Ziele Michael Rotschopf hat, und bin von seiner Antwort ebenso überrascht wie angetan. „Gar keine. Ich habe mein Leben geträumt, so wie es sein und wie es werden soll, und bis jetzt ist alles eingetroffen. Ich plane nicht, weil das in diesem Beruf nichts bringt. Ich bin mit meinem Leben so dermaßen glücklich, dass ich daraus schöpfe und arbeite. Was den Beruf betrifft, habe ich meine Besessenheiten und Obsessionen, und wer das haben will, der darf mit mir arbeiten und ich mit ihm.“ Er könne aus vielen Angeboten auswählen. Ein wichtiger Aspekt sei für ihn, mit wem er spiele: „Weil ich Lust auf meine Kollegen habe, mehr als auf alles andere, als auf Regie, Presse, Erfolg. Um mit meinen Kollegen etwas zu gestalten, das für das Publikum das Highlight des Abends, der Woche, des Monats, des Jahres ist.“
Wir sprechen über die Vielzahl seiner Engagements. Über Angebote, aus denen er auswählen könne, die nicht aus Österreich kämen, weil man ihn dort nicht als Österreicher wahrnehme. Lokalkolorit, den er nicht bediene. Dafür kämen die Angebote von viel weiter her. Lief es schon immer so gut für ihn? Er bejaht das, auch wenn es eine Phase nach der Übersiedlung nach Berlin gegeben habe, in der er erst nach einer kurzen Durststrecke – „da hat mich Berlin wunderbar aufgefangen, wofür ich dieser Stadt ewig dankbar sein werde“ – durch ein paar glückliche Fügungen künstlerisch überzeugen konnte. Überhaupt Berlin, die Stadt, in der alles kann und nichts muss, in der sich ihm viele Möglichkeiten bieten, aber alles auch in angenehmer Distanz zu ihm sei: Arbeit, Kollegen und gesellschaftliche Verpflichtungen. Die Stadt lasse einen in Ruhe, sagt er. Die Berlinale störe ihn da fast ein wenig. „Wollte ich in einer Stadt des Filmfestivals wegen leben, dann wäre das Cannes“, sagt er lachend.
„Ich habe viel zu tun, weil ich mich nicht auf eine bestimmte Sache kapriziere: Ich mache Theater, Film, Fernsehen, Hörbücher oder Hörspiele. Ich lege mich nicht fest, mache mich nicht abhängig. Dadurch habe ich spielerisch so viel gelernt, über Dichter, Politiker, Wissenschaftler, Historie und Kunst. Das ist es, was ich immer wollte: alles erfahren, was ich erfahren kann.“
Erfahrung und Lernen ziehen sich wie ein roter Faden durch das ganze Gespräch. Ich lerne, Michael Rotschopf ist ein Künstler, der seinen Beruf als beglückende Lebenserfahrung begreift. Der sich für Goethes „Faust“ nicht nur seine Rolle aneignete, sondern alle, 11 740 Verse, komprimierte 60 Jahre Dichterleben in einem Stück. Der das Potenzial zum klassischen Sänger hat, aber der Lust zum spielerischen Ausdruck den Vorzug gab. Der nach Hörspielproduktionen zum Physiotherapeuten muss, weil er die tief empfundene Körperlichkeit seiner Rolle vor dem Mikrophon nicht ausleben kann. Der tief eintaucht in seine Kunst.
„2016 freue ich mich auf Dreharbeiten, auf die Arbeit mit Menschen, die mir künstlerisch wie menschlich viel bedeuten, auch bei der Produktion von Thomas Bernhards „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ für die Salzburger Festspiele. Dort spiele ich den Kellner Winter. Das ist quasi eine Rückkehr zu den gastronomischen Wurzeln meiner Familie“, sagt er. Zur Erholung kehre er auch nach Osttirol zurück, immer wieder. Dann tauche auch wieder der Dialekt in seiner Sprache auf – hosch, tasch, mochsch, sagt er. „Ich komme gerne nach Hause, gerne nach Osttirol, gerne zu meinem Vater an den See.“ Ein eigenartig berührender Moment taucht auf, Michaels Erinnerung führt an den zugefrorenen Tristacher See, zu seinem Vater, dem Hotelier Josef Kreuzer, der ihm über den Parkplatz zurufe, Thomas Bernhard sei gestorben.
Aber wenn ich mit meinem Vater bei den Bergbauern zum Speck kaufen unterwegs war, dann haben wir oft die weltoffensten Menschen getroffen, die klarsten Geister.
„Ich habe Thomas Bernhard immer gut verstanden. Diese Wut über all die Arschlöcher, die fett in ihren Stühlen saßen, und nichts weiter geleistet haben, als eben österreichisch zu sein. Seine Hassliebe zur Heimat, die da war. Der gegenüberstand, wie gut Bernhard mit den einfachen, klaren Menschen zurecht kam. Mir geht es genauso. Den unteren Stadtplatz in Lienz kannst Du mir sonst wohin schieben. Aber wenn ich mit meinem Vater bei den Bergbauern zum Speck kaufen unterwegs war, dann haben wir oft die weltoffensten Menschen getroffen, die klarsten Geister. Diese Begegnungen sind so beeindruckend und herzerwärmend und schön, dass sie für mich meine Verbindung zur Heimat sind, genauso wie meine Familie oder der Maler Albin Egger-Lienz.“
Michael Rotschopf beeindruckt. Als Schauspieler, der seinen Charakteren jenseits der eigenen Herkunft Identität und Authentizität gibt. Der sein Leben erträumt hat, wie es ist, und sich Rolle um Rolle Erkenntnis erspielt. Der zur nächsten Herausforderung schaut, und auf das in seinem Körper gespeicherte Wissen aus vielen schon gemachten Erfahrungen vertraut. Der alles am eigenen Leib erfahren will. Der froh sagt: „Ich tanze gerade in einem sehr, sehr schönen Ballsaal.
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