Seinerzeit
Seinerzeit
Tirolarchiv für Photographie /// Alte Bilder, aufbereitet für neue Zeiten

Manchmal ist es nützlich, in Zeiten des Umbruchs nicht nur nach vorn, sondern auch zurück zu schauen. Für Osttiroler ist das in Hinkunft einfach. Mit großzügiger Förderung der Europäischen Union, des Landes, der Städte Lienz und Bruneck, aber auch privater Mäzene wie der Firma Durst entsteht derzeit am Egger-Lienz-Platz in der Dolomitenstadt ein beeindruckendes Fotoarchiv, aufgebaut und geleitet von Historiker Martin Kofler: Das „Tirol Archiv Photographie“. Sammlungen von professionellen Fotografen, von Privatpersonen, Vereinen und öffentlichen Institutionen werden hier gesichtet, bewertet, katalogisiert und vor allem digitalisiert. Die Scanner des TAP bereiten die alten Ansichten auf für eine neue Zeit und machen Zeitgeschichte damit erlebbar für eine neue Generation, die vorwiegend das Internet als Bildquelle nutzt.


War sie gut, die alte Zeit?
Als die Post noch Hotel war und die Bahn beinahe nach Matrei fuhr.

Wir haben fast zufällig – und überwältigt von der vorhandenen Fülle an tollen alten Bildern – eine kleine Auswahl getroffen und den Historiker um kurze Kommentare dazu gebeten. Spektakulär finden wir angesichts der derzeit stattfindenden Tourismusdiskussion zum Beispiel das Bild des „Lienzer Hofes“, heute Postamt, damals Hotel. Kofler: „Das Haus wurde 1910 eröffnet und hatte 70 Zimmer mit 100 Betten und allen damaligen modernen Annehmlichkeiten: Zentralheizung, geräumige Säle, Personenaufzug, Kühlanlage, Garagen und Bäder.“

Das Hotel Lienzerhof, heute Postamt, fotografiert um 1913.

Genau in diesem Haus möchte TVBO-Vorstand Franz Theurl heute auf einer ganzen Etage den TVB-Osttirol unterbringen. Der Plan ist noch nicht gestorben und hätte zumindest historische Bezüge. Hier gingen schon vor hundert Jahren Gäste ein und aus.

Das nächste Bild (unten links) stammt aus den zwanziger Jahren. Vom Hauptplatz durch die Andrä-Kranz-Gasse wird ein Kanal gegraben. Detail am Rande: Links im Bild sieht man das Firmenschild „S. Bohrer“. Der jüdische Kaufmann Samuel Bohrer kam 1912 nach Lienz und wurde 1938 vertrieben, sein Besitz arisiert.

Der gezeigte Kanalbau ist Teil einer Modernisierungsoffensive, die bald nach der Jahrhundertwende in der Stadt begann. „1909 erhielt der Johannesplatz und der Hauptplatz, damals Kaiser-Josef-Platz, elektrische Bogenlampen“, erzählt Kofler. Im selben Jahr wurde am Debantbach ein E-Werk eröffnet. Auch dazu gibt es eine Parallele in der Jetztzeit. Bürgermeisterin Elisabeth Blanik und Tiwag suchen noch immer nach einem Standort für das Fernheizwerk III, die Nachfrage nach umweltfreundlicher Bioenergie übersteigt die derzeitigen Kapazitäten. Und auch zum Thema Verkehr hat Kofler ein „Bild mit Geschichte“ für uns. So wie rechts oben auf dieser Seite sah noch in den fünfziger Jahren der Bahnübergang an der Amlacherstraße aus. Die vorbeidampfende Verschublok ist ebenso Geschichte, wie hochtrabende Pläne zum Ausbau des öffentlichen Verkehrs.

Kanalisierung in der Andrä-Kranz-Gasse, 1928.
Bahnübergang Amlacherstraße, aufgenommen im Jahr 1953.

Bereits im November 1871 wurde nach einer Rekordbauzeit die Pustertalbahn eröffnet, sie brachte die Anbindung an die „Welt“, erhöhte die Mobilität enorm und veränderte die Stadt nachhaltig. Kofler: „Der Ausbau der Bahn führte zum Zuzug von Bahnpersonal samt Familien. Lienz hatte 1869 noch 2.111 Einwohner, 1910 waren es bereits 6.045.“ Der Zuzug der traditionell sozialdemokratischen Eisenbahner bewirkte nicht nur  Wachstum, sondern auch eine Veränderung der politischen Landschaft, die bis heute nachwirkt. Geplant war um die vorletzte Jahrhundertwende auch der Bau von Bahnstrecken nach Matrei und Winklern. Bereits 1902 lag die komplette Planung der Strecke „Lienz-Windisch-Matrei“ auf dem Tisch. Sie wurde verworfen. Stattdessen boomten das Postauto und der private Pkw. Im Jahr 1908 kam Erzherzog Friedrich nicht mit dem Zug sondern mit dem Automobil nach Lienz und vier Jahre später klagt die Lienzer Zeitung: „Wie lange wird es dauern, gibt’s eine Misere, denn eine Geschwindigkeit von 30 km pro Stunde und mehr ist entschieden zu hoch, ist aber schon dagewesen.“

Die Hauptstraße durch Lienz verlief, wie auf dem Titelbild auf den Seiten 54/55 zu sehen, damals über den Hauptplatz. Erst 1963 wurde die Tiroler Straße dem Verkehr übergeben, die „Umfahrung von Lienz“.  Heute muss die Umfahrung umfahren werden. Neue Zeiten!

Credits
  • Fotografie: TAP

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