„Von den HTL-Schwerpunkten ist Mechatronik der breiteste, deshalb haben wir ihn auch gewählt,“ erzählt Peter Girstmair, Direktor der HTL in Lienz. Wer diese Schule besucht, ist breit aufgestellt, weil von Maschinenbau über Elektro und Elektronik bis Informatik ein Spektrum an Bildungsinhalten abgedeckt wird, das später noch viele Möglichkeiten der Berufswahl offen lässt. In den ersten drei Klassen werden diese Bereiche relativ getrennt unterrichtet. „Da geht es noch um die Grundlagen“, erklärt Girstmair, „aber in der vierten und fünften Klasse fließt das dann zusammen zu echten Mechatronik-Projekten“.
Diese Projekte sind nicht nur interessant und anspruchsvoll, sondern auch praxisorientiert. „Wir machen viele Prototypen und arbeiten mit den Leitbetrieben des Bezirkes zusammen, da ist man von der Technik und Technologie schon am Puls der Zeit.“ Im Gegensatz zu Projektarbeiten anderer Schulen, in denen die wirkliche Wirtschaftswelt vorwiegend simuliert wird, müssen die Arbeiten der HTL-Abschlussklassen bereits der industriellen Realität standhalten. Liegen etwa Machbarkeitsstudien für neue Produkte oder Fertigungsschienen vor, machen sich die künftigen Ingenieure an die Arbeit und setzen Prototypen um, als wichtigen Schritt zur Serienreife jedes industriell erzeugten Produkts.
22 Projekte dieser Art hat die HTL Lienz derzeit in Arbeit, den Großteil davon mit externen Industriepartnern, zu denen praktisch das gesamte Who-is-Who der heimischen Branchenführer zählt, von Liebherr über Wito/PAN, Komet und Durst bis HELLA. Auch der Halbleiter-Gigant Infineon wendet sich immer wieder an die Lienzer Schule, die auch Projekte mit der TU Graz umsetzt und damit bereits Kontakt zu akademischer Technikausbildung hat. „Für die TU Graz bauen wir jedes Jahr etwas“ erzählt der Direktor, „die machen Messungen an Dynamoblechen für Elekromaschinen und Anlagen. Wir bauen eine Vorrichtung, wo die Bleche eingespannt und die Messungen durchgeführt werden können. Wir bauen immer entweder Prototypen oder Vorrichtungen.“
Die Schüler der HTL arbeiten nicht nur im Auftrag der Industrie, sondern tüfteln immer wieder auch an nachhaltigen und nützlichen Dingen für Sozialprojekte oder Alltagsanwendungen. Vom Weidezaun, der eine SMS verschickt, wenn sich eine Kuh verheddert hat (Dolomitenstadt, Ausgabe 1/2014) bis zu technischen Lösungen für die Feuerwehr Lienz reicht das Spektrum. Und auch der Patiententransport mit dem Fahrrad oder Moped im afrikanischen Jalimo-Hospital des Kinderarztes Franz Krösslhuber (Bericht auf Dolomitenstadt, Ausgabe 1/2015, Seite 14) beschäftigt die jungen Leute. Sie haben bereits eine Lösung in Arbeit.
„Eigentlich ist unser Ziel immer, eine Maschine oder eine Vorrichtung zu bauen, die jemand wirklich gut gebrauchen kann“, erklärt Girstmair die Zielsetzung. Wie werden die Projekte an die Schule herangetragen? „Die Firmen kommen zu uns, die Lehrer haben auch entsprechende Kontakte, wir sprechen das im Technikerkreis ab und klären die Realisierbarkeit. “ 44 Lehrerinnen und Lehrer unterrichten an der HTL. Das Naheverhältnis der Schule zu praktisch allen industriellen Leitbetrieben und technologieorientierten Gewerbebetrieben des Bezirkes prägt auch das Bild von den Zukunftsperspektiven der Schüler und definiert die Position der Schule im Kontext der Bildungslandschaft Osttirols.
"Eigentlich ist unser Ziel immer, eine Maschine oder eine Vorrichtung zu bauen, die jemand wirklich gut gebrauchen kann."
„Heuer maturieren 53 Jugendliche und die Fachschule beenden 20 Schüler. Die Hälfte der HTL-Absolventen beginnen ein Studium und auch ein Drittel der Fachschüler setzt auf Weiterbildung. Die anderen kommen zur Zeit überwiegend auf dem Arbeitsmarkt in Osttirol unter.“ Weil der Anteil jener, die nach dem Abschluss in die Studienstädte übersiedeln, permanent steigt, finden die Absolventen, die gleich ins Arbeitsleben einsteigen wollen, leichter einen geeigneten Job. Ein Drittel der Schüler kommen aus Kärnten. Sie drängen nur zum Teil auf den Osttiroler Jobmarkt und suchen berufliche Herausforderungen eher zwischen Spittal und Klagenfurt.
Oft zieht es gerade die besten Schüler hinaus in die Industriestädte und universitären Hotspots. Diplomingenieure werden in Osttirol eben nur eine Handvoll gebraucht, deshalb weist auch Girstmair darauf hin, dass mit steigender Qualifikation eine Abwanderung manchmal fast unvermeidlich ist. Nicht nur der Beruf zieht die Leute in die Ferne, sondern auch die Herausforderung, die Suche nach den wirklich spannenden Aufgaben.
Einige dieser ambitionierten Schulabgänger könnten sich künftig doch dazu entschließen, noch ein paar Jahre in Lienz „anzuhängen“ und hier das zu tun, was man noch nie in der Geschichte des Bezirkes konnte: Ein Universitätsstudium zu absolvieren.
Prinzipiell ist das „dislozierte Studium“, organisiert von Uni Innsbruck und UMIT eine gute Sache, findet der HTL-Leiter: „Es ist aber nicht geplant, dass das über den Bachelor hinausgeht. Dennoch ist das für viele Schüler genau das Richtige, man kann sagen, ich bleibe bis zum Bachelor in Lienz und wenn es weiter in Richtung Master geht ist klar, dass man da einmal hinaus muss.“
Unter dem Titel „Campus Tirol“ wird derzeit die Forschungslandschaft im Bundesland umgebaut und schlagkräftiger gemacht. Die Uni Innsbruck beteiligte sich deshalb mit zehn Prozent an der im Eigentum des Landes stehenden privaten Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik (UMIT) in Hall. Zukunftsziel sind gemeinsame Studiengänge, gemeinsame Forschungsprojekte und eben eine Vernetzung mit dezentralen Standorten wie Lienz oder Landeck. Für die HTL bedeutet das die Chance für einen buchstäblichen „Blick über den Zaun“. Es sollen sogar gemeinsame Räumlichkeiten von Schülern und Studenten genutzt werden. Peter Girstmair findet es „fast ein bisschen sensationell“, dass die Uni sich derart öffnet und bereit ist, hinaus ins Land zu siedeln.
„Der Schulstandort wird durch diese Perspektive noch attraktiver und ich erwarte mir schon Synergien im Bereich Werkstätten und Labors. Wir können noch viel genauer schauen: wie geht denn das nach der Schule weiter. Da erwarte ich mir auf unsere Ausbildung einige Rückwirkungen,“ blickt der Direktor in die Zukunft und gibt sich selbstbewusst: „Wenn von 30 Studierenden die Rede ist, dann geh ich davon aus, dass die Hälfte aus unserer Schule kommen kann. Der Standort stünde dann in Konkurrenz zur TU Graz. Man wird sehen, wieviele Stundenten zwischen Bruneck und Spittal sich für Lienz entscheiden.“
Wer sich für Lienz entscheidet, absolviert jedenfalls ein Vollzeitstudium, ist inskribiert an der Uni/UMIT, könnte die Vorlesungen auch in Innsbruck besuchen, bekommt aber den größten Teil davon in Lienz angeboten, manches in Form von Fernlehre. Es wird auch verpflichtende Anwesenheiten „draußen“ in Nordtirol geben. Die großen Vorlesungen werden nach Lienz übertragen. Girstmair: „Alle, die Technik studieren, machen zum Beispiel die Vorlesung ‘Mathe 1‘, die besuchen in Innsbruck 200 Leute und die wird auch nach Lienz übertragen. Vor Ort ist dann ein Betreuer anwesend.“
Und wenn man weit in die Zukunft denkt, warum soll nicht rund um diesen Kern noch viel mehr entstehen?
Damit wird der neue Studiengang viel mehr als einer akademischen Chance für 30 mehr oder weniger heimische Studiosi. Auf diese Art könnten künftig auch andere Studien fernab der Metropolen gelehrt werden, praktisch im Skype-Modus auf hohem Niveau. Es war ursprünglich angedacht, den Tourismuslehrgang, der jetzt in Landeck platziert ist, nach Osttirol zu bringen. Aber die Wirtschaft vor Ort forcierte die technische Ausbildung. 2016 im Herbst geht es los, vermutlich mit einer räumlichen Übergangslösung. In der Wirtschaftskammer und in der HTL werden Seminarräume zur Verfügung stehen, ab Herbst 2017 könnte die „Uni Lienz“ schon in einem eigene Gebäude forschen und lehren.
Für die Höhere Technische Lehranstalt Lienz beginnt jedenfalls ein neues Zeitalter. Girstmair erinnert sich: „Wir haben 1986 mit der Metallfachschule begonnen. Mit 36 Schülern. Jetzt haben wir knapp 400 und genau 30 Jahre nach der Gründung, 2016, kannst du dieses Fach in Lienz studieren. Das ist doch gewaltig. Wenn ich mir diese Entwicklung anschaue, dann kann so ein Campus schon funktionieren. Und wenn man weit in die Zukunft denkt, warum soll nicht rund um diesen Kern noch viel mehr entstehen?“ Landeshauptmann Günther Platter habe bei seinem Besuch die Region angesprochen und wollte das Projekt nicht nur auf Osttirol bezogen wissen. Demnach gebe es keine Beschränkungen. Wenn sich beim ersten Lehrgang 60 Interessenten melden, müssten die auch genommen werden. Für Girstmair ein spannendes Szenario: „Wir haben für eine HTL extrem hohe Erfolgsraten zwischen 80 und 90%. Österreichweit ist der Schnitt bei 60%. Das beweist, dass wir genau die Schüler haben, die eine universitäre Weiterbildung auch interessiert“.
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