Nein, es ist nicht dasselbe, wie zu Hause in die Badewanne zu steigen. Wer im Aigner Badl in Abfaltersbach die Zehenspitzen in das sorgfältig vorbereitete Heilwasser taucht, hat einen Ort entdeckt, der ebenso der äußeren wie der inneren Reinigung dient. Hier ein Bad zu nehmen, erzeugt eine Form von Wohlbefinden, die man nicht mit Wellness übersetzen kann. Das ist kein „Spa“, sondern ein Bad mit Seele und Geschichte, ein charmantes Stück Tradition und zugleich ein sinnliches Vergnügen. Schon der Weg zum denkmalgeschützten Badehaus, das Anton Aigner 1772 erbaute, entschleunigt den Gast.
Man kann sich vorstellen, wie die Bauern hier früher Schlange standen, samstags, um sich den Schweiß einer harten Arbeitswoche abzuwaschen und am Sonntag beim Kirchgang zu duften wie ein Stück Seife. Der Pfarrer hat natürlich auch hier gebadet, denn in einem Bauernbad, das etwas auf sich hielt, durfte ein Geistlicher nicht fehlen. Hochwürden wurde auf ein paar Wochen Sommerfrische eingeladen, dafür musste er für die Badegäste die Messe lesen – und wohl auch manche Beichte abnehmen, denn es ging nachweislich recht lustig zu, in diesen Stätten der Reinigung. Daheim gab es keine Wanne und zu einem echten Bauernbad gehörte praktischerweise immer auch ein Wirt.
Noch wichtiger war – und ist bis heute – die „Bademoidl,“ die das Badewasser zubereitet und für Ordnung in den Kabinen sorgt. Im Aigner Badl heißt diese Frau nicht Moidl sondern Brigitte und beherrscht wie alle ihre Vorgängerinnen aus alter Zeit die Kunst, die perfekte Wassertemperatur von 38 Grad mit dem Eintauchen des Ellbogens zu messen. Auf diesen Wert wird das ursprünglich auf 70 Grad erhitzte Wasser der Heilquelle nämlich durch Mischung mit kaltem Quellwasser heruntergekühlt, damit die Wirkung perfekt ist – so will es der Brauch.
Und zu diesem Brauch gehört auch, dass der Flüssigkeitsverlust der Schwitzenden postwendend ausgeglichen wird. Unsere Badegäste Romed, Nina und Ernst ließen sich – ganz gesundheitsbewusst – pures Quellwasser auf den Deckel der Lärchenwanne servieren. Der Reiseschriftsteller Heinrich Noë erblickte 1876 beim Betreten eines Bauernbades ganz andere Trinkgewohnheiten: „Tritt man durch den groben Vorhang, welcher da statt der Thüre dient, in die große Badestube, so erblickt man links und rechts eine Reihe von Wannen, in welchen die Herren Bauern plaudern, viele davon auch rauchend sitzen. Die Wanne ist bis an ihre Brust mit Brettchen zugedeckt, welche den aus dem Wasser aufsteigenden Dampf zusammenhalten sollen, damit er in den Körper eindringe und gehörig wirke. Mancher von diesen badenden Sommerfrischlern hat auch auf den Brettchen, die ihm gerade Hals und Arm freilassen, ein Seidel Wein stehen, um über der äußeren Anfeuchtung die Innere nicht zu vernachlässigen.“ Soviel zum Thema Wohlbefinden im Bauernbad, dessen Sinnenfreude schon damaligen Medizinern verdächtig vorkam. Der Haller Stiftsarzt Hippolyt Guarinoni – einer der ersten praktischen Hygieniker – kritisierte das lange Verweilen im heißen Wasser, das Baden mit vollem Magen, das Essen, Trinken und Schlafen im Bad und überhaupt die viel zu reichhaltige Kost. Wie immer macht es die richtige Mischung. Gesundheitlich hat das Aigner Badl nämlich durchaus verbriefte Qualitäten. Die Quelle, die das Badewasser liefert, ist vom Institut für Physiologie der Universität Innsbruck als heilende Calcium-Sulfat-Mineralquelle anerkannt. Eine Badekur lindert demnach Gelenkschmerzen, Rheuma, Ischias und fördert die Wundheilung.
700 bis 1.000 Gäste besuchen pro Jahr das letzte Osttiroler Bauernbadl am Waldrand in Abfaltersbach, nahe dem Drauradweg. Acht Wannen aus Lärchenholz gibt es, in vier Einzel- und zwei Doppelkabinen. Man badet ca. 20 Minuten und gönnt sich anschließend eine Ruhephase in einem Ambiente, das buchstäblich Ruhe atmet. Hier liegt man umgeben von Dingen, die seit Jahrhunderten bestehen und wird das Gefühl nicht los, dass all die protzigen Wellnesstempel auf eines vergessen haben: auf die Seele.
Die Nord- und Osttiroler Bauernbadln standen schon immer im Schatten der südlich des Brenners gelegenen Badeorte wie Levico, Altprags, Meran oder Arco und der mondänen Kurbetriebe des Kaiserreiches in Karlsbad und Marienbad. Während aber in Nordtirol Mitte des 19. Jahrhunderts ein „Bädersterben“ einsetzte, wurden in Osttirol zu dieser Zeit erst so bekannte Badestätten wie Bad Weitlanbrunn in Arnbach gebaut, das 1841 die ersten Gäste empfing.
Der Lienzer Kaufmann Leopold Ettl war von der Heilwirkung des schon 1608 erstmals erwähnten „Augenbründls“ in Leisach so begeistert, dass er „aus Dankbarkeit und zum Wohle der Leidenden“ 1853 ein Badegebäude errichtete, das nach seinem Vornamen „Leopoldsruh“ genannt wurde, bis heute aber besser als „Ettlbadl“ bekannt ist und leider seine Wannen trocken legte, wie alle anderen prominenten Bäder der Region, darunter auch Bad Jungbrunn bei Lavant, das noch Ende der zwanziger Jahre immerhin 600 Badegäste empfing. Die letzten, die ein Badl im klassischen Stil errichteten, waren die Bauern von Innervillgraten, die erst 1910 die Schwefelquelle des Kalksteiner Bades entdeckten und bis 1976 in Holzzubern manche Beschwerden auskurierten.
Die „Badltester“ Romed, Nina und Ernst stellen dem Aigner Badl jedenfalls ein gutes Zeugnis aus, nicht nur für Wasser und Wanne, sondern auch für Speis und Trank – die unverzichtbar zum sinnenfrohen Entspannen im Bauernbad gehören.
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