Montagabend um 19:00 Uhr. Während viele Berufstätige gerade von der Arbeit nach Hause kommen oder bereits ihr Abendessen genießen, geht in der Garage der Rotkreuz-Bezirksstelle in Lienz das Licht an. Die freiwilligen Rettungssanitäter Verena Blassnig und Josef Klammer treten ihren Nachtdienst an. Seit knapp einem Jahr leisten die beiden jeden zweiten Montag gemeinsam eine Nachtschicht im Rettungsdienst. Sie wirken auf Anhieb eingespielt und marschieren schnurstracks auf ihr heutiges Dienstfahrzeug, den Rettungswagen 14/102, zu.
In Zeiten von Corona ist der erste Handgriff im Dienst jener zum Thermometer. Verena und Sepp sind mit ihrer Körpertemperatur zufrieden und starten mit dem Check ihres Dienstwagens. Während Sepp sämtliche Oberflächen säubert und desinfiziert, überprüft Verena das Innenleben des Fahrzeugs. Schutzausrüstung, Hilfsmittel und technische Geräte müssen vorhanden und einsatzbereit sein.
Der Vorgang ist für das Duo mittlerweile Routine – vor allem für Sepp. Der 67-Jährige war früher Kfz-Werkstattleiter bei der Firma Rossbacher, ist mittlerweile Pensionist und leistet seit nunmehr 37 Jahren freiwilligen Dienst als Rettungssanitäter. Den Anstoß dazu gab ihm ein prägendes Ereignis:
„Meinen Sonntagsdienst mache ich seit 1983. Früher im Berufsleben war es nebenher nicht so einfach, aber sogar während unseres Hausbaus habe ich mich nicht davon abhalten lassen“, erzählt Sepp stolz. Die erst 28-jährige Verena absolvierte 2010 mit 17 Jahren die Ausbildung zur Rettungssanitäterin, ging dann aber für ihr Physiotherapie-Studium nach Wien. Nach einigen Jahren in der Bundeshauptstadt entschied sie sich für eine Rückkehr nach Osttirol und arbeitet seither in Lienz als Physiotherapeutin. Seit 2017 steht sie regelmäßig beim Roten Kreuz in Lienz im Dienst:
„Egal was passiert, Sepp kennt sich aus.“
Sie können sehr viel voneinander lernen, versichern mir die beiden unisono. Bei diesem Duo trifft jahrelange Diensterfahrung auf frisches Fachwissen. „Egal was passiert, Sepp kennt sich aus“, erzählt Verena und ihr Dienstkollege fügt an: „Ich gehe immer gerne in Dienst, wenn Verena da ist.“
Mittlerweile ist der Fahrzeugcheck abgeschlossen, alles Notwendige ist da und die beiden wechseln in den Aufenthaltsraum, wo oft auch mit den Auszubildenden geübt wird. Hier scheint es alles zu geben, was das (Sanitäter-)Herz begehrt: Eine Theke mit kühlen Getränken, Stühle und Sofas, einen Fernseher, eine Terrasse und sogar einen Billard- und einen Tischfußballtisch. Auf dem Sofa hat sich bereits ein weiteres Team eingerichtet. In Lienz sind in den Nächten stets zwei Rettungswägen und ein Notarztauto besetzt. Jeweils ein Auto steht in Sillian, Matrei und St. Jakob im Defereggental im nächtlichen Einsatz.
„Wichtig ist jetzt mal ein Abendessen“, sagt Verena und bestellt sich und ihren Kollegen eine Pizza. Während der Bestellung am Telefon fängt sie an zu lachen, weil der Zusteller offenbar nicht weiß, wo das Rote Kreuz in Lienz beheimatet ist. Google Maps sei Dank landen die Pizzen dennoch rasch und warm auf dem Tisch im Aufenthaltsraum.
„2018 habe ich insgesamt 1.460 Stunden freiwillig abgeleistet.“
Während die jungen Kollegen essen erzählt Sepp aus der Vergangenheit. Hunger hat er keinen, er hat schon daheim gegessen. „2018 war mein intensivstes Jahr. Da habe ich insgesamt 1.460 Stunden freiwillig abgeleistet“, so Sepp. Laut Verena zählt er damit zu den fleißigsten „Sanis“ in Lienz. In seinen 37 Dienstjahren habe er schon viel erlebt, Verena blieb bisher von „richtig schlimmen Einsätzen“ glücklicherweise verschont. „Aber darauf muss man gefasst sein. Bevor es zum Einsatzort geht bereite ich mich vorher immer mental darauf vor. Das hilft mir dann und beugt auch einem möglichen Trauma vor“, so die 28-Jährige. „Inzwischen hat sich viel verändert, es gibt mehr mentale Unterstützung, auch durch das Kriseninterventionsteam“, meint Sepp.
Während einer Nachtschicht rücken die Rettungsteams in Lienz im Schnitt zu vier bis fünf Einsätzen aus. Nachts seien es meist internistische Probleme, wie etwa Bluthochdruck, die zu einer Alarmierung führen. Vor allem aber betätigen ältere Menschen in den Nachtstunden den Hausnotruf. Da kommt es zu den unterschiedlichsten Situationen, wie Verena erzählt: „Einmal fuhren wir nach einem Hausnotruf zum Patienten. Wir haben einen Reserveschlüssel und daher in der Wohnung nachgesehen, ob alles gut ist. Dabei haben wir festgestellt, dass der Patient im Tiefschlaf war. Manchmal wird der Notruf versehentlich ausgelöst.“ Aber auch das gehöre dazu, meint die Lienzerin.
An der Arbeit beim Roten Kreuz schätzen sie und Sepp vor allem das gute Verhältnis zu den Kollegen und das Zugehörigkeitsgefühl. „Freitagnacht hat zum Beispiel immer ein tolles Team Dienst. Die grillen im Sommer häufig auf der Terrasse, da trage ich mich dann immer ein“, lacht Verena.
Ihr Gesichtsausdruck ändert sich schlagartig als plötzlich ihr Pager piepst. Der grelle Ton wiederholt sich mehrmals. Jetzt heißt es schnell sein: In maximal 120 Sekunden müssen sie bereits mit ihrem Rettungswagen aus der Garage rollen. Sepp schießt auf und ruft: „Abmarsch! Patient mit 38,5 Grad Fieber im Moarfeldweg.“ Augenblicke später geht in der Emanuel von Hibler-Straße das Rolltor hoch und der 67-Jährige steuert seinen Rettungswagen Richtung Moarfeld.
„Die Einsätze sind nach Priorität gegliedert. A-Einsätze sind mit Notarzt und Blaulicht. Jetzt haben wir ein B2-Einsatz und fahren daher ohne Blaulicht“, erklärt Verena unterwegs. Sie kramt ein Tablet aus der Ablage unter der Windschutzscheibe, auf das sie von der Leitstelle Tirol alle wichtigen Infos zum Patienten bekommt. Wenige Augenblicke später hat Sepp schon die richtige Haustüre gefunden und huscht mit seiner Kollegin durch das Stiegenhaus nach oben. Sie bringen den älteren Mann auf einem Stuhl in den Rettungswagen und fahren ihn ins BKH. Dort muss er wegen seiner Symptome vorerst auf die Corona-Triagestation. Sein Fieber dürfte aber eine andere Ursache haben, wie Verena erklärt:
Das Duo hat seine Arbeit vorerst getan und kehrt wieder in die Bezirksstelle unter dem Krankenhaus zurück. Da die beiden diensthabenden Teams abwechselnd ausrücken, erwarten Sepp und Verena nun etwas ruhigere Stunden und deswegen wird nun geschlafen. Das dürfen die freiwilligen Rettungssanitäter während des Nachtdienstes wann sie wollen, allerdings mit dem Pager in unmittelbarer Nähe.
Im Gebäude gibt es mehrere Schlafräume mit entsprechender Privatsphäre. Verena zieht zum Schlafen ihre Schuhe aus, lässt die Uniform aber größtenteils an, um im Falle eines Einsatzes schnell startklar zu sein. Bleibt es heute Nacht ruhig, können sie und Sepp etwas länger schlafen. Spätestens um 06:00 Uhr morgens läutet dann aber der Wecker, weil zu dieser Zeit die Schicht des Duos endet. In zwei Wochen sehen sie sich beim nächsten Montag-Nachtdienst wieder.
Interesse an einer Mitarbeit beim Roten Kreuz? Der nächste Ausbildungsturnus beginnt im November. Anmelden kann man sich unter Tel. 04852 62321.
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