Bildungsminister Heinz Faßmann präsentierte bereits einige seiner vorläufigen Korrekturen am derzeitigen Bildungssystem. Medial aufgegriffen wurde dabei vor allem das nach plakativ populistischer Law-and-Order-Politik klingende strengere Verfahren gegen das Schulschwänzen.
Die Anwesenheit in und das Fernbleiben von der Schule sind im österreichischen Schulpflichtgesetz, in der Verordnung betreffend die Schulordnung und im Schulunterrichtsgesetz genau geregelt. Auch berechtigte Gründe für das entschuldigte Fernbleiben sind dort detailliert beschrieben. Erziehungsberechtigte müssen den Klassenvorstand oder die Schulleitung von jeder Verhinderung des Schülers unter Angabe des Grundes ohne Aufschub mündlich oder schriftlich benachrichtigen.
Die Nichterfüllung dieser Pflicht stellt eine Verwaltungsübertretung dar. Für mehrere unentschuldigte Fehltage pro Semester gab es dafür schon bisher ein fünfstufiges Verfahren, das zuerst einmal verpflichtende Gespräche zwischen den Erziehungsberechtigten, dem Schüler und dem Klassenlehrer oder dem Klassenvorstand vorschrieb. Sollten die keine oder nur schwache Wirkung zeigen, musste ein Schülerberater oder ein schulpsychologischer Dienst eingebunden, in weiterer Folge die Jugendwohlfahrt eingeschaltet und in letzter Konsequenz eine Strafanzeige bei der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde erstattet werden.
Ab dem kommenden Schuljahr 2018/19 soll dieser Fünf-Stufen-Plan laut Bildungsminister Faßmann „effizienter“, sprich weniger aufwendig, zeitsparender und mit Sofortmaßnahmen, in Form von schnelleren Verwarnungen abgewickelt werden. Außerdem müssen Direktoren Eltern bereits anzeigen, wenn ihr Kind in der Pflichtschule drei volle Tage in neun Schuljahren unentschuldigt gefehlt hat! Dann droht eine neue Mindeststrafe von 110 Euro und eine Höchststrafe von 440 Euro oder eine Haftstrafe bis zu zwei Wochen, sollte der Geldbetrag nicht aufgebracht werden können.
Im letzten Schuljahr wurden allein in Wien, wo es die meisten Schulschwänzer im Pflichtschulbereich gibt, 546 Anzeigen beziehungsweise Verwaltungsstrafverfahren dazu eingereicht, in 260 Fällen gab es eine Geldstrafe, in einem Fall wurde die Höchststrafe von 440 Euro verhängt. Für Bildungsminister Faßmann soll dieses neue Modell nicht primär Sanktionscharakter haben, sondern hauptsächlich eine Verwaltungsvereinfachung bewirken und präventive Wirkung zeigen.
Beide Schlagwörter – geringerer Aufwand und größere Prävention – klingen prinzipiell immer gut, werden hier aber wohl völlig falsch eingesetzt, denn in Wahrheit sollen nun wichtige soziale Maßnahmen wie die notwendigen Gespräche mit allen Beteiligten und psychologische Unterstützung der Schüler durch das Androhen und Exekutieren von Strafen ersetzt und verkürzt werden. Das ist insofern problematisch, weil Forschungsergebnisse beweisen, dass das frühe und häufige Fernbleiben vom Unterricht als einer der Hauptindikatoren für spätere Schulabbrüche gilt.
Martin Karré, Lehrer am BG/BRG Lienz, meint dazu: „Dem Gesetzesvorhaben der aktuellen Regierung, dem Schulschwänzen der Kinder mit schnelleren und höheren Geldstrafen gegen die Eltern zu begegnen, kann ich rein gar nichts abgewinnen. Kinder, die den Schulbesuch verweigern, haben lange vorher schon unter anderen Problemen zu leiden: Probleme im Zeitmanagement zur Erledigung ihrer Lern- und Hausaufgaben, Lustlosigkeit, mangelnde Frustrationstoleranz und Mindesteinsatz für Schulbelange, die dann zu negativen Noten und Schulverweigerung führen, Mobbing oder auch Überversorgung mit Geld bei gleichzeitiger Unterversorgung mit menschlicher, elterlicher Zuwendung und so weiter. Eltern durch Geldstrafen zu intensiverer Interaktion mit ihren Kindern zu zwingen, wird nicht gelingen. Dadurch steigt nur der innerfamiliäre Stresspegel dem Schüler gegenüber, was vermehrt zu familiären Problemen führen wird.“
Außerdem ist zu hinterfragen, ob eine Geldstrafe für Eltern für potenzielle Schulschwänzer tatsächlich abschreckend wirken kann. Daran zweifelt auch Leo Ackerer, ebenfalls Lehrer am BG/BRG Lienz: „Ich frage mich, welch pädagogischer Wert hinter dieser Vorgehensweise stecken soll. Schülerinnen oder Schüler erfüllen ihre Pflichten nicht und bestraft werden dafür jene, zu welchen die Kinder und Jugendlichen in diesem Alter ohnehin meist ein angespanntes Verhältnis pflegen.“ Sarah Wieser, eine 14-jährige Schülerin aus Thal, glaubt ebenfalls nicht an dieses Konzept: „Anstatt Eltern, die in den meisten Fällen nichts vom Schulschwänzen ihrer Kinder wissen können, zu bestrafen, sollte es Maßnahmen für die Schüler selbst geben.“
Für Leo Ackerer „wäre es deswegen wesentlich zielführender, die Schulschwänzerinnen und Schulschwänzer selbst für ihr Fehlverhalten zu belangen. Diese könnten beispielsweise ihre unentschuldigten Fehlstunden gemeinnützig an der Schule wieder gutmachen, indem sie bei diversen Schulveranstaltungen mithelfen oder den Schulwartinnen und Schulwarten und dem Aufräumpersonal behilflich sind. Meiner Meinung nach überlegen es sich Jugendliche besser, ob sie den Unterricht schwänzen oder nicht, wenn sie mit ihrer Freizeit, anstatt ihre Eltern mit dem Portemonnaie dafür büßen müssen.“
Einen weiteren wichtigen Aspekt in dieser Debatte bringt Veit Rainer, ein 15-jähriger Schüler aus Matrei, ein: „Meiner Meinung nach muss man bei diesem Thema die Fälle differenziert betrachten. Außerdem kommen, ohne jemanden verurteilen zu wollen, betroffene Kinder meist aus sozial schwachen Familien, für die eine solche Geldstrafe nicht gerade leicht bezahlbar ist.“ Für Martin Karré bräuchte es deshalb unbedingt mehr „speziell geschultes und entsprechend gut bezahltes professionelles Unterstützungspersonal für Schulen und Familien, das Problemschülern hilft, wieder auf die Erfolgsspur zu kommen. Dies gibt es allerdings nicht kostenlos. Dafür Geld zu budgetieren ist der Gesetzgeber in Österreich leider nicht gewillt. Und so ist gerade auf dem Gebiet der Schulpsychologie und der Sonderbetreuung disziplinärer Problemfälle das österreichische Schulwesen eines der Schlusslichter in Europa.“
Dass gesetzliche Maßnahmen gegen das Schulschwänzen nur im Pflichtschulbereich und dann auch nur bei vollständigen Tagen und nicht einzelnen Stunden geregelt sind, lässt in dieser Debatte ebenfalls verwundern, denn vor allem im ländlichen Bereich ist das Schulschwänzen in Volksschulen, Neuen Mittelschulen oder der gymnasialen Unterstufe ein sehr geringes bis gar kein Problem. Anders sieht das in den höheren Klassen auf dem Weg zur Matura aus. Dort gibt es zig Gründe für das Schulschwänzen, wie manche vielleicht aus eigener Erfahrung wissen. Sie reichen von Unterforderung und Langeweile über das taktische Fehlen, um sich gezielt auf wichtige Prüfungen vorzubereiten oder Prüfungen zu umgehen, für die die Vorbereitungszeit nicht mehr reichte, bis zu völliger Überforderung und Schulangst. Von all den weniger dramatischen Gründen dazwischen gar nicht zu sprechen. Hier können nur Verhaltensnoten als Abschreckung gegen das Schulschwänzen eingesetzt werden.
Doch selbst in diesen höheren Jahrgängen müssen schnellere und höhere Geldstrafen für Schulschwänzer und deren Eltern als Abschreckungs- und Bestrafungssanktion hinterfragt werden, denn ob die Umsetzung eines solchen Gesetzes in der Praxis tatsächlich machbar ist, kann berechtigt angezweifelt werden. Außerdem können notwendige Gespräche mit Schülern, Erziehungsberechtigten, Schulpsychologen oder auch der Jugendwohlfahrt nicht einfach „effizient“ gekürzt werden, denn laut § 2 des Schulorganisationsgesetzes hat der Lehrer in seiner Unterrichts- und Erziehungsarbeit die der Erziehungssituation angemessenen persönlichkeits- und gemeinschaftsbildenden Erziehungsmittel anzuwenden. Geldstrafen zähle ich als Lehrerin nicht dazu.
Ein Posting
Strafen hilft selten bis gar nicht. Am Sinnvollsten ist ein Vieraugengespräch mit einer Vetrauensperson (KV z. B.), um die Gründe herauszufinden. In manchen Fällen findet man dann Anhaltspunkte zur Besserung der Situation. Belehrungen sind aber fehl am Platz.
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