Der Lienzer „Schlossberg“ heißt so, weil das Schloss Bruck an seinen Flanken thront, man könnte seinen Namen aber auch von einer anderen Bedeutung herleiten: er ist das Wasserschloss der Stadt, die fast zwei Drittel ihres gesamten Trinkwasserbedarfs aus seinen Quellen schöpft.
„Schlossbergwasser“ ist eine Marke unter Einheimischen, es sei das beste Wasser, schwören viele und gar nicht wenige füllen den kühlen Schatz dort in Flaschen, wo er in seiner reinsten Form aus dem Berg rinnt, am Schlossteich, aus der dort direkt gefassten Quelle. Ein Weg, den man sich sparen könnte, erklärt Wasserwerksleiter Karl Schupfer. „Unsere Hochbehälter sind nicht allzu groß, das Leitungswasser deshalb nicht älter als einen Tag und ebenfalls quellfrisch.“
Eine Million Kubikmeter Wasser verbraucht Lienz pro Jahr. Zu 90% kommt dieses Wasser aus Quellen, vorwiegend gefasst auf dem Hochstein, zum Teil auch am Fuße des Zettersfelds, wo etwa das Bezirkskrankenhaus Lienz eine Quelle besitzt, die in die Infrastruktur des städtischen Wasserwerkes integriert ist. Die restlichen 10% liefert der Tiefbrunnen südlich des Dolomitenstadions. Verteilt wird das Wasser über eine Ringleitung, die 30 Zentimeter Durchmesser hat und rund um die Innenstadt führt. Von dort zweigen die Leitungen der Konsumenten wie Äste ab, insgesamt ca. 3000 Anschlüsse.
Für die Endverbraucher kostet der Kubikmeter Trinkwasser in Lienz derzeit exakt einen Euro netto, oder in anderen Worten, ein Liter reines Quellwasser kostet nur 0,1 Cent! „Komisch, dass die Leute trotzdem Mineralwasser kaufen“, wundert sich Schupfer. Der Preis ist verglichen mit anderen Städten durchschnittlich. In Kitzbühel und Kufstein kostet der Kubikmeter rund 80 Cent, in Matrei i. O. dagegen den Spitzenwert von 1,35 Euro netto.
Das Wasserwerk wird als autarker Wirtschaftsbetrieb geführt, erwirtschaftet alljährlich einen kleinen Gewinn und investiert sämtliche Einnahmen aus dem Wasserverkauf direkt und zweckgebunden in die Aufrechterhaltung der Versorgung, deren Wurzeln in das 16. Jahrhundert zurückreichen. Die Quelle „Pappernitz“ speiste 1596 den ersten Brunnen von Lienz vor der Michaelskirche. 1897 wurde der erste Hochbehälter auf dem Schlossberg mit Quellwasser gefüllt. Von dort braucht das Wasser übrigens zwölf Minuten bis ins Tal. Wohin das frische Nass plätschert, sehen Schupfer und seine Mitarbeiter in Echtzeit auf ihren Computerschirmen. Selbst ein Laie erkennt dort auf den ersten Blick, durch welches Rohr des insgesamt 60 Kilometer langen Leitungsnetzes gerade wieviel Wasser fließt.
Im Schnitt sind es 35 Liter pro Sekunde. An manchen Sommerabenden kann der Gesamtverbrauch der Stadt auf bis zu 100 Liter/Sekunde ansteigen, dann werden Gärten gegossen, Hotelgäste stehen unter der Dusche, Badetücher und Autos werden gewaschen – und viele Klospülungen gedrückt. Sie verbrauchen aus Konsumentensicht am meisten Wasser, 30 bis 40 Liter pro Tag und Nase, wenn man EU-Statistiken glauben darf. Im internationalen Vergleich liegen die Lienzer auch beim Wasserverbrauch im Durchschnitt. „Der Pro-Kopf-Trinkwasserverbrauch liegt bei 150 Liter am Tag“, erklärt Schupfer, da sei die Industrie aber schon eingerechnet. Zieht man den gewerblichen Wasserverbrauch ab, verpritscheln die Dolomitenstädter um die 120 Liter pro Tag, Tendenz sinkend. Auch das ist ein internationaler Trend, erklärbar vor allem durch immer bessere Haushaltsgeräte. Moderne Geschirrspüler und Waschmaschinen brauchen nur einen Bruchteil der Wassermenge ihrer technologischen Vorgänger. Außerdem hat die Badewanne in vielen modernen Haushalten ausgedient. Duschen braucht weniger Wasser. Fast verschwindend gering ist zu guter Letzt jener Anteil am köstlichen Nass, den wir zum Überleben brauchen: das Wasser, das wir tatsächlich trinken. Zwischen zwei und fünf Liter rinnen pro Kopf und Tag durch die Gurgel, als buchstäbliches „Trinkwasser“.
Trinkwasser könnte bald auch Strom erzeugen
Angst vor dem Verdursten ist im Lienzer Talboden nicht angebracht, dafür sorgt ein „unterirdischer Stausee“ mit enormen Grundwassermengen. 600 Meter tief wurde das Becken, in dem Lienz liegt, vor Jahrtausenden mit Schwemmmaterial aufgefüllt, das sich am „Kärntner Tor“ aufstaute und die Wassermassen in unterschiedlichen Schichten und Kammern umschließt. Gut 20 Meter hoch ist die oberste Schicht, die das Grundwasser vor Verunreinigungen und Kontaminierung schützt. Wasserwerker Schupfer: „Wir könnten problemlos alle Gemeinden des Talbodens versorgen“.
Auch für einen in unseren Breiten immer häufiger auftretenden Wasserfresser steht ausreichend Futter zur Verfügung: Schneekanonen. Künstliche Beschneiung braucht Trinkwasser, das in Speicherteiche auf dem Hochstein und dem Zettersfeld gepumpt wird. Im Gegensatz zu anderen Liftbetreibern in Osttirol zahlen die Lienzer Bergbahnen den vollen Trinkwasserpreis, immerhin 80.000 Euro pro Jahr. Die Beschneiungsteiche wurden mit öffentlichen Mitteln angelegt, im Gegenzug gibt es eine Abnahmegarantie der Bergbahnen für 25 Jahre. Vor dem Hintergrund der Diskussion über die Schließung von Hochstein-Liften im Winter ein nicht ganz uninteressanter Aspekt. Werden Pisten aufgelassen, verlieren die Speicherteiche ihren Sinn und die Stadt einen Großabnehmer für ihr Wasser. Dessen kommerzielle Nutzung könnte demnächst auch noch in einer anderen Variante für Diskussionsstoff sorgen.
Trinkwasserkraftwerke erleben derzeit einen Boom und auch die Lienzer Stadtverwaltung tüftelt an Projekten, die das Gefälle zwischen den Quellen auf rund 2000 Metern Seehöhe und den Hochbehältern zur Stromgewinnung nutzen. Eine Studie des Ziviltechnikers Arnold Bodner liegt vor und bescheinigt einerseits die Machbarkeit eines solchen Vorhabens, andererseits aber auch beträchtliche Kosten bei vergleichsweise wenig Ausbeute.
Zwischen 20.000 und 30.000 Euro pro Jahr könnte der Ertrag eines Lienzer Trinkwasser-Kraftwerks liegen. Sein Bau würde aber eine halbe Million Euro kosten. Ob das eine Option ist, wollte der Leiter des Wasserwerkes gegenüber Dolomitenstadt nicht beurteilen. „Aber eines weiß ich“, fügt Schupfer an, „wenn wir das machen, rufen mich sicher die Leute an und beschweren sich, dass das Wasser irgendwie komisch schmeckt, obwohl Geschmack sehr subjektiv ist und es dafür keinerlei technischen Grund gibt.“
Vielleicht fahren wir demnächst doch lieber zur Quelle am Schlossteich und genießen dort in vollen Zügen, was unverfälscht, eiskalt und unendlich köstlich direkt aus der Schlossberg-Erde sprudelt.
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