Ein botanisches Thema in einer Winterausgabe des DOLOMITENSTADT-Magazins? Und noch dazu ein sehr Unkonventionelles über Weiden – darf das sein? Bevor Sie sich dies fragen, geschätzte Leser, und eventuell schon zum Umblättern ansetzen, vorweg ein paar spannende biologische Fakten, die Sie (hoffentlich) zum Weiterlesen animieren. Haben Sie etwa gewusst, dass
• die Weiden eine wichtige ingenieurbiologische Rolle bei Bepflanzungen spielen und u.a. als Arzneimittel (Salicylsäure = Wirkstoff in Aspirin) Verwendung finden?
• es in Österreich insgesamt 33 verschiedene Weidenarten gibt, die in unterschiedlichen Wuchsformen eine sehr breite Palette an Lebensräumen von den Tallagen bis in die Gipfelbereiche besiedeln?
• der kleinste „Baum“ der Welt, nämlich die in alpinen Schneetälern beheimatete Kraut-Weide (Salix herbacea), auch in Osttirol vorkommt?
• es neben einigen häufigen Weidenarten auch zahlreiche sehr seltene und stark bedrohte Weidenarten in Österreich gibt?
• in den Ostalpen und damit auch in den Hohen Tauern mit der Tauern-Weide (Salix mielichhoferi) eine endemische, das heißt weltweit nur hier vorkommende Art auftritt?
• die leichten Weidensamen durch den Wind mitunter über 100 Kilometer weit ausgebreitet werden und die Weiden generell zweihäusig sind (d.h. es gibt rein männliche und rein weibliche Pflanzen)?
Die Liste wissenswerter Dinge über Weiden könnte noch um einige Punkte ergänzt werden, aber nun zum eigentlichen Thema dieses Beitrages, zur Lorbeer-Weide. Diese besitzt den wissenschaftlichen Artnamen Salix pentandra, was übersetzt „Fünfmännige Weide“ heißt, da bei den männlichen Blütenkätzchen jede Einzelblüte fünf Staubbeutel aufweist. Es handelt sich um einen bis zu 15 Meter hohen Baum, der in Feuchtgebieten von den Tallagen bis zur Waldgrenze vorkommt. Die balsamisch duftenden Blätter sind glänzend und lederartig, sodass sie ein wenig an jene des Lorbeerbaumes erinnern (daher der deutsche Name). Diese Weide ist in Österreich selten bis sehr selten anzutreffen und steht vielerorts auf den sogenannten Roten Listen.
Was das alles mit dem Winterhalbjahr und dem Tassenbacher Speicher zu tun hat? Ganz einfach: Am Tassenbacher Speicher liegt aus heutiger Sicht das Hauptvorkommen dieser Weidenart in Osttirol, die dort in rund 50 Individuen rund um den Speichersee auftritt. Ansonsten sind nur wenige weitere und deutlich kleinere Vorkommen aus dem Bezirk Lienz bekannt, und zwar im Tauerntal nördlich von Gruben, in der „Brühl“ bei Matrei, im Defereggental bei St. Jakob, am Sinkersee im Villgratental, in Sillian nahe Arnbach und in der Schwalen bei Kartitsch.
Besonders auffallend ist die Lorbeer-Weide im Herbst/Winter, wenn sie in Fruchtreife steht. Dann nämlich hängen die rund fünf Zentimeter großen weiblichen Kätzchen wie kleine weiße Baumwollballen an den blattlosen Ästen und entlassen ihre Samen. Letztere hängen dabei an sogenannten Flugapparaten, die von feinen Haarschöpfen aufgebaut werden. Fährt der Wind in die reifen Kätzchen, tanzen die weißen Samenpakete wie Schneeflocken vom Mutterbaum davon, wobei sie bei Aufwinden in höhere Luftschichten verfrachtet und dann letztlich weitab vertragen werden können. Bemerkenswert ist, dass die Lorbeer-Weide unter den Weiden jene Art ist, die am spätesten im Jahr (meist erst im Sommer) blüht und demzufolge auch am spätesten im Jahr ihre Samenreife erlangt: Keine andere Weide streut im Spätherbst/Frühwinter noch ihre Samen aus! So handelt es sich also um ein einzigartiges, jährlich wiederkehrendes Naturphänomen, das wir am besten und noch dazu leicht zugänglich am Tassenbacher Speicher bestaunen können.
Aber der Tassenbacher Speicher hat im Winterhalbjahr noch einiges mehr zu bieten, sodass sich ein Spaziergang dort zu dieser Zeit lohnen könnte. So lassen sich hier Wasservögel sehr gut beobachten, insbesondere die allgegenwärtigen und gerne angefütterten Stockenten. Aber auch im Bezirk Lienz seltenere Arten wie Teichhuhn, Reiherente, Zwergtaucher oder Graureiher können dort entdeckt werden. Ein inzwischen neu gestalteter naturkundlicher Themenweg führt um das 1989 künstlich geschaffene Stillgewässer, das in rund 30 Minuten Gehzeit umrundet werden kann. Vielleicht ein Tipp abseits des weihnachtlichen Trubels?
Noch ein kurzer Nachsatz zur Lorbeer-Weide und zur „Winter-Botanik“: Die späte Blüte und das späte Ausstreuen der Samen hängen nicht mit dem Klimawandel zusammen, sondern es handelt sich vielmehr um natürliche biologische (genetisch fixierte) Arteigenschaften. Schon eher könnte das zunehmend beobachtbare frühe Blühen zahlreicher heimischer Pflanzenarten in den schneearmen Wintermonaten diesem Phänomen in die Schuhe geschoben werden – auch ein spannendes, unkonventionelles Botanikthema, über das vielleicht in einer der folgenden Ausgaben des DOLOMITENSTADT-Magazins mehr zu erfahren sein wird.
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