Beides besitzt Christina Winkler-Darby in großem Stil. Sie trägt es mit jener Sicherheit, aus einer Familie zu kommen, in der man sich Verrücktheiten leisten kann, aber eben auch die Kreativität besitzt, diese umzusetzen. So verwundert es nicht, dass sie eines Morgens ihren Mann quer über die Frühstückslektüre mit dem Satz überfiel: „Ich eröffne übrigens eine Galerie.“ Die kleine Nachfrage, ob das ein Scherz sei, kommentierte sie mit der Information, dass in 15 Minuten die ersten Handwerker eintreffen würden.
Das war vor zehn Jahren und wenn man die Londoner Designerin, die unter anderem mit Vivienne Westwood und Yves Saint Laurent zusammengearbeitet hat, fragt, ob Lienz ein schwieriges Pflaster für Kunst sei, antwortet sie mit Nein und Ja zugleich. Man müsse eben auf die Leute zugehen, ihnen Kunst vermitteln, Grenzen überwinden und die Angst vor etwas Hochgestochenem nehmen. „Viele meiner Kunden würden im Normalfall gar nicht in eine Galerie gehen. Sie finden das eher beängstigend, Vernissagen ganz besonders.“ Manchmal findet sie es selbst furchterregend oder eher furchtbar, wenn Galerien Kunst verkaufen, ohne die Menschen einzubeziehen.
„Ich glaube, ich bin ein ziemlich offener Mensch“, sagt sie und schaut einem dabei ganz direkt ins Gesicht, ehe ihre Hände die Konversation übernehmen und sie sich lachend ihrem eigenen Tun geschlagen gibt. Dafür ist sie bekannt: dass sie sich forttragen lässt von einer Stimmung, einer Eingebung, einer Idee – und dass sie begeisterungsfähig ist. Bis hin zu dem Punkt, wo sie sagt, sie will einige Osttiroler Talente nächstes Jahr in ihrer Heimatstadt London präsentieren – gerade arbeitet sie an der Umsetzung dessen.
Fragt man sie nochmals nach Lienz als Standort, lacht sie und meint, dass man ihr zu Beginn keine paar Wochen gegeben hätte, aber damals kannte man sie noch zuwenig. Heute ist das ein wenig anders. Christina Winkler-Darby scheint ohnehin sehr genau zu wissen, was sie will. „Vielleicht hilft meine Art mit, den Leuten die Furcht vor der Beschäftigung mit Kunst zu nehmen. Man kann den Leuten sowieso nichts einreden. Sie wissen immer, was sie wollen.“
Ein guter Freund, langjähriger Galerist in London, gab ihr einst als Rat für die Galerieeröffnung mit: „Glaube nie, du könntest den Leuten etwas verkaufen. Der Kunde kauft sein Bild immer selbst.“ Daran hat sie sich in all den Jahren gehalten, wissend, dass es die Bilder sind, die die Beziehung zu den Kunden aufbauen. So gesehen ist Christina Winkler-Darbys Aufgabe jene der Vermittlung. Manchmal nennt sie sich Mediatorin zwischen Bild und Kunde. Sie stellt den Kontakt her, sorgt dafür, dass die richtigen Bilder zur richtigen Zeit vor Ort sind – genau das sei ihre „delikate Aufgabe“, sagt sie.
Gerade ist eine sehr erfolgreiche Ausstellung von Reinhard Egger und Fredy Fuetsch zu Ende gegangen, doch manchmal geht auch etwas daneben, dann hängen Bilder an den Galeriewänden, die sich an anderen Orten bestens verkaufen und die hier niemand will. Eine dunkle Leinwand als Ausgangsbasis etwa – in Osttirol derzeit unverkäuflich, woanders ein sicherer Erfolg. Dasselbe gilt für die Fotografie, in die man in Lienz anscheinend nach wie vor äußerst ungern investiert. Kunst ist eben doch Geschmacksache und immer auch regionalen Regeln unterworfen. Das allerdings hat Christina Winkler-Darby schon in München gelernt, später in Stuttgart und Paris.
Sie selbst begann Kunst zu sammeln, als sie 19 Jahre alt war, damals mit ihrem ersten selbstverdienten Geld. Sie freut sich offensichtlich, wenn sie diese Geschichte erzählt, doch eigentlich begann alles schon wesentlich früher: Ihr Ururururgroßvater Abraham Darby baute die erste Stahlbrücke der Welt und erhielt im Zuge einer daraus entstandenen Freundschaft ein Original von William Turner als Hochzeitsgeschenk. Über Generationen hing das Gemälde über dem Kamin des Familienhauses. Christina Winkler-Darby verliebte sich als kleines Mädchen in das Bild und wünschte sich zum siebten Geburtstag, es in ihr Kinderzimmer hängen zu dürfen. Am nächsten Morgen hing es dort und hängt dort bis heute.
Etwas von dieser frühen Liebe zur Kunst möchte sie weitergeben. Es ist nur eine der Aufgaben, die sie in Lienz für sich sieht: Menschen zur Kunst zu bringen, insbesondere Kinder und Jugendliche. In diese Richtung zielen auch einige ihrer Ideen für die nächste Zukunft: die Jugend zu fördern, einerseits junge Künstler, wie kürzlich, als sie einen jungen Osttiroler für seine Aufnahmeprüfung an der Angewandten in Wien beriet – ob Zufall oder nicht, nach vorangegangenen Fehlschlägen wurde er diesmal aufgenommen. Die ehrliche Freude darüber ist ihr anzumerken.
Andererseits möchte sie Kinder für Kunst begeistern, ganz ohne Zwang und ohne den Druck, etwas Besonderes leisten zu müssen. Einfach nur die Freude zu spüren, die sie selbst an diesem Thema hat. Umgekehrt könnte sie Materialien zur Verfügung stellen, einen Raum und eine Künstlerin oder einen Künstler, die/der das Ganze trägt. Ein derartiges Kunstprojekt hat vor einiger Zeit in ihrem Garten stattgefunden. Es wird nicht das letzte gewesen sein.
Überrascht es, dass sie gerade wieder Pläne schmiedet oder eigentlich schon mitten in deren Umsetzung ist? Ihr Mann erfuhr es wieder so nebenbei. Das kostet sie ein herzliches und liebevolles Lachen und sie sagt selbst, dass er eigentlich noch nicht genau wisse, was sie vorhabe. In Lienz wird das Ergebnis im Februar oder März sichtbar sein und soviel sei verraten: Es ist jenes Quäntchen Londoner Lebensstil, das Lienz ganz gut brauchen kann.
Und dann, mitten im Gespräch, schaut sie auf ein Bild, beginnt laut zu lachen und erklärt, was sie darin entdeckt hat. Leidenschaft blitzt in ihren Augen auf und die Worte überschlagen sich. Jetzt versteht man, was sie eingangs mit dem Satz meinte: „Kunst war und ist mein Schicksal.“ An diesem Punkt wiederholt sie es, diesmal ganz ernst, ganz bei der Sache.
Ungefähr so läuft ein Besuch in der Galerie 9900 ab. Man geht durch die Ausstellung, sie spricht einen an, man hört ihr zu, ein wenig Smalltalk, dazwischen eine Kunstdiskussion, Geschichten aus der Vergangenheit in entwaffnender Direktheit vorgetragen, und währenddessen scheinen die Bilder neue Gestalt anzunehmen und zum Hinschauenden zu sprechen. Das ist die Kommunikation zwischen Kunstwerk und Mensch, die ihr Londoner Freund angesprochen hatte. Man lässt sich darauf ein oder nicht, mehr ist nicht möglich.
Und dann verlässt man die Galerie und stellt vielleicht fest, dass man gerade ein Bild gekauft hat und dass es ein ziemlich guter Tag ist. Die Spontaneität und Begeisterungsfähigkeit der Galeriebesitzerin ist ansteckend.
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