Krampus
Lauf!
Krampus Lauf!
Wenn du dir die Maske überziehst, bist du ein anderer.

Fragt man Osttiroler, was ganz besonders osttirolerisch ist, dann kommt nach den Schlipfkrapfen gleich der Krampus. Eine historisch hinterfragbare Tatsache.

Glaubt man dem prominenten Südtiroler Manager Richard Piock, dann steht die Osttiroler Identität auf eher schwachen Beinen. Zumindest Anfang Dezember ändert sich das schlagartig im Sinn des Wortes. Da wird der männliche Osttiroler nämlich nicht selten zum Krampus oder Klaubauf und damit zur Zentralfigur eines Brauches, den die Einheimischen als besonders „oschttirolerisch“ sehen. Heute mehr denn je. Die Krampusläufe wurden in den vergangenen Jahren zu regelrechten Festspielen, etwa in der Stadt Lienz, wo drei Tage lang alles im Zeichen der zotteligen Manda steht und nicht nur unter Jugendlichen ein regelrechter Krampushype um sich greift. Kein Videothema wird auf dem Youtube-Channel von DOLOMITENSTADT öfter angeklickt, als Filme über den Krampuslauf. Mehr als eine Million Aufrufe in einem Jahr sprechen Bände. Dabei wirken die historischen Wurzeln des Brauches gegen die Wucht seiner heutigen Inszenierung etwas mager und verlieren sich vor ungefähr 350 Jahren.

Er ist noch der freundlichste unter den schrecklichen. Der Lotter.

Manche Bauernhäuser in Osttirol sind damit älter als die Krampusse, deren frühester – nachgewiesener – Urahn Veit Eder hieß und sich mit seinen Kumpels im Jänner 1668 vor dem Gericht in Lienz verantworten musste. Sie hatten, als „Perchtln“ verkleidet, einen Mann namens Peter Ackherer gehörig erschreckt und womöglich sogar vermöbelt. 1719 gibt es wieder einen Gerichtsbucheintrag, da seien „3 leedige Paurn Söhn“ in  Nörsach in „verstölten Claidern Perchten geloffen“ und mussten zur Strafe zwei Gulden hinblättern. Wunderbar zusammengefasst sind all diese historischen Fakten und soziologischen Deutungen im schönsten Krampusbuch, das je erschienen ist: „Entlarvt – Ein Buch über Osttirols Krampusbrauch & seine Schnitzer“. Herausgegeben hat es 2011 der Lienzer Krampusverein Nikramo, dessen Obmann Kurt Glänzer nicht nur auf unserem Titelbild als Dirigent der Hundertschaften auftritt, die alljährlich durch die Lienzer Gassen rennen.

Glänzer und seine Mitstreiter setzen sich sehr ernsthaft mit der kunsthandwerklichen Komponente des Krampusbrauches auseinander, „entlarven“ den einen oder anderen Mythos und zeigen sehr schön, wie auch dieser Brauch durch die Megatrends der Neuzeit beeinflusst und verändert wurde. Wer etwa die grausigen Larven für eine uralte Osttiroler Erfindung hält, wird eines Besseren belehrt. Nicht brave Osttiroler Bauernsöhne haben vor hunderten von Jahren die Charakterköpfe erfunden, vor denen uns heute ordentlich graut.

Ganz im Gegenteil. Die Krampusfratzen, die wir kennen, kommen eigentlich aus Amerika oder – noch schlimmer – aus Hollywood! Wie in der Nikramo-Krampusbibel nachzulesen, schnitten die Perchtenläufer früherer Tage höchstens ein paar Augenlöcher in Felle oder Stoff. Die beeindruckenden hölzernen Kunstwerke der Jetztzeit haben ihre stilistischen Wurzeln in den dreißiger Jahren, als der Matreier Tobias Trost eine genreprägende Larve schnitzte, die erste übrigens, bei der der Träger nicht durch die Augen sondern durch die Nasenlöcher blickte.

Trost hatte einen epochalen Film gesehen: King Kong. Von diesem Riesenaffen beeindruckt, schnitzte er eine Maske mit den Zügen eines Gorillas und wurde zum künstlerischen Urahn vieler heutiger Larvenschnitzer, von denen wir einen der besten auf den folgenden Seiten vorstellen. Trosts Urgorilla zeugt noch immer Nachwuchs, prominente Schnitzer, darunter etwa Konrad Glänzer oder der Virger Michael Lang, haben Gorilla-Larven in ihrem Oeuvre.  Und wie der Leinwandklassiker aus den Dreißigern prägen auch heute noch die epischen Produkte der kalifornischen Filmstudios die Züge jener abgründig hässlichen Gesellen, die durch heimische Dörfer klumpern. Ork, Mumie, Oger, Jeepers Creepers, Gollum , Losach Beast, Der Bluatige und all die anderen, oft namenlosen Gesellen könnten Fantasy- oder Horrorfilmen entsprungen sein und überall auf der Welt das Publikum zutiefst erschrecken.

Letztlich  ist die Realität der Osttiroler Krampusnächte eine meisterliche Inszenierung dessen, was allen großen Theaterdramen seit der Antike ihre Spannung gibt. Das Publikum spürt die Angst aufkeimen, hält den Atem an und hat Gänsehaut, so schrecklich ist der Anblick, so archaisch das Getöse. Doch tief im Inneren weißt du – die Schlacht ist nur gespielt, die Opfer stehen wieder auf und am Ende der Nacht sitzen alle zusammen und erzählen zufrieden von ihren Heldentaten.

Credits
  • Autor: Gerhard Pirkner
  • Fotografie: Martin Lugger

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