„Meine ersten acht Lebensjahre habe ich im Flüchtlingslager Haiming verbracht – sehr schöne Jahre. Wir hatten eine wirklich gute Zeit“, schildert Elisabeth Salvador-Wagner, die sich gerne an ihre Kindheit zurückerinnert. 1949 ist sie als Tochter donauschwäbischer Eltern in Zams geboren, anschließend im Flüchtlingslager Haiming aufgewachsen. Im Alter von acht Jahren zog sie mit ihrer Familie in die Siedlung Frieden Völs. Letztes Jahr hat die pensionierte Geschichtswissenschaftlerin ihre zweite Publikation über ihre Forschung zu den donauschwäbischen Flüchtlingen in Tirol unter dem Titel „Gemeinsame Erfahrungen von Flucht, Vertreibung und Integration“ im Innsbrucker Universitätsverlag Wagner mit reichlich Bildmaterial veröffentlicht. Tirolweit ist sie derzeit die einzige Historikerin, die sich diesem Thema widmet. Die Quellenlage sei sehr bescheiden. Dennoch, oder gerade deshalb, schien es ihr bedeutsam, die Geschichte der Donauschwaben in Tirol festzuhalten.
„Lange Zeit habe ich nicht über meine Wurzeln als Tochter von Flüchtlingen gesprochen, weil das in Tirol nicht immer gut angekommen ist“, so Salvador-Wagner. Ihre Familie stammt aus dem südlichen Banat in der Nähe der serbischen Hauptstadt Belgrad. In dieser Region wurden nach den Türkenkriegen durch die Habsburger zahlreiche „Kolonisten“ aus den österreichischen Erbländern und dem Deutschen Reich angesiedelt, um das verwahrloste Land wiederaufzubauen und die Militärgrenze gegen das Osmanische Reich zu sichern. So zählte die deutsche Volksgruppe bis vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs fast eine halbe Million im Königreich Jugoslawien, wo sie durch ihren Status als Minderheit nicht immer hohes Ansehen genoss.
Der Verlauf ihrer Geschichte drehte sich schließlich 1941 mit dem Einmarsch des Deutschen Reichs in Jugoslawien. Die Donauschwaben wurden vom NS-Regime zu Volksdeutschen erklärt und erhielten somit die gleichen Rechte und Pflichten wie die Deutschen. Nur wenige Donauschwaben schlossen sich freiwillig der neu gegründeten Waffen-SS-Division „Prinz Eugen“ oder der Wehrmacht an, der Großteil wurde zwangsverpflichtet.
Zum Verhängnis wurde dies der deutschen Volksgruppe gegen Ende des Krieges, als die Tito-Partisanen Jugoslawien von den Deutschen befreiten und die Verfolgung und Vertreibung der Volksdeutschen in ihrem Land vollzogen, die sie der Kollektivschuld bezichtigten. „Meine Schwester ist nach Russland deportiert worden, mein Vater auch. Meine vier Großeltern sind in einem Sonderlager für Alte, Arbeitsunfähige und Kinder umgekommen, meine Mutter und mein Bruder waren drei Jahre lang in jugoslawischen Lagern interniert, dann ist ihnen die Flucht gelungen, sie sind über die Steiermark nach Tirol gezogen. Das Rote Kreuz hat dafür gesorgt, dass unsere Familie wieder zusammengekommen ist. Und so bin dann auch ich noch entstanden“, erzählt Salvador-Wagner über ihr persönliches Schicksal.
In Österreich ist dieser Aspekt der Geschichte kaum im öffentlichen Bewusstsein. „Das liegt unter anderem auch daran, dass unter den Donauschwaben selbst wenig Interesse besteht, das Thema aufzuarbeiten“, meint die Historikerin und verweist auf den Status der Opferrolle, der bei einer kritischen Auseinandersetzung aufgegeben werden müsse. Mit ihrer Forschung möchte sie aber nicht nur vor Vergessen bewahren, sondern auch eine andere Botschaft vermitteln: „Dass das Leben in einem Lager für Kinder und Jugendliche ein gutes Leben sein kann, das kann sich heute niemand mehr vorstellen“.
Elisabeth Salvador-Wagner will von der Kultur und den Communities im Lager erzählen – so hätten sie dort etwa Musikinstrumente gehabt, Theater wurde gespielt und es gab Filmvorführungen. „Die Leute aus den Dörfern um Haiming und Kematen sind in die Lager gepilgert, um ins Kino zu gehen oder um Fußball zu spielen“. Fußballplätze habe es damals in den Dörfern noch gar nicht gegeben. In Haiming, Kematen und in Völs seien diese erst von Flüchtlingen angelegt worden. „Das ist den Menschen heute nicht mehr bewusst. Und diese Erkenntnis möchte ich wieder wecken: Wir haben von den Flüchtlingen ja auch etwas gekriegt. Die haben uns etwas geboten“.
Indem die Historikerin über die Geschichte der ehemaligen Lager informiert, weist sie gleichzeitig auf die Missstände in gegenwärtigen Flüchtlingslagern hin. „Wir hatten damals genügend Raum, um uns zu entfalten – gleichzeitig fühlten wir uns beschützt. Außerdem wurde für unsere Existenzgrundlage gesorgt und es wurde uns die Möglichkeit zur Bildung geboten“, was die Integration in die Gesellschaft erheblich förderte. Das alles habe Österreich finanziert und ermöglicht, „vielleicht auch nicht ganz freiwillig, aber trotzdem hat der Staat die Verpflichtung übernommen – es war damals möglich, anders mit geflüchteten Menschen umzugehen“. Dabei müsse man bedenken, dass dies zu einer Zeit geschah, in der Österreich selbst ein armes Land war, sich erst im Wiederaufbau befand und auf Lebensmittellieferungen aus dem Ausland angewiesen war.
Heute verzeichnet unsere Gesellschaft Wohlstand und Überfluss. Trotzdem müssen Menschen auf der Flucht in Europa ums Überleben kämpfen. Die Europäische Union ist weit davon entfernt, deren Grundbedürfnisse sicherzustellen und ihnen Chancen in Bildung und Beruf zu gewährleisten. „Zahlreiche Migrantinnen und Migranten sind heute auf das Existenzminimum beschränkt – mehr tut man nicht für sie, da schaut man lieber gar nicht hin“, folgert Salvador-Wagner. Über die Geschichte der donauschwäbischen Lager in Tirol macht sie persönliche Erzählungen von Flucht zugänglich – für eine Gesellschaft, die sich zum Großteil nicht vorstellen kann, wie es ist, auf der Flucht zu sein. „Ich denke, jeder kann in irgendeiner Form einen Beitrag leisten oder bewusstseinsbildend sein, das war halt jetzt mein Weg“.
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