Ein junger Kalser katapultierte sich mit minimalen Mitteln und viel Leidenschaft an die Spitze der Motocross-Szene. Selbst ein Oberschenkelbruch konnte Johannes Wibmer nicht daran hindern, in den Kampf um den Staatsmeistertitel einzugreifen.
Mit vier Jahren setzt sich Johannes Wibmer zum ersten Mal auf ein Motorrad. Begleitet von seinem Vater Georg dreht er im Schritttempo ein paar Runden. Der erste Sturz ist unvermeidlich, aber der Knirps steigt sofort wieder auf und fährt weiter. Also kauft Georg Wibmer eine gebrauchte Motocross-Maschine, repariert sie und beginnt seinen Sohn zu trainieren. Spontan und nicht mit einem Erfolg rechnend, nimmt Johannes 2010 das erste Mal an einem Rennen teil. Mitten in der Saison steigt er in den Kini Alpencup ein, eine Rennserie für Nachwuchstalente, und beendet die Saison als Fünfter in der Klasse bis 50 Kubikzentimeter. Damit ist für Vater und Sohn klar, was angesagt ist: Gas geben! Ein Jahr später wird Johannes Dritter und 2012 steht er schließlich ganz oben auf dem Stockerl und gewinnt – mit sieben Jahren – den Alpencup. Er wird in das KTM-Kini-Junior-Team aufgenommen.
2014, 2015 und 2017 wiederholte der Kalser seine Alpencup-Gesamtsiege, mittlerweile schon aufgestiegen in die Klasse bis 85 ccm. In der Jugend-Staatsmeisterschaft belegte Wibmer 2017 als 13-Jähriger den fünften Platz und längst ist allen in der Szene klar, hier fährt ein Ausnahmetalent. Was ist das Geheimnis hinter seinem Erfolg? Und ist die wilde Jagd auf der Maschine eigentlich gefährlich? „Es ist einfach ein cooles Gefühl kurz vor einem Start. Man denkt nur noch an die Strecke und hat gar keine Zeit Angst zu haben“, erklärt mir Johannes. Wir sind Nachbarn und ich glaube ihm, dass bei allem Ehrgeiz der Spaß an der Sache an vorderster Stelle steht, wenn es um die Frage nach der Motivation geht. Der Wettkampf selbst sei natürlich auch ein Ansporn, aber ohne das Vergnügen am Fahren wäre Johannes nie so weit gekommen, davon ist auch sein Vater überzeugt: „Kurz vor einem Rennen ist er wie ein anderer Mensch“, verrät uns Georg.
Einen gewaltigen Rückschlag musste der junge Kalser am Beginn der diesjährigen Saison wegstecken. Ein Oberschenkelbruch zwang ihn zur Ruhe. Als „untypisch und unspektakulär“ bezeichnen seine Eltern den Sturz, der zur schweren Verletzung führte. Fünf Monate dauerte es, bis Johannes wieder am Startgatter stand und auf ein Neues losfegte. Nach dem Bruch war nicht klar, ob in der Saison 2018 überhaupt noch ein Wiedereinstieg gelingen könnte, aber dank Physiotherapie und hartem Training kehrte der junge Motocrosser spektakulär ins Renngeschehen zurück.
Seine Mutter Roswitha denkt über die Verletzung nach: „Es war ein ganz eigenes Kapitel für uns alle, die erste schwere Verletzung“. Vor allem für Johannes selbst sei das eine Herausforderung gewesen. Monate lang keine Rennen fahren und zusehen müssen, wie alle besser werden, nur er selbst nicht. „Man fängt eigentlich unter Null wieder an“, so sein Vater. Natürlich machten sich die Eltern Sorgen um die Gesundheit von Johannes, vor allem bei den ersten Fahrten nach dem Bruch. Aber seine Selbstsicherheit war verblüffend schnell wieder da.
Ein großer und wichtiger Bestandteil seiner Karriere ist Georg. Ohne ihn wäre der Erfolg in dieser Form wohl ausgeblieben. Denn Georg ist nicht nur Vater sondern ständiger Begleiter, Trainer und Mechaniker, der sich um die Instandhaltung der Maschinen kümmert. Einen gewöhnlichen Transporter hat er eigenhändig zu einem mobilen Wohnparadies mit Werkstatt, Küche und Schlafmöglichkeit umgebaut. Mit diesem Wohnmobil fahren Johannes und Georg zu den Trainings und den Wettkämpfen. „Die beiden verstehen sich mittlerweile ohne Worte“, so seine Mutter über die Beziehung zwischen Vater und Sohn.
Nach der Hauptschule in Kals will Johannes ab Herbst in die HTL in Lienz wechseln. Obwohl er zurzeit mühelos gute Noten schreibt, ist noch offen, ob es in der neuen Schule genauso sein wird und er dann noch genug Freizeit für den Motocross-Sport haben wird. Weder er noch seine Eltern können abschätzen, ob er in zehn Jahren ebenso professionell seine Leidenschaft verfolgen wird, wie derzeit. Solange er selbst und sein Vater genug Zeit dafür und Spaß daran haben, bleiben sie aber ein eingespieltes Team.
In Osttirol gibt es keine geeignete Trainingsstrecke, deshalb wird in Südtirol trainiert. Dort gibt es eine größere Auswahl an Strecken als in Nordtirol und Salzburg. Durchschnittlich wird zweimal wöchentlich trainiert. Ohne die Pausen beträgt die Fahrtzeit vier bis fünf Stunden. Im Winter steigt Johannes auf Krafttraining um. Spektakulär sind die Erfolge des jungen Kalsers vor allem dann, wenn man sich die Konkurrenz ansieht, die mit viel Geld in Belgien, Frankreich und Spanien trainieren kann und direkt in der Nähe Rennstrecken hat. Johannes fährt mit minimalen Mitteln an der Spitze mit. Roswitha ist sehr stolz auf ihn: „Er hat ein sehr großes fahrerisches Talent, ansonsten wäre das alles nicht so möglich gewesen, wie es gekommen ist.“
Wie ist der aktuelle sportliche Stand? „Wir haben dieses Jahr schon auf den Staatsmeistertitel geschielt – dann kam der Sturz dazwischen. Jetzt ist die Saison vorbei. Johannes hat das Feld aufgerollt und wurde in einem fulminanten Finale beim Nachtlauf in Imberg nun Gesamtdritter der international ausgeschriebenen Staatsmeisterschaft“, erklärt Georg. Vor dem jungen Kalser liegen ein Deutscher und ein Tscheche. Damit ist Johannes der schnellste junge Österreicher auf einem Motocross-Motorrad und das trotz Oberschenkelbruch in der laufenden Rennsaison. Talent alleine reicht für einen derartigen Erfolg nicht aus. Nur Leidenschaft befähigt zu solchen Leistungen.
Motocross ist längst mehr als ein Hobby im Leben von Vater und Sohn Wibmer geworden. Georg investiert Zeit, Arbeit und Geld in die Erfolge seines Sohnes und lässt keine Zweifel aufkommen, was der eigentliche Gewinn dieses Engagements ist: Es sind die unvergesslichen gemeinsamen Momente an der Strecke, wenn die Spannung steigt, die Motoren der Crossmaschinen aufheulen, das Startgatter fällt und die wilde Jagd im Gelände beginnt.
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