Innovation ist ohne Mobilität nicht vorstellbar
Innovation ist ohne Mobilität nicht vorstellbar
Harald Rätzsch wuchs am „Sonnenhof“ in Lienz auf, machte Karriere in den USA und lebt heute in der Schweiz. Im November spricht er - neben Stars wie John Naisbitt - auf einem Zukunftskongress in Klagenfurt über die „Organistaion von Innovation“.

Harald, dein beruflicher Lebenslauf hat es in sich. Was waren die wichtigsten Stationen?

Wenn ich zurückblicke, geht es weniger um „Stationen“ als „Personen“. Und da gibt es mehrere Persönlichkeiten, die mein Leben wesentlich beeinflusst haben: Mein Vater Rudolf, der mir erlaubt hat, in einem unvergleichlichen Umfeld mit der richtigen Mischung aus persönlicher Freiheit und Gestaltungsspielraum aufzuwachsen und mit wenigen, einfach nachvollziehbaren Regeln zu lernen, wie man verantwortlich mit Menschen und Ressourcen umgeht.

Mein Onkel Ludwig Jilka hat meine Neugier für Mathematik geweckt. Er nahm mir damit die Scheu vor allem Neuen und Unbekannten. Mit ihm wurde die Reise in „uncharted new territories“ zum aufregenden Abenteuer. Und mein erster Vorgesetzter, Mentor und Freund, Professor Franz Leberl – er erlaubte mir, alles was ich vorher gelernt hatte, ins Institut für Digitale Computergraphik einzubringen und auszuleben. Unter seiner Anleitung lernte ich weit über universitäre und geographische Grenzen hinweg zu denken, zu handeln und vor allem, immer nach Mitstreitern zu suchen, die besser sind als ich selbst.

Am wichtigsten war wohl von ihm zu lernen, dass Vorgesetzte primär dafür sorgen müssen, dass sich diese Kollegen optimal entfalten können. Zu meinem Erfolg hat sicher auch wesentlich beigetragen, dass ich in den ersten zehn Jahren meiner beruflichen Laufbahn im Spannungsverhältnis zwischen Universitätsinstitut und Großkonzernen wie MBB (heute EADS), GM, Ford, IBM und Microsoft lernen konnte, wie Konzerne funktionieren und wie man etwas bewegen kann. Ich durfte dann ja die Verantwortung bei MBB bzw. einem von MBB speziell eingerichteten Tochterunternehmen für alle Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten in München, Kongsberg und Cupertino im Silicon Valley übernehmen und in einer einzigartigen Hightech-Umgebung Digital Mapping-Produkte entwickeln. Dazu gehörte auch Technologie, die man heute im Kontext von „Virtual Earth“ findet.

Aus diesem Umfeld bist du dann nahtlos in die Selbständigkeit gestartet?

Ja, es war quasi ein Katapultstart. Günther Walcher, der Gründer der SKIDATA, investierte Ende der achtziger Jahre Vertrauen in mich und ermöglichte damit die Gründung meines ersten Unternehmens. Er stellt auch einen wesentlichen Meilenstein in meinem Leben dar und hat damals, lange vor vielen anderen, beispielhaft als Business Angel den Start einiger Unternehmen ermöglicht.

Du bist Mitte November bei einem Innovationskongress in Klagenfurt einer der Keynote-Speaker neben Weltstars der Zukunftsforschung wie John Naisbitt und Ernst Ulrich von Weizsäcker, um nur zwei zu nennen. Dein Thema ist Mobilität, beispielhaft skizziert am Mercedes-Projekt „moovel“. Wohin wird sich unsere Mobilität deiner Meinung nach bewegen? Oder anders gefragt, wie bewegen wir uns in 20 Jahren von A nach B?

Mein Thema beim Innovationskongress ist eigentlich „Organisation für Innovation“ und ich verwende zur Illustration dieses Themas Beispiele wie Google, Microsoft oder eben moovel. Innovation ist für mich heute ohne Mobilität nicht vorstellbar. Mobilität des Wissens und damit auch der Wissensträger sind unverzichtbar, weil nur dadurch die interdisziplinär und kulturell notwendige, gegenseitige Stimulation erfolgt, deren Ergebnis dann wirklich neue Gedankengänge und Produkte sind.

Die Folge davon sind dann u.a. neue Konzepte für die Mobilität von uns allen. Unternehmen wie Daimler Benz investieren gerade große Summen, um bei der Gestaltung der Mobilität der Zukunft eine führende Rolle zu spielen. Sie haben erkannt, dass in Zukunft weniger das einzelne Fahrzeug, als die reibungslos ablaufende Servicekette verschiedener Leistungsträger ausschlaggebend ist. In Bezug auf Mobilität sehe ich in Zukunft die Herausforderung, vielfältige Transportmittel, die von unterschiedlichen Besitzern betrieben werden, in intuitiv und für alle einfach nutzbarer Form zusammenhängend zugänglich zu machen.

Für Harald Rätzsch ist geistige Mobilität der zentrale Faktor: „Es ist nicht unbedingt eine Frage des Aufenthaltsortes, ob man 'entlegen' ist oder nicht.“

Wenn du statt Tesla deren Gründer Elon Musk betrachtest, erkennt man schnell, dass auch für ihn das Thema Mobilität wesentlich weiter reicht, als es vordergründig durch den Automobilhersteller Tesla erscheint. Er ist ja auch Gründer von SpaceX und beschäftigt sich mit Hochgeschwindigkeitsverbindungen zwischen Los Angeles und San Francisco.

Konzerne wie Apple und Google beteiligen sich an Uber oder investieren in selbstfahrende Autos. All das zeigt, wohin Mobilität sich entwickelt. Dazu kommt meiner Meinung nach noch eine Veränderung bedingt durch das „Internet der Dinge“ und die Veränderungen in unserem Banken- und im Zahlungswesen. Beides ermöglicht neue Formen des intuitiven Umgangs mit all den technischen Einrichtungen, die ich bei meiner Bewegung von A nach B benötige.

Du bist in Osttirol aufgewachsen, einer Region, die sich selbst als „entlegen“ definiert. Stimmt das aus deiner Sicht? Und welche Rolle spielt künftig die Mobilität in Randregionen? Dort gibt es weder Autobahnanschluss noch U-Bahn-Netze.

Der Begriff „entlegen“ wird von allen mit geographischer Distanz assoziiert. Das trifft heute nicht unbedingt zu. Einer meiner Brüder lebt in Singapur, der andere in Brisbane. Trotzdem stehen wir miteinander ständig in Kontakt, auch visuell. Es ist also nicht unbedingt eine Frage des Aufenthaltsortes, ob man „entlegen“ ist oder nicht. Die „geistige Mobilität“, sich neuer Kommunikationsmittel wie Facetime, Facebook, Hangout, Skype, Zoom.US, Webex oder vergleichbarer Mechanismen zu bedienen, erlaubt uns zu niedrigen Kosten – verglichen z.B. zu Flugtickets – ständig in Verbindung zu bleiben. Ich stelle fest, dass speziell geographisch entlegene Regionen durch Nutzung der neuen Kommunikationsmöglichkeiten oft sogar den empfundenen Nachteil in einen Vorteil umwandeln können.

Als Randregion entlegen zu sein bedeutet ja auch, dass ich ein in Zukunft vielleicht von vielen gesuchtes Produkt wie „Natur“, „Stille“, „Erholung“ usw. anzubieten habe. Und wenn ich das nun in Verbindung mit neuen Formen der Wissensvermittlung und der Mobilität sehe, dann stellt sich eigentlich nur die Frage, wie ich diese wertvollen „Produkte“ der richtigen Zielgruppe auf die richtige Art und Weise zugänglich mache und wie ich neue Mittel der Mobilität einsetze, um verantwortungsvoll und richtig dosiert eine Einbindung der Region zu ermöglichen.

Spontan dazu ein kleines Beispiel: Nimm an, jemand stellt eine überschaubare Flotte von Teslas, in leicht mit anderen Verkehrsmitteln erreichbaren Knotenpunkten, wie München, für all jene zur Verfügung, die in Osttirol mindestens eine Woche Urlaub machen. Das Angebot wird entsprechend im Internet platziert und man sorgt damit dafür, dass es genau die Zielgruppe anspricht, die gewünscht wird, z.B. „finanzstark, trotz aller Weltenbummelei aber noch nie in diesem speziellen Gebiet gewesen“. Aus Sicht derer, die dieses Angebot finden und nutzen, ist plötzlich Osttirol keineswegs entlegen, es ist nur ein paar Mausklicks entfernt und es wird dafür gesorgt, dass ich von meinem derzeitigen Wohn- oder Aufenthaltsort problemlos, unter Nutzung aller dazu notwendigen Verkehrsmittel, nach Osttirol komme.

Und da es eben keine direkte Flugverbindung nach Osttirol gibt, wird für die berühmte letzte Meile, ein bewusst für bestimmte Zielgruppen positioniertes Verkehrsmittel eingesetzt, das den bestehenden Nachteil in einen Vorteil umdreht.

Das ist jetzt noch kein Business Plan, aber wenn man die heute uns allen zur Verfügung stehenden Mittel nutzt und die gesamte Wertschöpfungskette mal konzipiert, die Mittel richtig einsetzt und es dann noch versteht, an einem entscheidenden Punkt einen emotional hoch eingestuften Mehrwert einzubinden, dann habe ich einen Business Plan und die gewünschte „unique selling proposition“.

Nach einer langen Zeit in den USA lebst du seit drei Jahren in der Schweiz und hast nicht nur dort, beispielsweise in Saas Fee, eine kleine Wintersportrevolution ausgelöst. Du hast, wenn man so will, die Kraft des Internets auf die Piste gebracht. Stichwort: Skiline.cc. Was ist das, in kurzen Worten?

Skiline gibt es heute in mehr als 200 Skigebieten und mehr als zwei Millionen wiederkehrende Gäste nutzen die skiline.cc Plattform. Skiline hat sich zum Ziel gesetzt die „Erlebnisse einer Bergdestination“ so einzufangen, dass man diese positiven Emotionen mit anderen über das Internet teilen kann.

Man kann auf skiline.cc jederzeit (auch nach dem Urlaub) in ansprechender grafischer Form sehen, wann man wo wie viele Höhenmeter oder Kilometer zurückgelegt hat. Skiline.cc bietet aber auch Wintersport-Destinationen die Möglichkeit, bestimmte Strecken, etwa als Riesentorlauf, Free Ride oder BorderX anzulegen. Skifahrer können diese Strecken nutzen und Skimovie erzeugt dabei vollautomatisch, ohne weiteres menschliches Zutun ein Video, das der Gast unmittelbar nach seinem „Lauf“ im Internet findet, ansehen, runterladen und mit anderen teilen kann.

Großeltern können so im Wohnzimmer miterleben, wie ihre Enkel Ski fahren. Profisportler nützen Skiline PRO-Strecken um iterativ ihre Performance zu verbessern, indem sie unmittelbar nach jedem Lauf vor Ort per Video auf einem Tablet oder Smartphone die Details ihres „Runs“ kontrollieren. Skimovie kann jedes „Objekt“ einfangen, verfolgen und ein professionelles Video erzeugen, egal ob es sich um Skifahrer, Snowboarder, Biker, Kletterer oder andere Freizeit-Aktivisten handelt.

Skiline-Höhenmeter-Messung bieten auch Osttiroler Skigebiete an, „Skimovie“ aber noch nicht.
Foto: Armin Zlöbl

In Saas Fee und Sölden ging man noch einen Schritt weiter und hat zehn unterschiedliche Attraktionen für Gäste aller Altersklassen in der Region zur Verfügung gestellt. Jeder Gast, der eine der Attraktionen benutzt, erhält außerdem Punkte. Diese Punkte werden mit anderen Faktoren wie Alter, Geschlecht, der durchschnittlichen Leistung aller Gäste an diesem Tag oder dem Schwierigkeitsgrad so gewichtet, dass faire Chancen für alle bestehen.

Gäste können an Wettbewerben teilnehmen und Preise gewinnen. Dieses Konzept wurde von Skiline unter dem Namen „Adrenalin Cup“ erfolgreich in diesen beiden Destinationen implementiert.

Wo wurde Skiline.cc entwickelt?

Die ersten Ansätze entstanden in Tirol in Form des sogenannten „Höhenmeter- Service für Skifahrer“. Die Skimovie Technologie entstand in Salzburg und an der TU Graz. Das Gesamtpaket, Branding und Geschäftskonzept wurde von Mitarbeitern südlich von Zürich und in Klagenfurt konzipiert und entwickelt.

Gibt es Teilnehmer in Osttirol und wo liegt das Potenzial?

Skiline-Höhenmeter-Services gibt es auch in Osttirol und zwar in praktisch allen Skigebieten der Region. „Skimovie“ gibt es aber noch nicht, da existiert noch reichlich Potenzial. Insbesondere wenn man bedenkt, dass diese Technologie nicht nur im Winter, sondern auch im Sommer eingesetzt werden kann. Es gibt ja nicht nur Skimovie, sondern auch Anwendungen, wo sogenannte PhotoPoints automatisch Schnappschüsse von Gästen an bestimmten Orten, z.B. entlang bestimmter Wander- oder Mountainbike-Strecken machen. Auf diese Weise entsteht für die Teilnehmer am Ende eines Tages oder Urlaubs quasi aufwandslos eine attraktive Dokumentation mit Fotos und Videos in einem Album.

Ich habe in Saas Fee das Projekt abgewickelt, um die gesamte Region flächendeckend mit WLAN zu versorgen. Dabei habe ich auch miterlebt, wie eine Destination neue Technologien sehr gezielt einsetzen kann, um für die gewünschten Besucher attraktiv zu sein. Saas Fee hat über das gesamte Gebiet unterschiedliche Video- und Foto-Attraktionen der Skiline unter der Marke „Adrenalin Cup“ so verteilt, dass für jeden Besucher die Möglichkeit besteht, teilzunehmen.

Manche besuchen die Gletscherhöhle und nehmen am „Winterwandern“ oder der „Fotosafari“ teil, andere nutzen den „Sprung“ oder „Riesentorlauf“ auf der Piste. Alle können an Wettbewerben der Skischule oder an Veranstaltungen eines Hotels teilnehmen und bekommen auf Wunsch ihr Video, Fotos, ein Urlaubsalbum oder andere, bleibende Erinnerungen. Und sie können, wenn sie wollen, auch mit gesammelten Punkten an Siegerehrungen teilnehmen und Preise gewinnen.

All das hat wohl maßgeblich mit dazu beigetragen, dass Saas Fee trotz „Franken-Schock“ und der unmittelbaren Nähe zu Zermatt und dem Matterhorn einen Sprung im Ranking der beliebtesten Skiregionen nach ganz oben geschafft hat und zunehmende Gästezahlen aufweisen kann.

Ein „Osttirol Cup“ könnte für die Region dieselbe befruchtende Wirkung haben. Man müsste dazu ein „Story Board“ für die Region entwickeln, d.h. Gästen vermitteln, an welchen Standorten sie in welcher Form im Winter und im Sommer Attraktionen nutzen können, um am Ende kostenlos ihren gesamten Aufenthalt in Form von Fotos, Videos und Alben im Internet zu erhalten. Eine einzige Videoanlage der Skiline erzeugt pro Saison bis zu 65.000 professionelle Videos, die anschließend mindestens fünf Mal „geshared“ werden. Jedes Video kann von der Region gezielt dekoriert, d.h. mit Logos, Vorspann und Nachspann so ausgestattet werden, dass Botschaften personalisiert, gezielt und mit sehr hoher Akzeptanz verteilt werden. Die Reichweite ist inzwischen speziell für das Zielpublikum einer Tourismusregion mindestens gleichwertig zu anderen, viel teureren Werbeformen.

Nach all den Meilensteinen, die hinter dir liegen – was hast du dir für deine persönliche Zukunft vorgenommen? Gibt es noch eine große Aufgabe, die dich reizt?

Da gibt es noch einiges. Im Moment versuche ich gerade Skimovie in nordamerikanische Sommer- und Winter-Destinationen zu bringen. Der Markt in Nordamerika ist ganz anders strukturiert, verlangt eine andere Vorgehensweise und ist viel größer. Erfolg hat dort andere Dimensionen und bedeutet, dass Skiline in zwölf Monaten mehr als dreimal so viel Skimovie und PhotoPoint-Anlagen betreiben kann wie in den letzten vier Jahren in Europa. Das ist alleine für sich gesehen schon eine schöne Herausforderung.

Credits
  • Autor: Gerhard Pirkner
  • Fotografie: EXPA/Wolfgang Janach

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