Als Enkel von Leutascher Bauern war er beim Schweineschlachten dabei, heute malt er solche Szenen: Der Tiroler Künstler Martin Hörtnagl hat im Sommer 2018 seine Serie „Fleischeslust“ fertiggestellt. Darin verarbeitete er – zumeist in Öl auf Leinwand – die entfremdete Beziehung zu den Tieren, die wir für unseren Fleischgenuss töten lassen. Wieviel Würde hat das Tier, würde ich für Fleisch auch selbst Leben auslöschen und kann ein toter Karpfen schön sein? All das sind Fragen, die sich beim Betrachten seiner teils brutalen, teils hoch ästhetischen Darstellungen von Fleisch und Blut aufdrängen. Im Interview erzählt Hörtnagl, wie er sie mit dem Pinsel zu ergründen versucht.
Martin, du hast nun mehr als ein Jahr an deiner Serie „Fleischeslust“ gearbeitet, in der es weniger um Sex, als um totes Tier geht. Wie kam es dazu?
Das ist aus meiner persönlichen Auseinandersetzung mit dem Tier als Solches entstanden. Mir war bisher natürlich vollkommen klar, woher Fleisch kommt und dass dafür ein Lebewesen geschlachtet werden muss. Das war mir sehr lange ziemlich wurscht. Aber mit den Jahren habe ich immer mehr auf das Wie geschaut, und dass möglichst wenig Tierleid damit einhergeht. Irgendwann nahm ich mir vor, überhaupt für eine Weile auf Fleisch zu verzichten. Die Inspiration, das auch künstlerisch zu verarbeiten, gab mir schließlich eine Aussage des Philosophen Richard David Precht, der in einer Fernsehdiskussion fragte: ‚Was würde passieren, wenn jeder Fleischesser sein Tier selbst töten müsste?‘
Und, was wäre dann?
Das wäre verdammt schwierig für mich: Einfach so herzugehen und ein Lamm zu schlachten? Es zu töten, es zu häuten und so herzurichten, dass man es essen kann? Bestimmt könnte ich das, wenn ich unbedingt müsste. Aber mir fiel dann auf: Wenn man das selbst machen muss, entsteht automatisch ein Wert. Weil es Arbeit ist und weil es ein Prozess ist, der große Überwindung bedeutet. Wenn es einen Wert hat, dieses Fleisch, dann gibt es auch Würde für das Tier.
Du findest unsere Art, Fleisch zu essen, in den meisten Fällen würdelos. Auch für uns Konsumenten?
Wenn ich auf etwas achte und somit Achtung für jemand anderen oder ein anderes Lebewesen empfinde – dann wirkt das auch auf mich selbst. Die meisten von uns haben ja komplett den Bezug zum Fleisch verloren, gerade in den urbanen Gesellschaften. Da geht man eben schnell in den Supermarkt und holt sich ein abgepacktes, viereckiges Stück Tiroler Berglamm. Einerseits. Andererseits, wenn es noch lebt und herumhüpft, könnte man dem armen Tier nicht einmal ein Haar krümmen.
Warst du selbst denn schon an einem Punkt, an dem du hättest töten sollen?
Ich habe es miterlebt, denn meine Kindheit in Leutasch war sehr ländlich: Die Großeltern hatten einen Bauernhof und ich habe als kleiner Bub schon zugeschaut, wie Schweine geschlachtet wurden. Es dauerte dann eine Woche, bis die beiden Tiere fertig verarbeitet waren. Davon hatte man ein Jahr genug Fleisch, bis die nächsten kleinen Schweine, die man sich geholt hat, ausgewachsen waren.
Als Kind habe ich außerdem immer Hasen gehabt und die gezüchtet. Deutsche Riesen. Es war ganz klar – obwohl es natürlich ein Leidensprozess war – dass die am Ende des Sommers geschlachtet werden. Ich war dabei.
Wie war das für dich?
Normal, sogar etwas Notwendiges. Und es herrschte eine fast feierliche Stimmung. Denn es würde wieder Fleisch geben!
Da wir über Beziehungen reden: Hast du eigentlich eine besondere Beziehung zu Schafen? In deinen Bildern, aber auch im Gespräch sind Schafe und Lämmer bisher oft aufgetaucht.
Das stimmt schon, ich könnte ja Hunde oder Pferde erwähnen. Das Schaf war irgendwann einfach da, und es war schon in der Kindheit da. Die haben mich immer fasziniert, allein von der Größe her. Ein Pferd ist riesig, alter Schwede. Aber ein Schaf, da traut man sich hin, das ist auf Augenhöhe, fein und wollig. Als Bub hab ich sogar versucht, auf Schafen zu reiten. Das hat aber nicht wirklich funktioniert. Heute kommt für mich dazu, dass das Schaf eine irrsinnige Symbolkraft hat. In der Bibel gibt es den Hirten, das Göttliche und es gibt die Schafe, das sind wir Menschen.
Ich will mich nicht als Moralist aufspielen. Ich gebe höchstens Denkanstöße und entwickle mich auch selbst dabei weiter. Ich glaube aber, dass Verzicht ein guter Ansatz ist.
Sind wir also Unschuldslämmer?
Nein, wir Menschen sind schuldig – mitunter. Tiere sind für mich aber von Haus aus unschuldig. Es gibt keine Tiere, die sich mit Schuld aufladen, denn ein Tier hat ja kein Gewissen, sondern handelt nach Instinkt. Wir hätten die Intelligenz.
Für dich selbst hast du die Gewissensentscheidung getroffen, vegetarisch zu leben. Soll deine Fleischeslust-Serie die Betrachter missionieren?
Nein, ich will mich nicht als Moralist aufspielen. Und ich kann auch niemanden dazu zwingen, irgendwas zu machen. Wie meine Kunst wirkt, liegt beim Betrachter. Ich gebe höchstens Denkanstöße und entwickle mich auch selbst dabei weiter. Aber ich glaube für mich persönlich, dass Verzicht ein guter Ansatz ist – und das betrifft nicht nur das Fleisch, das ich eher symbolisch für viele andere Dinge sehe; wie Bekleidung, Medien oder wie wir mit unseren eigenen Ressourcen umgehen. Wir müssen sicher nicht mit Allem gänzlich aufhören, sondern vielleicht weniger davon nehmen, bewusster und auch auf die Herkunft schauen.
Man gerät aber schnell in den Stress, es immer noch besser machen zu wollen: Wie gehst du selbst mit der Spannung zwischen Moral und Lust um?
Ich bin selbst kein Kostverächter, denn ich liebe die schönen Dinge des Lebens. Wo endet die Moral? Für mich immer da, wo es radikal wird. Wenn es radikal wird, sieht man nur noch die eine Seite und irgendwann ist man blind für die anderen.
Ein Bild von dir hat mich persönlich berührt: Der abgepackte Karpfen in der Styropor-Schale. Wie kamst du auf den?
Ich war im Supermarkt, es war der 24. Dezember. Sensibel wie ich grade war, ging ich bei der Fleischtheke vorbei. Da passiert bei mir immer noch was, wenn ich dran vorbeigehe. Zum Schluss kam ich an ein riesiges Regal mit 15 ganzen Karpfen drin. Auf jedem klebte ein Sticker: ‚Minus 50%, noch heute verzehren.‘ Und es war mir sofort klar: So wie die ausschauen, so wie die angepriesen werden – landen diese 15 Karpfen im Müll. Von der Supermarktkette gibt es ungefähr noch mal 100 Filialen, wo vermutlich überall solche Karpfen in den Regalen lagen. Es würden also hunderte dieser Karpfen zu Weihnachten im Müll landen. Ich machte ein Foto und recherchierte zuhause nach: Bis ein Karpfen diese Größe erreicht, lebt der zwei Jahre lang. Ich musste den malen.
Du hast Tiere und Fleisch in deiner Serie aus sehr vielen Blickwinkeln betrachtet – vom Aquarell bis zum Fleischbrocken aus Stein. Wie gehört das alles zusammen?
Angefangen habe ich plakativ, zum Beispiel eben mit den Aquarellen von der Schweineschlachtung. Aber ich bin dann immer mehr in die Abstraktion gegangen und bin im Grunde immer tiefer ins Fleisch gedrungen. Sodass schließlich eine Hühnerhaut plötzlich ästhetisch wurde und ein geradezu dekoratives Bild ergab.
Und totes Tier ist wieder erträglich?
Genau. Einen ähnlichen Bewusstseinsverlust will die Industrie ja auch. Sie verpackt das Fleisch so, wie die meisten Kunden es kaufen möchten. Es soll bitte ja nicht nach Huhn oder Kuh aussehen. Meine gezoomten Bilder – so wie die Nahaufnahme „Almas Blut“ – sind für den Betrachter darum weitaus erträglicher, als das Steak. Selbst das löst schon mehr Ekel oder Reaktionen aus, aber übrigens auch positive: „Hm, mein Fleisch zu Mittag“. Das habe ich schon auch gehört.
Viele empfinden eben noch die „Fleischeslust.“
Ja, der Titel ist aber zweideutig: Einerseits gibt es diesen riesengroßen Hunger nach Fleisch und damit das, was man Lust nennen kann. Andererseits vergeht einem diese Lust aber vielleicht auch, würde man genauer hinschauen.
Ausgerechnet eines der plakativsten Bilder hast du allerdings schnell verkauft.
Ja, das war „Bertas Körper“. Das tote, gerupfte Hendl mit dem abgeschlagenen Kopf und ohne Haxen. Schon sehr plakativ – ich weiß nicht, ob ich mir das selbst aufhängen würde. Wobei: Testweise habe ich gerade im Wohnzimmer das Steak hängen. Das fügt sich gar nicht schlecht ein.
In deiner Serie „Rotz auf Holz“ hast du ebenfalls mit dem Ekelgefühl gespielt. Willst du deine Bilder eigentlich nicht verkaufen?
(lacht) Bis jetzt habe ich es nie müssen. Kunst war nur Ausdrucksform. Aber ich freue mich natürlich über jedes verkaufte Bild. Ich habe aber übrigens auch schöne, grafische Sachen gemacht in der Serie. Zum Beispiel ein Warm-Kalt-Bild, mit einer Berglandschaft, in der sich zwei Wilde treffen. Da waren schon Dinge dabei, die auch sehr gut ins Wohnzimmer passen würden.
Mittlerweile bist du aus deiner Parkettfirma ausgestiegen und widmest dich seit diesem Jahr vollständig der Kunst. Hat sich deine Arbeit jetzt verändert?
Meine Kunst ist jetzt vielschichtiger geworden, weil ich mehr Zeit habe. Ich beschäftige mich zusätzlich noch mit Land-Art, also Kunst in der Natur. Das taugt mir sehr gut und ist eine super Ergänzung zum Atelier. Ich brauche die Natur und gehe sehr gern raus. Es hilft aber auch, dass ich nun schlichtweg mehr mache. Durch das Mehr-Produzieren komme ich auch schneller voran in meiner Entwicklung.
Spürst du nun auch mehr den Vermarktungsdruck?
Das Vermarkten fällt mir an sich nicht schwer, ich war ja 20 Jahre selbstständig und zuletzt für Marketing zuständig. Ich müsste fast aufpassen, dass ich nicht zu sehr ins Marketing gehe. Der nächste Schritt wäre vielleicht einen Wettbewerb zu gewinnen und vor allem, eine Galerie zu finden. Nur der Konsument, der Sammler mag es gern, dass man immer das Gleiche, Unverwechselbare macht: ‚Der Hörtnagel, das ist doch der mit den Schafen? Ach ja, der Fleischmaler.‘ Das würde mit Sicherheit am besten funktionieren. Aber ich funktioniere nicht so.
Mehr Informationen
www.hoertnagl.com
Ein Posting
Wer hängt sich solche Bilder in Wohnzimmer Kunst kann man vieles heissen, da hab ich schon schöner Bilder von Kindern gesehen!
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