„Als Kinder sein mia gern zur Nachbarin, einer alten Frau gangen. Sie hat oft an Zuckerwürfel auseinandergebrochen und jeden a Breckl geben. Mit sowas ham mia Kinder fria a Freid kab!“
Gottfried Islitzer ist einer von 1.173 Einwohnern Prägratens. Der 81-Jährige erinnert sich noch gut, wie es früher bei ihm daheim war, am Angstingerhof: „Bühn, Mogn fürn Blattlstock, Orbasen (Erbsen), Kraut, Roggen, danach Rüabn, Gerste und a bissl Hafer, Erpfle …“ Die besten Felder, eigentlich jede Fläche, die sich zum Ackerbau eignete, wurde auch dafür verwendet.
Ackerbau war wichtig und Arbeitskräfte auf den Höfen immer genügend vorhanden. Pferde erleichterten auch beim Angstinger die Arbeit: „Des Ross wor wie a Heiligtum. Vorm Schlofengehen isch ma immer no amol ausn zum Ross. Zum Erde fiarn woas a gonz wichtig.“ Auf den steilen Hängen kam durch das Pflügen viel Erde an den unteren Ackerrand, die wieder nach oben musste. Es wurden nur Pflanzenarten kultiviert, die auch bei rauen Bedingungen sichere Erträge erzielten und über den Winter eingelagert werden konnten.
Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren viele Höfe auf Selbstversorgung ausgerichtet, auf die Befriedigung der wichtigsten Bedürfnisse: Nahrung, Wohnung, Kleidung und Heilpflanzen. Neun Kinder seien sie gewesen, erzählt Gottfried, aber „mia sein nit glei zu an Doktor gsprungen“.
Die Restflächen im Tal reichten für die Fütterung der Hoftiere bei weitem nicht aus, ein Großteil des Winterfutters wurde oberhalb der Waldgrenze gewonnen, oft auf Wiesenflächen im Hochgebirge, die zur Beweidung zu steil waren.
„Fußeisen“ hat Gottfried angelegt beim Mähen mit der Sense, so steil war es. Das Heu blieb oben in „Hadrischten“ (Heuschupfen) bis zum Winter. Diese Bergmähder lieferten qualitativ hochwertiges Heu, aber mit sehr hohem Aufwand bei vergleichsweise geringem Ertrag. Im Herbst wurde geerntet, die Ackerbohnen mit der Sichel geschnitten und wie das Korn zu Garben gebunden, auf Harpfen zum Trocknen gehängt, und dann später gedroschen. Der Flachs und der Hanf wurden gebrechelt, gehachelt, gesponnen und daraus Leinen gemacht. „Man durfte nie den Mädchen beim Brecheln zu nahe kommen, dann wurde man gekragelt und musste den Mädchen was geben“, lacht der Islitzer.
Das Korn wurde in den Wassermühlen zu Mehl gemahlen. Auch die Schafe wurden im Herbst und im Frühjahr geschoren. „Die Wolle wurde zum Kartatschen runter ins Dorf gebracht und dann über den Winter gesponnen.“ So im November, wenn es kalt genug war, wurden die Schweine auf den Höfen geschlachtet und alles wurde verwertet. Fleisch und Knochen wurden zur Haltbarmachung geselcht. Oft diente der Solder (Balkon) als Gefriertruhe, um doch etwas länger frisches Fleisch zu haben. Die Därme wurden sauber geputzt und Würstel daraus gemacht. Gottfried erinnert sich, wie sie zu Hause oft ein paar Würstel zum Selchen einfach in den „Rachgang“, in den Kamin, gehängt haben.
Nicht überall, aber doch vielerorts wurde sogar der Pansen und der Magen zur Herstellung der „sauren Suppe“ verkocht. Das „gsottene Schwoifle“ war früher eine seltene Delikatesse! Es wurde wenig Fleisch gegessen, am Freitag war das sowieso undenkbar. Drei Mal in der Woche gab es Knödel, am Sonntag, Dienstag und Donnerstag. Samstag gab es Brein, eventuell mit Speckschwarte gesotten.
Zum Frühstück wurde früher kaum Brot gegessen, aber Brennsuppe oder Milchmus. „A Mües mocht an storken Füess“ – und ein starker Fuß war im Winter für’s Heuziehen wichtig. Gottfried hat früher auch vielen anderen Bauern geholfen und kennt fast alle Berghänge rund um Prägraten aus eigener Erfahrung.
Schwere Lasten wurden im Winter transportiert. Das Bergheu wurde zu „Fuhrdan“ gefasst und meist zu zweit heim gebracht. Ein Mann zog voraus am Zugstrick, der Zweite dahinter verhinderte mit Zurückhalten der Fuhre am Bindseil das zu schnelle Abrutschen des Heufuders. Das geschlägerte Holz wurde im Winter über die steilen vereisten „Riesen“ zu Tal befördert, eine ebenfalls schwere und lebensgefährliche Arbeit.
Ob Gottfried sich erinnert, Hunger gelitten zu haben? „Nein, Essen war immer genug da. Geld war wenig da, hat man aber früher nit viel gebraucht.“ Zugekauft wurden nur Zucker, Salz und Öl.
Man wusste sich auch zu vergnügen: Gottfried hat schon vor 50 Jahren Theater gespielt und macht das bis heute. Am Abend unseres Interviews hatte er eine Aufführung. Und „Gungln“ gab es zu verschiedenen Anlässen.
Zwischen den Jahren 1950 und 1970 vollzog sich in der Region der Wandel vom Ackerbau zum Grünland und das Hauptaugenmerk lag nun auf der Tierhaltung mit Fleisch- und Milcherzeugung. Auch die Einführung von Strom und die Technisierung der Landwirtschaft fallen in diesen Zeitraum. Äcker, Mühlen und altbäuerliche soziale Strukturen verschwanden.
Heute finden viele Virgentaler ihren Broterwerb nicht nur außerhalb der Landwirtschaft, sondern auch außerhalb der Region und kehren an den Wochenenden zu ihren Familien in ihre neuen Häuser in die Heimat zurück. Der Milchpreis für die Bauern ist auf ein existenzbedrohendes Niveau gesunken, aber es gibt andere Bewirtschaftungsformen und die Prägratner sind, wie viele andere Bewohner der Region, sehr heimatverbunden und gewöhnt, Lösungen auch unter harten und veränderten Bedingungen zu finden. Und die Bedingungen werden sich wohl weiter verändern, wie Gottfried bemerkt: „Fria höt man eascht af Maua (= Obermauern) de Grillen geheacht, hetz heacht man se a schün ba üns.“
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