Erwarte
das Unerwartete
Erwarte das Unerwartete
Ein Plädoyer für Authentizität, Neugier und die gemeinsame Lust am Entdecken.

Wer denkt, die Schauspielerei sei die Kunst, in einer Maske jemand anderes zu sein, künstliche Emotionen zu produzieren und im Verkauf seiner selbst Auszeichnungen zu sammeln, wird von Clara Diemling eines Besseren belehrt.

Wir treffen uns im Café des Dschungel, einem Theaterhaus für Jung und Alt in Wien, wo gerade „Pinocchio“ für den STELLA17 geprobt wurde. „Stella“ heißen die „Nestroys“ für junges Publikum und Clara springt in dieser Inszenierung in 13 verschiedene Rollen. Die drei Stunden Arbeit sind ihr nicht anzusehen, nur ihr Durst verrät den vollen Einsatz von Körper, Geist und Stimme. Zum Interview begleitet mich meine Tochter Meret (12), die ohne Umschweife gleich mit der ersten Frage herausplatzt:

Dolomitenstadt: Wie bist du auf die Idee gekommen, Schauspielerin zu werden?

Clara Diemling: Einer der ersten Hinweise kam von meinem Musiklehrer im BORG Lienz – ich fand den Gedanken damals bereits reizvoll, allerdings war ich fest entschlossen, Lehrerin zu werden. Ich wollte mit Kindern arbeiten und ich versprach mir von der Berufswahl eine gewisse Sicherheit. Je genauer ich mich jedoch mit unserem Schulsystem auseinander gesetzt habe, desto häufiger habe ich mich gefragt: Was tun wir unseren Kindern an? Passiert das in der Schule, dass aus kreativen Individuen, in denen alle Talente und Neugier, die Welt zu entdecken, angelegt sind, eine ignorante Masse „grauer“ Erwachsener wird? Für mich war schließlich offensichtlich, dass unser System seinen Anteil daran tut und das wollte ich nicht mehr unterstützen. Also habe ich auf Theater-, Film- und Medienwissenschaft umgesattelt und mich später an der Wiener Schauspielschule Krauss beworben. Als erstes lernten wir wieder richtig zu atmen, zu stehen und zu gehen – das verlernt man anscheinend nach zwölf Jahren Schulbankdrücken.

Mit welchen Erwartungen bist du in deinen Beruf eingestiegen?

Die habe ich mir recht rasch abgewöhnt! Der Beruf ist faszinierend und die Branche ist wie ein zweischneidiges Messer. Die verschiedensten Charaktere treffen aufeinander: (Gedanken-)Feuerwerk und/oder (Gefühls-)Explosion. Unorganische Vorsprechen und Arbeiten haben sich ganz am Anfang wie Seelenprostitution angefühlt und es war mühevoll, den eigenen Weg zu finden und zu gehen. Ich habe einiges ausprobiert, um schlussendlich auf meine natürliche Art zu vertrauen. Mich interessiert der Mensch, dessen wahres Inneres, und dieses Interesse wünsche ich mir auch von meinem Gegenüber.

Als erstes lernten wir, richtig zu atmen, zu stehen und zu gehen – das verlernt man nach zwölf Jahren Schulbankdrücken.
Clara Diemling

Willst du berühmt werden?

Darum geht es mir nicht, ich brauche keine Ego-Show. Ich möchte – gemeinsam mit allen anderen Beteiligten – Geschichten erzählen. Ich fühle mich sehr wohl, wenn bei einer Produktion mehrere Departments gemeinsam entwickelt werden und ihre Eindrücke zusammen fließen dürfen, im gegenseitigen Respekt der einzelnen Kompetenzen. Das ist für mich dann pure Freude an der Arbeit und ein Beet für Kreativität. Bis jetzt ist mir diese Arbeitsweise allerdings nur selten untergekommen. Der Theater- und Filmbetrieb ist von einer festen, hierarchischen Ordnung und beengendem Labeling nicht ausgenommen. Die Berufsgruppen stehen für sich: Regie, Schauspiel, Szenenbild, Kostümbild, Licht, Maske, … das ist schade und ich denke, dass hier Potenzial flöten geht. Manchmal würde ich gerne das Scheinwerferlicht auf die Qualität des Entstehungsprozesses richten, damit das „Endprodukt“ einer wirklichen Teamleistung strahlen kann.

Wie wichtig sind Auszeichnungen in der Theater-, Film und Fernsehwelt?

Eine Auszeichnung bedeutet für mich im besten Fall die Anerkennung und Wertschöpfung des Könnens und das ist wichtig und schön! Wie und ob Kunst bewertet werden soll und kann, ist eine andere Frage. Sicher gibt es technische Anhaltspunkte und selbst diese Kriterien finden Gefallen oder nicht. Sprich: Wir befinden uns auf super subjektivem Boden und der ist nahrhaft und einladend zum Mitschnattern, egal ob man Ahnung hat oder nicht. Was ich bedauerlich finde, ist, wenn zum x-ten Mal eine ähnliche Leistung, ein gleichbleibender Charakter (der Gauner, die Naive, …) honoriert wird und dadurch der Frischwind ausbleibt. Stichwort: Freunderlwirtschaft, in welchem Bereich gibt es sie nicht und die Medienwelt pfeffert eben noch ihren Senf obendrauf. Hallo Hype! Es gäbe so viel mehr und vor allem auch anders zu sehen! Wer da wohl die Fäden in der Hand hat? Es heißt ja nicht ohne Grund Show-BUSINESS.

In „NAR.ration“ von Mohammed Ali Bas übernimmt Clara Diemling die Rolle einer Performerin. Die Zuschauer begleiten darin einen migrantischen Künstler nicht wie erwartet auf einer Reise in seine geliebte Heymat, sondern werden Teil des kreativen Schreibprozesses in der Auseinandersetzung mit dem Thema „Der Blick des Anderen“. Immer wieder drängt sich die Frage auf: Gibt es ihn überhaupt? Den „anderen“ Blick? Regie: Ivana Rauchmann
„Dossier: Ronald Akkerman“. In behutsamen, eindringlichen Szenen erzählt dieses Stück die Geschichte vom langsamen Sterben eines Aidskranken und zugleich die Geschichte einer Annäherung zweier ganz unterschiedlicher Personen: des Kranken Ronald (Klemens Dellacher) und seiner Pflegerin Judith (Clara Diemling). Aus den gegenseitigen Vorbehalten und Vorurteilen werden allmählich tiefe Zuneigung und wirkliches Verständnis. Regie: Michaela Obertscheider.

Apropos Charakter: Gibt es Charaktere oder Genres, die du besonders magst?

Nein, ich bin gegen jegliche Monokultur. Ich will Diversität, Vielfalt, Buntheit – ich bräuchte keine Zuordnung in irgendein Schema oder Genre. Worauf ich mich konzentriere, ist der volle Einsatz von Körper und Geist und dann findet man in den kleinsten Details Tragödie und Komödie dicht nebeneinander, Hand in Hand. Ich mag echte und rohe Performances, die genau damit das Publikum bewegen. Grotowski entwarf das „arme Theater“, also ein Schauspiel, das „ungeschminkt“, total reduziert, nackt ist. Mit dieser Schlichtheit Welten zu öffnen ist eine hohe Herausforderung. Auf den großen heimischen Bühnen fällt die Gewichtung in vielen Fällen anders aus. Wenn ich mich während einer Vorstellung frage, wie viel das Bühnenbild kostet oder wie lange an den Kostümen gearbeitet wurde, dann bin ich nicht bei der Geschichte und auch nicht berührt vom Spiel.

Ich bin eine Gegnerin jeglicher Monokultur. Ich will Diversität, Vielfalt, Buntheit – ich brauche keine Zuordnung in ein Schema oder Genre.
Clara Diemling

Wie kann eine Schauspielerin berühren?

Stanislawski beschreibt das Verhältnis zwischen dem Schauspieler und der Rolle, die er spielt. Er sagt, das „künstlerische Ich“ des Schauspielers sei eine Art spielerisches Kind, das vom „privaten Ich“ des Schauspielers aktiviert wird. Das passiert bei jeder Vorstellung neu und ist jedes Mal einzigartig. Niki Flacks hat Stanislawskis Schauspielmethode wissenschaftlich untersucht. Sie beweist neurologisch und psychologisch, dass die Schauspieler alle Emotionen abrufen können, die in ihren Körpern über die Jahre gespeichert wurden, anstatt künstlich Emotionen zu erzeugen. Die schauspielerische Arbeit liegt darin, diesen Speicher im Körpergedächtnis zu öffnen und dann die wahren Emotionen fließen zu lassen. Authentizität bewegt und berührt! Das zu erreichen ist nicht unbedingt die Leistung einer einzelnen Person, sondern ein kreativer Prozess aller Beteiligten.

Meret hat einen pinken Luftballon von einer Veranstaltung vor dem Museumsquartier gebracht. Sie nimmt einen tiefen Zug Helium und fiepst wie Micky Mouse: „Ich bin auch ein künstlerisches Kind!“

Clara will auch, inhaliert und schnarrt mit verdrehten Augen: „Wenn ich Lehrerin geworden wäre, tät’ ich mit den Kindern nur über die Wies’n springen und Spaß haben. Dann bleibt das künstlerische Kind lebendig! Das mach’ ich halt jetzt als Schauspielerin im Jugendtheater.“ Sie kichern, bis die Wirkung des Heliums wieder verschwunden ist.

Lässt sich damit die Miete bezahlen?

Ja. Das Gewerbe präsentiert sich mit Glanz und Gamour, was niemand sieht ist der Schweiß und … der Schweiß. Meine Aufgabe ist es, die Menschen zu beobachten, sie zu studieren und dann meine Skizzen zu entwickeln und zu reproduzieren. Film- und TV- Produktionen sind wieder ein anderes Forschungsgebiet. Werbung lässt sich im besten Fall mit Interessen kombinieren und manchmal ist es wirklich nur ein Job, der für grüne Zahlen am Konto sorgt.

„In Götterdämmerung“ spielt Clara Diemling eine Künstlerin. Das Bild für die Produktion entstand in Oberlienz. Regie: Ivana Rauchmann, Musik: Schattenkönig.

Wofür würdest du keine Werbung machen?

Für die FPÖ.

Wann kommt wieder ein Film mit dir heraus?

Im Frühjahr 2018: Schwarz Weiß Bunt. Von David Moser. In vielerlei Hinsicht eine revolutionäre Arbeit, mit einer großen Portion Liebe und Herzblut von einem grandiosen Team!

Und wofür kann man dich als Testimonial gewinnen?

Für die Umwelt. Die Natur. „Unsare schenen Berg.“

Epilog

Es ist, wie sie sagt: Jeder glaubt mitreden zu können, wenn es um die Schauspielerei geht. Schon zu Beginn des Gesprächs mit Clara habe ich aber verstanden, dass ich rein gar nichts über ihr Gewerbe weiß. Seither beobachte ich SchauspielerInnen unter ganz anderen Vorzeichen – und mit vielen Fragezeichen.

Credits
  • Interview: Petra & Meret Navara
  • Fotografie: Philine Hofman (Coverfoto)

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