Dreißig Jahre ist es her, dass der Krieg in Bosnien und Herzegowina durch das Dayton-Friedensabkommen beendet wurde. Doch von Frieden kann dort nach wie vor nicht die Rede sein. Gegenwärtig steigt die Sorge am Balkan um einen erneuten Kriegsausbruch. Die Konflikte zwischen den Ethnien verschärfen sich in den letzten Jahren wieder zunehmend.
Gleichzeitig leben in Tirol zahlreiche Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, deren Geschichte und Kultur in unserer Gesellschaft weitgehend ausgeblendet werden. Dem sollen Kultur- und Literaturveranstaltungen nun entgegenwirken – um Bewusstsein zu schaffen und gemeinsames Erinnern im dialogischen Austausch zu ermöglichen.
„Es war uns wichtig, dass die Veranstaltungsreihe nicht nur von Menschen, die von dieser Geschichte selbst nicht wirklich betroffen sind, gestaltet wird, sondern Perspektiven derer sichtbar zu machen, die es erlebt haben und es erzählen wollen“, sagt Benedikt Kapferer vom Institut für Zeitgeschichte, der das Ganze initiiert hat. Im Sommer 2021 war er zum ersten Mal in Sarajevo, der bosnischen Hauptstadt, die seit 1980 als offizieller Städtepartner von Innsbruck gilt. Vorher war ihm die naheliegende Geschichte dieser Region nicht bewusst: „Da die historischen Ereignisse – wie das Massaker von Srebrenica im Juli 1995 – noch nicht weit zurückliegen, wird das in der Schule oder an der Universität wenig behandelt“. Das sei verwunderlich, vor allem weil gerade so viele Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien während der Kriege nach Tirol geflüchtet sind.
„Viele von ihnen haben sich hier ein neues Leben aufgebaut. Deren Erfahrungen rund um Krieg, Flucht und Neuanfang sind in der Öffentlichkeit jedoch wenig präsent. Die Menschen sind Teil der Gesellschaft, aber als Teil unserer Geschichte kaum sichtbar“. Mit der Veranstaltungsreihe sollen aber nicht nur unbeleuchtete Themen sichtbar gemacht, sondern auch das Image des Balkans aufgewertet werden. „Ich habe den Eindruck, dass über ‚den Balkan‘ häufig sehr pauschal und abwertend gesprochen wird. Bei meiner Reise nach Bosnien-Herzegowina konnte ich aber die Vielfalt der Landschaft und der Menschen dort kennenlernen“, so Kapferer, der daraufhin die Organisation der Veranstaltungsreihe zusammen mit Ramona Rakić vom designierten Osteuropazentrum und dem ZeMiT (Zentrum für MigrantInnen in Tirol) in die Hand genommen hat.
Den Auftakt der Veranstaltungsreihe machte die in Zagreb geborene Autorin Lana Bastašić mit ihrem Roman „Uhvati zeca“/„Fang den Hasen“, der von der Niederösterreicherin Rebekka Zeinzinger ins Deutsche übersetzt wurde. Der Roman handelt von zwei Freundinnen, die in einem alten Opel Astra von Mostar (einer Stadt in Bosnien) nach Wien unterwegs sind. Wir waren bei der Lesung im Literaturhaus am Inn dabei und sprachen mit Rebekka Zeinzinger, der Übersetzerin des Buches, die selbst drei Jahre im Rahmen des OeAD-Österreichischen Auslandsdienst als Lektorin für „Deutsch als Fremdsprache“ in Sarajevo gelebt hat.
Wie ist es dazu gekommen, dass du in Sarajevo als Lektorin für „Deutsch als Fremdsprache“ tätig warst?
Nach meinem Studium in Germanistik, Geschichte und Vergleichender Literaturwissenschaft in Wien wollte ich ins Ausland gehen und habe mich für das OeAD-Lektoratsprogramm entschieden. Dass ich genau in Sarajevo gelandet bin, war eher zufällig. Es war eine der Stellen, die in jenem Jahr ausgeschrieben waren. Aber ich war generell sehr offen für Osteuropa und habe mich dann einfach dafür beworben.
Wann hast du damit begonnen, die bosnische Sprache zu lernen?
Sobald ich erfahren habe, dass ich nach Sarajevo gehen werde, habe ich selbständig angefangen, Bosnisch zu lernen. Vor Ort habe ich dann auch noch einen Sprachkurs an einer Sprachschule besucht. Und irgendwann habe ich dann einfach geredet.
Was hast du für eine Beziehung zu dieser Sprache aufgebaut und wie hast du die Unterschiede zum Deutschen wahrgenommen?
Ich habe das Gefühl, dass die Sprache sehr direkt ist, also direkt von Mensch zu Mensch. Sie ist viel unmittelbarer als das Deutsche. Die Leute machen beim Reden keine Umschweife. Das hat mir sehr gut gefallen – vor allem auch die Alltagssprache, also dieser spezifische Sarajevo-Slang, weil, es gibt dort ja auch viele unterschiedliche Dialekte. Wenn ich dann in Kroatien war, wo man sich ja mit der gleichen Sprache problemlos verständigen kann, wurde mir immer gleich gesagt: „Du redest wie die Leute in Sarajevo“.
Bei der Lesung im Literaturhaus am Inn hast du erzählt, dass du Lana Bastasićs Roman in Sarajevo gekauft hast und er dir so gut gefallen hat, dass du gleich damit begonnen hast, ihn ins Deutsche zu übersetzen. Warum wolltest du ausgerechnet dieses Buch übersetzen?
Es hat mich direkt angesprochen, weil für mich so viel Vertrautes drinnen war. Zum ersten geht es um eine Geschichte von jungen Frauen, mit denen ich mich gut identifizieren konnte. Dann geht es auch um diesen Roadtrip von Bosnien nach Wien – und ich habe sozusagen den umgekehrten Weg zurückgelegt, von Wien nach Bosnien. Dadurch habe ich alle Orte gekannt, die im Buch vorkamen und habe mich gut hineinversetzen können. Das hat mich dann so gereizt, dass ich mich – ohne Hintergedanken– einfach hingesetzt habe, um das erste Kapitel ins Deutsche zu übersetzen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich mir aber überhaupt noch nicht ausgemalt, dass das Buch dann tatsächlich einmal in meiner Übersetzung erscheinen würde.
Also bist du selber auch – wie die Figuren im Roman – auf dem Landweg von Wien nach Bosnien gefahren und hast dieses Roadtrip-Feeling gehabt?
Ja, immer unterschiedlich. Während dieser Zeit bin ich ja oft hin und hergefahren. Ich hatte auch ein eigenes Auto, mit dem ich schon mehrmals die ganze Strecke gefahren bin. Aber mit dem Bus natürlich auch – diese Balkanbus-Erfahrung ist ja auch etwas sehr Typisches.
Hast du beim Übersetzen bewusst darauf geschaut, dass du den Text inhaltlich auch an die Zielkultur in Österreich anpasst, oder war es dir wichtiger, möglichst authentisch zu übersetzen und auch mal bewusst etwas Befremdliches stehen zu lassen?
Das ist immer eine große Frage. Da es meine erste größere Übersetzung war, habe ich vieles intuitiv gemacht. Ich habe schon bewusst auch viele Kulturspezifika so stehen gelassen, zum Beispiel Namen typischer Gerichte wie „Pita“ oder „Uštipci“ und am Ende des Buches gibt es auch ein Glossar, wo einzelne Begriffe erklärt sind. Für mich hätte es vieles verfälscht, wenn ich diese Sachen einfach eingedeutscht hätte. Außerdem ist es so, dass bei uns ja auch viele Menschen aus Ex-Jugoslawien leben, die das Buch auf Deutsch lesen. Ihre Kultur ist ja bei uns sehr präsent, da kann man schon davon ausgehen, dass der ein oder andere das dann auch kennt. Deswegen wäre es schade, wenn das nicht so im Text drinnen stehen würde. Und für die anderen ist es ja auch kein Nachteil, wenn sie mal über etwas stolpern, das fremd ist. Fremdheit kann ja manchmal ganz erhellend sein.
Geht es dir beim Übersetzen auch darum, Bewusstsein über die bosnische oder ex-jugoslawische Kultur in Österreich zu schaffen?
Schon ja. Eigentlich finde ich es erstaunlich, dass es bei uns nicht mehr Bücher aus dieser Region gibt oder nicht mehr Kunst und Literatur aus diesem Raum in unserer Kulturlandschaft präsent sind – eben, weil die Kultur ja auch so nahe ist und so viele Leute da sind. Da wird in Österreich leider sehr wenig Interesse gezeigt – immer noch. Mir war es halt auch wichtig, dass ich durch das Übersetzen dazu beitragen kann, bosnischen Schriftstellerinnen eine Stimme zu verleihen, auf Deutsch. Bei uns redet man häufig über den Balkan und versucht, zu erklären, was dort passiert ist, aber meistens sind es Leute von uns, die über den Balkan reden und ich wollte das mal umdrehen und jemanden von dort sprechen lassen.
Hast du auch einen Einblick bekommen, wie es allgemein am deutschsprachigen Buchmarkt mit Literaturübersetzungen aus dem BKS-Sprachraum aussieht?
Genaue Zahlen kann ich keine liefern, aber es ist auffällig, dass die Auswahl sehr willkürlich ist. Das liegt daran, dass die Verlage dort keine Lobby haben, die haben nicht das nötige PR-Budget, ihre Autor:innen international zu bewerben. Meistens sind es die Übersetzer:innen, die Kontakte zu den Autor:innen knüpfen und versuchen, die an Verlage zu bringen. Also wir sind quasi die Scouts, denn für größere Sprachen gibt es dafür ja eigene Agenturen. Daher werden halt oft nur die etablierten Autoren ins Deutsche übersetzt – ich verwende da bewusst die männliche Form, weil meistens Männer übersetzt werden. Und, es ist natürlich ein Vorteil, wenn man auch als Übersetzerin Neues entdecken und eine Übersetzung ermöglichen kann, die es sonst nicht geben würde.
Problematisch ist dabei ja auch, dass die Buchmärkte im ex-jugoslawischen Raum gegeneinander agieren, was auch den Stellenwert dieser einzelnen Sprachen mindert. Was ist dein Eindruck von dieser Sprachpolitik und wie ist es Lana Bastasić mit ihrem Roman ergangen?
Das ist natürlich eine große Schwierigkeit, dass der Buchmarkt dort sehr zersplittert ist und man zum Beispiel in Zagreb kein Buch kaufen kann, das in Belgrad erscheint – obwohl es im Grunde dieselbe Sprache mit ganz wenigen Unterschieden ist. Es ist so, als würden wir in Österreich keine Bücher aus Deutschland oder der Schweiz kaufen können. Das ist schon schlimm für die Leser:innen und das ganze kulturelle Leben.
Bei Lana war es so, dass die Erstausgabe 2018 in Belgrad erschienen ist und ein halbes Jahr später haben sie dann eine eigene Ausgabe für Sarajevo und Zagreb herausgebracht, damit es dort auch verkauft werden kann. Das ist quasi der authentische Text, es wurde nichts geändert, nur eine eigene Ausgabe gemacht, die offiziell dann nicht als Serbisch, sondern als Bosnisch oder Kroatisch betitelt ist.
Im Roman bringt es die Autorin zum Ausdruck, dass es schon auch kleine Unterschiede zwischen den BKS-Sprachen gibt bzw. gewisse Ausdrücke, die als besonders „bosnisch“ oder „kroatisch“ gelten. Inwiefern war das eine Herausforderung für dich beim Übersetzen?
Sprache ist am Balkan sehr stark mit Politik und Identität verknüpft. Es wird einem sofort eine nationale/ethnische Identität zugeschrieben, wenn man bestimmte Wörter verwendet. Als die Ich-Erzählerin Sara in „Fang den Hasen“ in Zagreb ins Taxi steigt und zum Bahnhof will, sagt sie „stanica“, dabei wäre das kroatische Wort „kolodvor“ angemessen gewesen. Beide Wörter bedeuten „Bahnhof“ und der Taxifahrer versteht sie auch, aber er mustert Sara gleich misstrauisch, weil für ihn klar ist, dass sie keine Kroatin ist. So etwas ist natürlich schwer, ins Deutsche zu transportieren, weil es diese Art sprachlich-ethnischer Unterschiede bei uns nicht gibt.
Das Gute war jedenfalls, dass ich viel mit Lana in Kontakt war und sie bei Unsicherheiten oft fragen habe können, denn, diese Feinheiten zu erkennen, erfordert schon viel Sprachbewusstsein.
Kannst du dir demnach auch vorstellen, Werke aus dem Kroatischen oder Serbischen zu übersetzen – oder hast du das vielleicht sogar schon gemacht?
Ja sicher, also ich bin jetzt gerade bei der Übersetzung von einem Roman einer serbischen Autorin, Milica Vučković. Es ist ihr erstes Buch (mit dem Originaltitel: „Smrtni ishod atletskih povreda“), das ins Deutsche übersetzt wird. Voraussichtlich wird es nächstes Jahr im Wiener Zsolnay Verlag erscheinen. Es war in Serbien im vorigen Jahr ein großer Bestseller, also sehr populär.
In Österreich ist ja das Bewusstsein über die Geschichte der Länder des ehemaligen Jugoslawiens sehr bescheiden, obwohl wir eine enge gemeinsame Geschichte teilen. Wie empfindest du das durch deinen Aufenthalt in Bosnien?
Das kann ich auf jeden Fall unterschreiben und es ist auch ein Grund, warum ich ein bisschen versuche, dahingehend Vermittlerin zu sein. Sehr oft stelle ich fest, dass Leute hier kaum über Länder am Balkan nachgedacht haben, obwohl uns sehr viel damit verbindet. Bosnien war ja auch einmal Teil von Österreich-Ungarn. Das zeigt schon die Architektur in Sarajevo sehr eindrücklich. Die gemeinsame Geschichte hat man dort direkt vor Augen. Österreich ist überhaupt sehr präsent dort. Mich hat es immer fasziniert, dass Österreich für viele junge Leute in Bosnien ein großes Hoffnungsland ist, ein Ziel. Einige wollen dorthin auswandern – traurigerweise gibt es in Bosnien einen sehr großen „Brain-Drain“, also viele gebildete, junge Leute gehen weg. Und umgekehrt – wer denkt bei uns über Bosnien nach? Da gibt es ein sehr großes Ungleichgewicht.
Bist du dahingehend optimistisch, dass auch Literatur bzw. Literaturübersetzung ein Weg sein kann, dies zukünftig zu ändern?
Ich habe den Eindruck, dass es derzeit in der Literatur bei uns großes Interesse für diese Region gibt, gerade weil die Leute merken: „Ich weiß ja gar nicht viel darüber, aber es würde mich sehr interessieren“. Mittlerweile erscheinen bei uns auch vermehrt Bücher aus diesem Sprachraum, was unter anderem durch das Programm „Traduki“ unterstützt wird, welches gezielt Übersetzungen aus Südosteuropa fördert. Das ist natürlich cool und macht das Ganze auch für Verlage attraktiver.
Das gesamte Programm der Veranstaltungsreihe finden Sie hier: https://www.uibk.ac.at/events/info/2022/der-bosnien-krieg.html
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