Er zeichnet die Welt, wie sie einmal sein könnte: Jakob Winkler hat sechs Jahre lang an einem Wimmelbuch gearbeitet, in dem unsere Gesellschaft nicht mehr von Erdöl abhängig ist.
„Ich habe keine Angst vor dem weißen Blatt.“ Jakob Winkler muss nicht lange überlegen, auf die Frage nach dem Danach. Was der Illustrator denn machen möchte, wenn sein Projekt nach bald einem Jahrzehnt seines Lebens und mehr als 50.000 Arbeitsstunden am Zeichentisch endlich abgeschlossen sein wird. Wenn sein Wimmelbuch an seine Unterstützer ausgeliefert sein wird, auch im Tiroler Buchhandel liegt, und er sich wieder anderen Dingen zuwenden kann. Dann wird er eben etwas Neues zeichnen, sagt der 36 Jahre alte Innsbrucker mit Osttiroler Wurzeln. Nichts sei besser als eine Fläche, auf der man seiner Fantasie freien Lauf lassen kann, findet Winkler.
Aber noch steht er, sichtlich müde und doch entschlossen positiv, auf der Innsbrucker Herbstmesse, Halle A – Erfinderbereich. Gegenüber preist ein bärtiger junger Mann einen neuen Schäler an, mit dem man Butter fürs Brot bequem portionieren kann. Winkler aber verkauft hier keine neue Lösung für eine kleine Unbequemlichkeit des Alltags, er will etwas teilen, was vielen Menschen angesichts der Klimakrise und dem ökologischen Multi-Organversagen des Planeten längst ausgegangen ist: Vorstellungskraft. Dafür steht der Künstler nun, wie immer mit rundem Hut, Goldrandbrille und Gilet über dem Hemd, von morgens bis abends zwischen ausrangierten Ölfässern und erzählt von der Zukunft. Einer Zukunft, in der die Menschheit gerade noch die Kurve gekratzt haben wird.
„Fatimas fantastische Reise in eine Welt ohne Erdöl“ heißt das Buch, für das der Künstler und DJ seit zehn Jahren recherchiert, seit sechs Jahren zeichnet und für das er vor drei Jahren sogar seinen gut dotierten Job als freiberuflicher Werbegrafiker aufgegeben hat.
Seine wissbegierige Erzählerin, das junge Mädchen Fatima, nimmt darin Kinder und Erwachsene an der Hand und zeigt ihnen eine zunächst bekannte Welt. Die, in der an einem einzigen Tag fast hundert Millionen Fässer Erdöl verbraucht werden. Ein Ort, an dem es immer noch am einfachsten erscheint, diesen Millionen Jahre alten Rohstoff gewaltsam aus der Erde zu holen, zu verarbeiten und zu verbrennen, nur um von A nach B zu kommen oder Tomaten besser verpacken zu können. Eine, in der sich das Klima immer weiter aufheizt und überlebenswichtige, natürliche Systeme der Erde deshalb in Gefahr sind. Doch plötzlich geht in Begleitung dieses Mädchens alles ganz schnell: Innerhalb weniger Seiten befinden sich Fatima und ihre Leser in einer Zukunft, in der Politiker mit dem Segelboot zur Weltkonferenz reisen, Städte ohne Autos funktionieren und das Gemüse vom Hausdach kommt. Die Menschen haben einen Weg gefunden, haben offensichtlich umgesteuert.
Zu Beginn der Neunzigerjahre, als der sogenannte Peak Oil, das drohende Ende der fossilen Ressource Erdöl, über den Köpfen der Menschen hing, habe man viel an solchen Visionen gesponnen, sagt Winkler. Irgendwann ist der Gedanke daran aber im kollektiven Unterbewusstsein tief vergraben worden. Ihm war es darum wichtig, die Vergangenheit und das Jetzt genau zu verstehen, bevor er das Morgen aufzeichnet. Was sagen eigentlich unsere Naturgesetze? Wie ist noch mal Erdöl entstanden? Und warum ist es überall drin? „Ich habe unglaublich viel recherchieren müssen, das Ganze ist sehr komplex“, sagt Winkler. Ein Wimmelbuch sei aber wunderbar geeignet, um Kindern und Erwachsenen solche Dinge so zu erklären, sodass sie auch verstanden werden.
„Ich habe überall im Buch die Helden meiner Kindheit versteckt.“
Anschaulich eben. Und detailverliebt: „Ich verspreche, es wird im Buch nie langweilig“, ruft Winkler einer Mutter hinterher, die mit ihrem kleinen Sohn im Prototypen geblättert hat und – versprochen! – das Buch bei der Crowdfunding-Plattform Startnext vorbestellen wird. „Auf den Seiten gibt es auch beim sechsten Mal Lesen immer noch etwas Neues zu entdecken“, ist der Zeichner überzeugt. Er deutet zum Beweis auf ein winziges Boot in einem Fluss und tatsächlich, da sitzt der kleine Tiger mit seiner Tigerente drin. „Ich habe überall im Buch die Helden meiner Kindheit versteckt“, sagt er, grinst – und man hat diesen kleinen Jungen von früher sofort vor sich. Künstlerisch geprägt wurde er von Zeichnern wie Janosch, Ali Migutsch oder Albert Uderzo, dem Erschaffer von Asterix und Obelix.
Persönlich prägend waren aber auch die vielen Jahre, die er für dieses Wimmelbuch recherchiert und mit Wissenschaftlern diskutiert hat. „Wenn man so tief hineinliest wie ich und dabei ökonomische Muster und kapitalistische Systeme erkennt, dann bleibt einem gar nichts anderes übrig, als sich auch politisch einzumischen“, sagt Winkler. Aber nicht unbedingt parteigebunden. „Politik heißt für mich: Schauen, dass es dem Gemeinwohl und der Gesellschaft gutgeht.“ Er ist überzeugt, dass nur die Zivilbevölkerung den Weg aus der Krise weisen kann. „Politiker denken in Legislaturperioden: Hauptsache niemanden verärgern, das ist die Devise.“ Visionen seien das nicht. Die Kunst könnte hier eine wichtige Rolle spielen, sagt Winkler. Egal ob mit einer Skulptur, einer Zeichnung oder einem Computerspiel: „Künstler entwerfen Welten und zeigen vielleicht, wie schön zum Beispiel ein Straßenzug aussehen könnte, wenn dort niemand parkt.“ Aber man müsse Geduld haben mit den Menschen und einen Schritt vor den anderen setzen.
„Politiker denken in Legislaturperioden: Hauptsache niemanden verärgern, das ist die Devise.“
Winkler hat selbst schon länger seinen Lebensstil umgestellt: Um Vollzeit zeichnen zu können, hatte er zuletzt seine täglichen Ausgaben auf zehn Euro pro Tag gesenkt. Er verkaufte sein Auto, das mit den vielen Fernreisen war sowieso vorbei, aber auch ein neues Paar Schuhe keine Selbstverständlichkeit mehr. In dieser Zeit habe er aber gleichzeitig unglaublich viel dazugewonnen, sagt Winkler. „Ich kann plötzlich ein wunderbares Mittagessen viel mehr wertschätzen und all diese Kleinigkeiten, die man normalerweise einfach so nebenher konsumiert.“
Winkler ist mit dieser Geschichte in Tirol schon fast so eine Figur geworden wie die junge Schwedin Greta Thunberg für die weltweite Generation von jungen Klimaschützern. Natürlich bewundere er sie und deren effektives Agendasetting sei ein großes Glück gewesen, nicht nur für sein Buch: „Vor einem Jahr hätte ich nicht glauben können, dass Klimaschutz das Wahlkampfthema Nummer eins sein würde und es plötzlich eine große Bewegung gibt, bei der man mitdemonstrieren kann.“ All das haben weder er noch Greta Thunberg so planen können. Genauso wie die Teenagerin, die sich an einem Freitag im Frühsommer vors Parlament setzte, um alleine zu streiken, hat auch Winkler einen gewissen Pioniergeist bewiesen: Als er vor zehn Jahren die Idee hatte, ein Wimmelbuch über Erdöl zu machen, war nicht klar, ob sich jemals jemand dafür interessieren würde. Und doch widmete er sich mit Haut und Haaren einer Sache, die für ihn größer war als der nächste Karriereschritt oder ein beruhigender Kontostand.
Diese Art von Opferbereitschaft und Leidenschaft war offensichtlich ansteckend: Dem gut vernetzten Illustrator stehen neben zahlreichen wissenschaftlichen Beratern auch viele freiwillige Helfer zur Seite. Nicht nur seine eigene Mutter – „Die Mama hängt da voll mit drinnen“ – sondern zum Beispiel auch die PR-Expertin Birgit Gruber, die ihn beim Texten unterstützte. Fatimas Reise sei zwar zu hundert Prozent Winklers Vision und sein Herzensprojekt, sagt sie am Telefon. „Er hat uns da aber alle mit reingezogen, das ging gar nicht anders.“ An vielen, vielen Abenden habe der Freundeskreis zusammengesessen, sich den Fortschritt des Buchs erzählen lassen und über Auswege aus der öl-abhängigen Gesellschaft von heute diskutiert. Auch privat habe das bei ihr viele Denkprozesse und schon konkrete Veränderungen angestoßen, sagt Gruber. „Wir wissen alle längst, dass wir umsteuern müssen. Die Schwierigkeit ist natürlich, es von heute auf morgen umzusetzen.“
„Er hat uns alle mit reingezogen, das ging gar nicht anders.“
Jakob Winkler zeigt auch bei der Umsetzung des Buchprojekts, dass beim grünen Wandel die Krux im Detail liegt: Das Buch wird nur auf Vorbestellung, klimaneutral und mit mineralölfreien Farben gedruckt, in einer Tiroler Druckerei, gebunden aber zu seinem Bedauern in Südtirol. „Es gibt leider bei uns keine Binderei mehr, die das so umsetzen kann.“ Der Preis ist mit 42 Euro inklusive Versand und Steuern auf den ersten Blick auch kein Schnäppchen, decke aber nur die Kosten.
Dabei ist Winkler mit „Fatimas Reise“ weiterhin voll ausgelastet: Im neuen Jahr will er gemeinsam mit ausgewählten Tiroler Buchhandlungen dafür sorgen, dass die Geschichte so vielen Kindern und Erwachsenen zugänglich wird, wie nur irgendwie möglich. Lehrer sollen das gesammelte Material kostenlos im Unterricht verwenden können, wenn sie zum Beispiel eine Erdölwoche planen. Und die zusätzliche Virtual-Reality-App „Map deine Umwelt“ wird den Nutzern ermöglichen, in das Geschehen rund um sich herum einzugreifen – indem sie eine Landkarte der etwas anderen Art erstellen: „Vom Plastikbecher im See bis zum schönen Gemeinschaftsgarten kann man darin alles markieren und Fatima ist überall dabei“, sagt Winkler. Fatimas Reise ist also noch lange nicht zu Ende und Winkler noch lange nicht fertig mit dem Verändern. Auf seinem weißem Blatt steht in unsichtbarer Schrift nämlich schon etwas Neues geschrieben: Innsbruck autofrei.
Wo ist „Fatimas fantastische Reise in eine Welt ohne Erdöl“ erhältlich?
Derzeit ausschließlich auf der Crowdfunding-Plattform startnext.com!
Das Buch wird rechtzeitig vor Weihnachten geliefert.
Jakob Winkler und Fatima auf Instagram
Ein Posting
Sehr naiv. Nehmen wir statt Erdöl Strom. Dieser wird nicht nur extrem teuer sondern knapp, die Lösung? Viele neue Atomkraftwerke, ist ja besser als Diesel und Benzin! Krank und gefährlich für die Allgemeinheit solche Realitätsverweigerer!
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