Ein Leben im Fluss
Ein Leben im Fluss
In der Szene nennen sie ihn „White Water Legend“ - den in London geborenen, in den USA aufgewachsenen, in Deutschland groß gewordenen und in Osttirol lebenden Hans Mayer.

Wenn man Hans Mayer zuhört, denkt man unwillkürlich an die Rosenheim Cops. Mir ging es jedenfalls so. Noch breiter kann bayerischer Akzent nicht sein. Mayer hat diesen Slang auch nach 20 Jahren in Osttirol nicht abgelegt, ja nicht einmal abgeschliffen. Und das mit Rosenheim stimmt auch, dort war tatsächlich eine von Mayers Lebensstationen. Aber bis er da und schließlich in Osttirol ankam, legte der heute 57-Jährige zigtausende Kilometer zurück, viele davon im eiskalten Wasser wilder Bäche und Flüsse. Wer in der internationalen Wildwasserszene nachfragt, hört von Nepal bis zum Grand Canyon Mayers Adelstitel: „The White Water Legend!“

Dabei wirkt der heute in Matrei lebende Mayer zumindest auf den ersten Blick nicht wie ein wilder Hund und schon gar nicht wie jene GoPro-bewaffneten Adrenalin-Junkies, die mit waghalsigen Sportstunts die sozialen Medien bevölkern. Im Gegenteil, dieser Mann vermittelt die Ruhe, aus der die Kraft kommt und ist wohl mehr ein Lebensabenteurer als ein sportlicher Extremist. „Heute geht alles ins Extreme, alles wird aufgeblasen“, philosophiert er, „auf den Kirchtag kommen 20.000 Leute und keiner hat mehr eine Freude damit.“ Dabei ist Mayer im Himalaya auf zehn Meter hohen Wellen geritten und kennt den Colorado River von seiner wildesten Seite, aber Heldentaten für ein paar tausend YouTube-Aufrufe kommen ihm seltsam vor. Wenn er einen Wildbach hinunterpaddelt, dann weil es ihm Spaß macht und weil er das wilde Wasser einfach liebt.

Auch deshalb – und wegen der echten Liebe – ist er in Osttirol gelandet und geblieben, an der Isel, einem Fluss, über den sich der Bayer so seine Gedanken macht. „Die hintere Isel ist das absolute Juwel, wirklich vergleichbar mit den schönsten Bächen weltweit.“ Flussabwärts ändere sich das. „Heute bin ich über den Tauernbach gefahren. Da fährst du 200 Meter aus der Prosseggklamm raus und dann ist die Isel ein Kanal. Das ist der grauslichste Abschnitt.“ Das Flussbauamt in Lienz hatte schon fertige Pläne, genau diesen Abschnitt des Flusses zu renaturieren und aufzuweiten. Die Finanzierung stand, doch der Matreier Bürgermeister Andreas Köll verhinderte das Projekt.

Hans Mayer mit dem „Ace of Spade“, einem Boot, das er zusammen mit seinen Freunden produziert und vertreibt.
Foto: Miriam Raneburger

Mayer kann nur den Kopf schütteln: „Das hätte dem Fluss richtig gut getan. Wenn man sich zusammentäte, könnte man mit wenig Aufwand so viel machen, auch am Tauernbach.“ Der Mann, der sein halbes Leben und im Durchschnitt mehr als 100 Tage im Jahr im wilden Wasser paddelt, weiß wovon er spricht. Mayer hat die Entwicklung vieler Wildwasser-Destinationen miterlebt und zum Teil mitgeprägt. Er hat in den Achtzigern Wildwasser-Rodeos in Lofer veranstaltet, mit hunderten Teilnehmern, die nicht nur zum Paddeln, sondern auch zum Feiern kamen und tagelange Happenings am Fluss abhielten.

„An der Soca waren jahrelang nur Paddler, heute ist das Tal von Touristen überschwemmt“, erklärt er und zieht einen Vergleich: „Dort ist das um diese Jahreszeit nur eine Rutscherei, aber die Isel, die führt Wasser bis in den Oktober.“ Sein Wasserreichtum macht den Osttiroler Gletscherfluss in Europa einmalig und die Saison besonders lang.  Zudem sei nicht nur die Isel ein ideales Paddelrevier, sondern auch die Drau, auf der Mayer viel mit Kanuschülern unterwegs ist: „Die Drau ist als Anfängerbach ein Wahnsinn. Vom Kosakenfriedhof abwärts hast du gleich ein riesiges Kehrwasser, da kann man wunderbar üben, es gibt Surfwellen, da kannst du mit Anfängern am ersten Tag schon surfen und hast auch noch eine tolle Kulisse. Da ist an manchen Stellen wildester Auwald. Aber das gehört entwickelt und hergerichtet.“

Mit „herrichten“ meint Mayer keine aufwändigen baulichen Inszenierungen. „Es geht eigentlich nur darum, die Ufer sauber zu halten, da und dort ein bisschen Sand aufzuschütten, damit die Kinder spielen können, auch um legale Möglichkeiten für Camping am Fluss oder ein Lagerfeuer.“ Weil jedes Feuer auf den Sandbänken der heimischen Flüsse eigentlich illegal ist, kann sich Mayer den Einsatz von Riverrangern vorstellen, vergleichbar mit den Nationalparkrangern: „So ein Riverranger könnte den Jungen sagen, ihr dürft da bleiben, aber ihr müsst zusammenräumen.“ Je länger das Gespräch mit dem Mann im Boot dauert, desto klarer wird auch einer journalistischen Landratte, was den Genuss am Fluss wirklich ausmacht. Es ist wie beim Wandern: Zur Bewegung gehören auch die Pausen, die Rastplätze, die Beobachtung der Natur. An der Isel hat Hans einen Lieblingsplatz: „Oberhalb von Ainet, das ist wie in Kanada, es hat sich jetzt eine große Wildgans angesiedelt, das ist so schön, da geht dir das Herz auf. Wenn es mehr solche Abschnitte gäbe, das wäre traumhaft.“

Nicht nur die Isel, auch die Drau zählt zu Mayers Lieblingsflüssen. „Da kann man wunderbar surfen!“
Foto: Jens Klatt

Gerade weil er die Bäche und Flüsse Osttirols als Lebensraum für Mensch, Flora und Fauna sieht, beurteilt Mayer die derzeitige Vermarktung eher skeptisch. Zu extrem sind ihm die Bilder in den Foldern und Prospekten, zu sehr auf Actionsportler  abgestimmt. Dabei ist Paddeln ein Massensport, vergleichbar mit dem Radwandern. Mayer wird nicht müde, diesen Aspekt zu betonen. Schon in den Achtzigern war er mit dem legendären AKC, dem „Alpinen Kajak Club“ rund um den Erdball unterwegs und traf die Besten der Szene. Er arbeitete unter anderem für das Unternehmen des legendären Anton Prijon, der 1958 in einem selbst gebastelten Faltboot Wildwasser-Weltmeister wurde und ebenfalls aus Rosenheim stammt.

Mayer war dabei, als Prijon Anfang der neunziger Jahre mit dem „Hurricane“ die erste Generation von „Playboats“ entwickelte und vor allem in den USA ein neuer Trend begann, das lustvolle, spielerische Paddeln und Surfen auf den mehr oder auch weniger wilden Wellen. Mayer gründete gemeinsam mit einer Gruppe von Freunden schließlich sein eigenes Unternehmen: La Ola, benannt nach einer Welle des Rio Miño, der an der Grenze zwischen Spanien und Protugal fließt. Der Lienzer La Ola-Store von Thomas Zimmermann ist ein Outlet dieser Shopmarke, „die wir nie weltweit schützen konnten“, wie sich Mayer heute erinnert, „weil ein französischer Kosmetikkonzern mit ähnlichem Namen sein Veto eingelegt hatte“.

„An der Soca waren jahrelang nur Paddler, heute ist das Tal von Touristen überschwemmt.“
Hans Mayer

Der erste La Ola-Store stand an einer Straßenkreuzung nahe Rosenheim und war nicht nur Geschäft, sondern vor allem ein Szenetreff. Mayer rief neben dem „Lofer Rodeo“ auch ein Wildwasser-Filmfestival ins Leben, versammelte viele der Szene-Gurus um sich und wurde nicht müde, sein Credo zu predigen: den puren Spaß am Paddeln und den besonderen Zauber des Lebens am Fluss. Genau das vermittelt Mayer noch heute all jenen, die seine La Ola-Kanuschule in Osttirol besuchen. Schon nach einem Tag sei man in der Lage, lustvoll die Drau hinunter zu paddeln, auf den Wellen zu surfen und die Landschaft zu genießen, erklärt der Flussphilosoph und macht das so glaubwürdig, dass man gleich buchen möchte.

Für Mayer – und nicht nur für ihn – hat jeder Fluss einen besonderen Charakter. Wie beurteilt er ein Gewässer, das er noch nicht kennt? „Es gibt Führer und  viel wird heute über das Internet gemacht. Wenn ich wo hinfahre, schau ich Einstieg und Ausstieg an und kann ohne Pegel abschätzen, ob es zum Beispiel Hochwasser ist. Heute gibt es dafür übrigens Apps. Bei uns sind neue Schilder geplant, die brauchen die Paddler aber eigentlich gar nicht.“ Welche Bäche liegen ihm? „Ich mag gerne viel Wasser und Bäche, die nicht bösartig sind. Die Ötz zum Beispiel kann bösartig sein. Die Isel ist dynamisch, aber gutmütig“, erklärt der Meister und macht eine Ausnahme: „Der Katarakt beim Feglitz Palfn, das ist richtig schweres Wildwasser, aber sonst ist die Isel ein Genuss. In der Ötz kannst du dir weh tun, die ist düster. Die Isel, da hast du die Sonne im Gesicht und die Berge vor dir.“

Kajak ist sowohl Action, als auch Massensport. Osttirol bietet beides.
Foto: Gregor Unterdechler

Hans Mayer genießt diese Ausflüge auch nach tausenden Fahrten und manchmal, im Geheimen, freut er sich, dass die Tourismuswerbung in Osttirol nicht erfolgreicher ist. „Wir brauchen eigentlich nicht mehr Touristen, mir gehört ja jedes Kehrwasser, nicht wie an der Soca, wo schon 20 Leute warten.“ Aber kann man davon leben?

Das ist auch so eine Frage, auf die ein Lebenskünstler wie Mayer eine Antwort hat, die jeden Stress vermissen lässt. Er paddelt durch das Leben so ähnlich wie durch die Bäche, lässt sich ein Stück weit treiben und wenn es nötig ist, wird eben kräftiger gerudert. Neben der Kanuschule managt er den Vertrieb für eine amerikanische Schlauchboot-Marke („Ganz nette Leute, kein Verkaufsdruck!“) und macht, was er immer schon tat: Neuland erkunden.

Hans Mayers Credo in der La Ola-Kanuschule: Kajakfahren soll vor allem Spaß machen.
Foto: Jens Klatt

Mit 57 Jahren startet der Altmeister der Wildwasser-Szene noch einmal als Jungunternehmer durch. Natürlich im Wildwasser und gemeinsam mit den Kumpels aus der Szene. Sie verkaufen jetzt eigene Boote. Olli Grau, Weltmeister, legendärer Freestyler und Buchautor ist mit von der Partie, Jens Klatt, dessen Name ebenfalls in keinem Kajak-Bücherregal fehlt, macht die Grafik und der Münchner Industriedesigner Jan Haluszka gab dem „Ace of Spade“, dem neuen Boot seine Form. Mit Spade Kajaks will Mayer noch einmal richtig durchstarten. Auf der Website steht: „Wir sind Paddler, Menschen, die die meiste Zeit ihres Lebens um den Globus gereist sind, auf der Suche nach dem perfekten Fluss. Aber wie perfekt kann der Fluss sein, ohne das perfekte Boot …?“ Mayer und seine „Spezln“ haben es ihrer Ansicht nach gebaut. „Für mich ist es gut, wenn es leicht zu fahren ist und gut zum Spielen. Der Markt sagt dir schon, ob du ein gutes Boot hast. Das ist halt wieder ein Abenteuer, aber das ist mein Leben. Ich sag immer, was habt’s denn so Angst? Wenn du nix mehr riskierst, dann is vorbei!“

Und dann lacht er, der Hans Mayer mit dem bayerischen Akzent – und man glaubt ihm auf’s Wort.

Credits
  • Autor: Gerhard Pirkner
  • Fotografie: Miriam Raneburger / Jens Klatt / Gregor Unterdechler

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