Die Genialität
von Hanf
Die Genialität von Hanf
Oha, was wächst denn da?

Im Sommer 2016 wurde eine anonyme Anzeige bei der Polizei Lienz erstattet. Entlang der Nikolsdorfer Landesstraße baue jemand massenweise Drogen an. Im selben Sommer mehrten sich in sozialen Medien Profilbilder von Osttirolern inmitten von meterhohen Pflanzen mit Blättern und Blütenständen, die an die Flora Jamaikas erinnerten. Ein weiteres Feld mit den gleichen Pflanzen in der Nähe von Aguntum wies an allen Ecken Fahrradspuren auf. Die drei Meter hohen Pflanzen erregten ziemliches Aufsehen und verursachten einiges Kopfzerbrechen. Bei manchen sogar Kopfschmerzen.

Ein Jahr später wissen nun auch diese Jugendlichen und die übrigen Osttiroler, dass es sich hier nicht um zwei eineinhalb Hektar große, nicht sehr gut versteckte Cannabis-Plantagen handelt, sondern um ein mutiges Projekt dreier äußerst innovativer Bauern. Weniger bekannt ist allerdings, wie aufregend, aber auch aufwendig die ersten zwei Jahre Hanfanbau in Osttirol tatsächlich waren.

Für die Ernte wurde ein Mähdrescher, Baujahr 1964, auf einen Hänger verfrachtet. Nur so können die bis zu drei Meter hohen Hanfpflanzen geerntet werden.

Ein kurzer Rückblick: Die Idee zu dem Projekt lieferten im Frühjahr 2015 zwei HTL-Schüler, Simon Pötscher und Daniel Schett, mit ihrem Maturaprojekt über die Einsatzmöglichkeiten des nachwachsenden Rohstoffes Hanf. Sie brauchten für das Projekt interessierte Bauern, die zum Versuchszweck Hanf anbauen würden. Michael Halbfurter hörte ihren Vortrag in der RGO und war sofort Feuer und Flamme. „Ohne viel nachzudenken!“, wie er lachend bekennt. „Bei dem Milchpreis muss man als Bauer einfach nach neuen Möglichkeiten Ausschau halten.“

Zwei Nikolsdorfer Bauern, Bernhard Astner und Heinz Bachlechner, begeisterten sich ebenfalls für das Projekt und eine gemeinsame Ideenschmiede entstand. Die drei knüpften Kontakte zu Hanfbauern in Südtirol, Kärnten und Ostösterreich und holten sich Informationen bei dem Hanfexperten schlechthin. Der lebt zufällig in Osttirol. In Assling, um genau zu sein.

Michael Halbfurter ist einer der drei Hanfbauern in Osttirol. Aus einem HTL-Matura Projekt entstand eine innovative und erfolgreiche Zusammenarbeit.

Christian Vogl schrieb bereits 1999 seine Dissertation zu dem Thema Ertragsleistung und Nährstoffabfuhr von Hanf in Österreich und hat im Laufe der folgenden Jahre zahlreiche weitere Forschungsprojekte im Auftrag der BOKU Wien dazu durchgeführt. Das heißt, dieser Mann besitzt nicht nur ein unglaublich großes theoretisches Wissen über diese alte Kultur-, um nicht zu sagen Kultpflanze, sondern hat selbst jahrelang großflächig Hanf angebaut und weiß genau, wovon er spricht, wenn er mit den romantischen Vorstellungen zum Hanfanbau aufräumt.

„In den Medien kursieren völlig falsche Informationen über Hanf. Man findet Sätze wie ‚Hanf wächst in 100 Tagen sieben Meter, unterdrückt Unkraut, hat keine Bodenansprüche, Krankheiten oder Schädlinge‘, aber das stimmt einfach nicht. Hanf ist eine Pflanze mit hohen Ansprüchen an Bodenfruchtbarkeit, Bodenwasserhaushalt und Kulturführung, wenn man gute Erträge will. Hanf braucht Know-how bei Anbau und Ernte und hat wegen des sehr hohen Fasergehaltes und der Faserfestigkeit hohe Ansprüche an die Ernte und die Technik der Verarbeitung.

Hanf konkurriert zudem am lokalen aber auch am nationalen und internationalen Markt mit anderen Öl- und Duftpflanzen sowie Natur- und Kunstfasern und man muss sich deshalb wirklich überlegen, zu welchen Kosten man die erwartete Qualität herstellen kann und ob die KonsumentInnen bereit sind, den notwendigen Preis zu zahlen. In Osttirol liegt die größte Herausforderung bei der Kulturführung auf den vergleichsweise sauren Böden mit einem niedrigen pH-Wert und teilweise stauender Nässe. Die gute Standortwahl ist daher äußerst wesentlich. Ein Risiko bei Hanfanbau ist nämlich der Befall von Maiszünsler oder in einem feuchten Spätsommer mit Nebel-Botrytis, eine Schimmelfäule im Blüten- beziehungsweise Samenstand.“

Sylvia und Bernhard Astner überprüfen den Blüten- und Samenstand des Osttiroler Hanfs.

Solch klare und ernüchternde Aussagen könnten manche Menschen dazu veranlassen, ein solches Projekt Idee sein zu lassen, um sich wieder der alltäglichen und bekannten Routine zu widmen. Zu diesen Menschen gehören die Halbfurters, Astners und Bachlechners allerdings nicht. Sie ließen sich nicht einmal von der aufwendigen Bürokratie abschrecken. Auch hier weiß Christian Vogl genau Bescheid: „Für den Fall, dass von der AMA Direktzahlungen für den Anbau von Hanf bezogen werden, dürfen nur zertifizierte THC-arme Sorten angebaut werden, die nicht als Suchtgift oder Medizinalpflanze verwendbar sind. Der Hanfanbau muss bei der AMA-Behörde gemeldet werden, es bedarf verplomten Saatgutes, genauesten Aufzeichnungen und Proben auf THC-Gehalt.“

Die größten Schwierigkeiten machte allerdings die Ernte. Wie geschmiert lief da nämlich nichts. Aufgrund der Stärke der Hanffaser wäre beim Einsatz von modernen Mähdreschern mit Trommeln der Motorschaden vorprogrammiert gewesen. Michael Halbfurter wusste von den Problemen, die viele Hanfbauern in Ostösterreich mit ihren modernen Maschinen hatten. „Die sind ihnen zum Teil einfach am Feld abgebrannt!“ Deshalb kaufte er einen Oldtimer-Mähdrescher aus dem Jahre 1964. Den musste er erst einmal von Kärnten nach Osttirol transportieren. Das nächste Problem war, dass er nicht hoch genug war. Doch die drei Bauern wären nicht so innovationsfreudig, wenn sie nicht auch Erfindergeist hätten. Und ihre Lösung war genauso unkonventionell wie praktisch. Sie verfrachteten einfach den Mähdrescher „huckepack“, wie Sylvia Astner es nennt, auf einen Hänger und konnten damit die Stängel in einer Höhe abschneiden, die die Maschine schaffte.

„Und wir haben natürlich dazugelernt und heuer ein anderes Saatgut ausprobiert. Dadurch wuchsen die Pflanzen in diesem Jahr nur halb so hoch und die Ernte war schon viel leichter. Was aber immer noch nicht bedeutete, dass der alte Mähdrescher bis zum Schluss durchhielt!“, erzählt Michael Halbfurter.

Heinz Bachlechner ist für die Pressung des Hanföls zuständig.
Aus rund 4,5 Kilo ungeschälten Hanfsamen wird ein Liter Hanföl kaltgepresst, wobei pro Stunde maximal zwei Liter Öl produziert werden.

Ausdauer, eine gute Zusammenarbeit und vor allem gemeinsame Investitionen sind also das Erfolgsrezept dieses innovativen Trios. So kaufte Bernhard Astner die notwendige Schälmaschine und Heinz Bachlechner eine Ölpresse. Und damit ist die Verarbeitung der von ihnen gewählten Hanfprodukte gewährleistet. Bereits im ersten Jahr war nach dem Dreschen, Trocknen, Putzen, Schälen und Pressen ihres Osttiroler Hanfs eine imposante Produktserie da: Hanföl, geschälte Hanfnüsse, Hanfproteinpulver, Hanftee, Müsliriegel, Badesalz und Seifen.

Die Hanfprodukte sind bei allen drei Bauern direkt ab Hof erhältlich und werden in Osttirol unter anderem in der Lienzer Schweizergasse bei „Greenstore – Headshop & More“ oder im Barbarahof bei Silvi’s Schatzkiste, im Talmarkt in Matrei, im Naturkostladen Sillian und im M’s Ladele in Nikolsdorf angeboten. „Nach einem Beitrag im Fernsehen über unseren Hanfanbau erhielten wir Anrufe aus ganz Österreich von Menschen, die sich für unsere Produkte interessieren“, berichtet Karin Halbfurter. Und Sylvia Astner ergänzt: „Das Interesse beziehungsweise Feedback seitens Handel, Gastronomie, Gesundheitsbetrieben und Endverbrauchern ist groß und für uns sehr motivierend.“ Eine Bewusstseinsbildung über das Nahrungsmittel Hanf ist vor allem den drei Bäuerinnen, die die Hanfprodukte ja auch selbst herstellen, ein großes Bedürfnis.

Die Hanfsamen werden – ähnlich wie Sonnenblumenkerne – geschält. Bernhard Astner hat die dazu nötige Schälmaschine gekauft.
Hanföl wird im schonenden Kaltpressverfahren hergestellt. Damit bleiben alle Enzyme und wertvollen Inhaltsstoffe erhalten.

Die größte Triebfeder der drei Bauern scheint aber ihre Liebe zu ihrem Beruf und die Notwendigkeit, sich darin weiterzuentwickeln, zu sein. „Wir würden es toll finden, wenn unsere Pionierarbeit anderen Landwirten Mut machen würde, neue Wege zu gehen. In den letzten Jahrzehnten wurde die Landwirtschaft immer mehr von ‚oben herab‘ gesteuert und heute machen irgendwie alle dasselbe. Mut zu Neuem bedeutet für uns einen wichtigen Schritt in Richtung Ernährungssouveränität in Osttirol. Je mehr Skandale es im Lebensmittelbereich gibt, umso wichtiger wird es, unabhängig von großen Konzernen zu werden.

Wir sind überzeugt davon, dass die KonsumentInnen regionale Produkte gerne kaufen, da die Nachvollziehbarkeit der Herkunft, der Inhaltsstoffe und der gesundheitlichen Werte immer wichtiger wird und die Menschen sehr wohl bereit sind, Geld dafür auszugeben. Eine starke Landwirtschaft dient auch der Nachhaltigkeit, der Energieversorgung, sozialen Projekten und dem sanften Tourismus. Nur wenn alle – Bauern, Wirtschaft, Tourismus und Endverbraucher – zusammenarbeiten, können wir ein Konzept erarbeiten, von dem alle profitieren. Das ist unsere Vision für die Zukunft!“, fassen es Monika Bachlechner und Sylvia Astner zusammen.

Nach dem Dreschen muss das Hanfkorn innerhalb weniger Stunden zur Trocknung gebracht werden.
Die circa drei bis sechs Millimeter großen Hanfsamen besitzen eine Vielzahl an gesunden Inhaltsstoffen.
Die drei Osttiroler Bauernfamilien beschreiten neue Wege.
Powerfood: Hanfprodukte sind eine natürliche Quelle von Omega-3-Fettsäuren und Gamma Linolensäure.

Ihr Projekt spricht für sich. Die Halbfurters, Bachlechners und Astners können zufrieden sein. Die ersten beiden Ernten waren erfolgreich. Aber das Abenteuer Hanf in Osttirol geht weiter und im nächsten Mai, wenn die ersten Hanfsamen wieder gesät werden, in die nächste Runde.


Was kann Hanf?

Hanfsamen sind reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen und bereits 100 Gramm Hanfsamen decken nahezu den Tagesbedarf an Vitamin B1 und B2, Calcium, Magnesium, Kalium und Eisen ab. Dazu kommt ein ausgewogenes Verhältnis der Omega- 3- zu Omega-6-Fettsäuren.

Aufgrund seiner idealen Proteinzusammensetzung und einem ausgewogenen Verhältnis der Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren ist Hanf auch eine interessante Alternative zu Sojaprodukten. Das Hanföl enthält nicht nur einen hohen Anteil an Linolsäuren, sondern auch Phytosterine, die einen cholesterinsenkenden Effekt haben, sowie Vitamin E, das das Risiko auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs senkt. Das Öl eignet sich „besonders gut als Salatöl und für Menschen,die unter einer Nussallergie leiden. Außerdem sind die geschälten Hanfsamen reich an Omega-3-Fettsäuren – vergleichbar mit Fisch“, erklärt Karin Halbfurter.

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