Martin Kofler kennt man in Osttirol, denn der Historiker ist ein Mann der Bilder und Geschichten. Und Geschichte wird anhand von Bildern immer lebendig und zugänglich. Anhand von persönlichen Erzählungen von Zeitzeugen wird sie sogar subjektiv greifbar.
Als wissenschaftlicher Leiter des Tiroler Archivs für photographische Dokumentation und Kunst verwaltet Martin Kofler „das kollektive visuelle Gedächtnis Osttirols und des Südtiroler Pustertales“, wie er es nennt. Seit 2011, als das TAP als Interreg-Projekt zwischen Italien und Österreich ins Leben gerufen wurde, sammelte, digitalisierte und dokumentierte der 46-jährige Lienzer Tausende von Fotografien in den beiden Zweigstellen Lienz und Bruneck. Publiziert wurde das umfassende historische Material in Ausstellungen, Büchern und Workshops. Zum 80. Jahrestag des Anschlusses verfasste Kofler einen Foto-Essay mit dem Titel „Der abseits gelegene Anschluss: Osttirol 1938“ in dem neu erschienenen Buch „1938 – Der Anschluss in den Bezirken Tirols“, das der Historiker Horst Schreiber im Innsbrucker Studien Verlag herausgab.
Wir haben die Ereignisse in Osttirol rund um den 10. April 1938 mit Fotos und Unterlagen von Martin Kofler noch einmal zusammengefasst.
Nach dem traumatischen Verlust von Südtirol in den Jahren 1918/20, führten die durch die Wirtschaftskrise bedingten Zwangsversteigerungen vieler Osttiroler Bauernhöfe in den frühen 1930er Jahren zu einer politischen Radikalisierung, von der die religiös-konservative, Dollfuß-Schuschnigg verbundene Heimatwehr-Bewegung genauso profitierte, wie der Nationalsozialismus, der zu seiner „illegalen“ Zeit 1933 bis 1938 vor allem Anhänger im Lienzer Talboden, Matrei und Sillian hatte.
Noch bevor – verspätet am 16. März 1938 – ein propagandistischer Festakt zum Anschluss Osttirols auf dem nun umgetauften „Adolf-Hitler-Platz“ mit 300 „Deutschen Polizisten“ und den neuen Granden der Politik stattfand, hatte man dort in den Abendstunden des 11. März mit einem NS-Fackelzug und einer anschließenden Kundgebung die Hoffnung auf eine wirtschaftliche Besserung, das Ende des verhassten autoritären und diktatorischen Ständestaates und die „Heimholung“ in ein starkes Deutsches Reich durch einen noch stärker scheinenden Führer gefeiert.
Bereits am 14. März erschien die neue NS-Zeitung „Der Deutsche Osttiroler“. Die katholisch-konservativen „Lienzer Nachrichten“ wurden eingestellt.
Die am 10. April durchgeführte offizielle „Volksabstimmung“ über den Anschluss Österreichs und die Eingliederung in das Deutsche Reich war im Grunde eine Farce, weil beides schon beschlossen beziehungsweise vollzogen war. Dennoch wurde dafür in jedem noch so kleinen Dorf geworben. Den Höhepunkt dieser Propagandamaschinerie bildete der Auftritt von Adolf Hitler Anfang April in Klagenfurt, zu dem Tausende von Osttirolern pilgerten.
Die Wahlversprechen hinsichtlich „Arbeit & Brot“, Bauernentschuldung, Bauprogrammen von lokalen Seilbahnen und Güterwegen, die Empfehlungen der Bischöfe und des sozialdemokratischen Staatskanzlers von 1918, Karl Renner, die propagandistische Instrumentalisierung Andreas Hofers sowie zahllose Parteiveranstaltungen innerhalb von nur vier Wochen bewirkten, dass 99,73 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen in Österreich und 99,3 Prozent der Tiroler Stimmen für den Anschluss an Deutschland votierten. Im Bezirk Lienz drückten die „Nein“- und ungültigen Stimmen besonders in Inner- und Außervillgraten sowie in Obertilliach und Abfaltersbach das Ergebnis auf 98,68 Prozent. Den Minus-Rekord mit „nur“ 73,7 Prozent „Ja“-Stimmen erzielte dabei österreichweit die Gemeinde Innervillgraten, wo 356 Bürger mit „Ja“ und 89 mit „Nein“ stimmten und 36 Personen ungültig wählten.
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Der Mut der Villgrater gehört viel mehr gewürdigt! Man kann Stolz sein auf diesen kleinen Lichtstrahl in dieser dunklen Zeit!
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