Das Poetische ist bei Barbara Hundegger auch politisch. Jetzt wird die Tiroler Lyrikerin mit dem Landespreis für Kunst geehrt. Es war höchste Zeit dafür. Ein Porträt von Ivona Jelcic.
Als vor Jahren das ehemalige Gasthaus Steden in der Innsbrucker Anichstraße renoviert und als Gasthaus Anich wiedereröffnet wurde, wurde Barbara Hundegger gefragt, ob sie für Glaseingang und -fenster Texte zu Peter Anich schreiben wolle. Sie wollte. Und ahnte bereits damals, dass „dieser Anich“, über dessen Leistungen als Kartograf und Globenbauer in Tirol jedes Schulkind die herkömmliche Erzählung eingebläut bekommt, sie noch länger beschäftigen würde.
Ein literarischer Glücksfall. Denn in ihrem 2019 bei Haymon erschienenen [anich.atmosphären.atlas] vermisst Hundegger den Kosmos Peter Anich mit den Instrumenten einer Lyrik, die seit jeher auch dem Gesellschaftlichen und Politischen den Puls fühlt. Was im konkreten Fall bedeutet, dass sie sich dafür interessiert hat, unter welch „immensen Schwierigkeiten und ruinösem persönlichem Einsatz“ da einer im 18. Jahrhundert die Grenzen seiner sozialen Klasse überschritten hat. „Das geht in der vorherrschenden Anich-Erzählung vom kleinen Bauern, dessen sich ein Förderer erbarmt und ihn zu Höchstleistungen bringt, sowie dem Betonen von Anichs Gläubigkeit und Bescheidenheit unter“, sagt Hundegger im Gespräch mit dem 20er. „Und die Zuschreibung der Bescheidenheit, die der Armut zusätzlich auch gleich noch das so genannte kleine Glück bescheinigt, zählt ja zum Instrumentarium bewährter Herrschaftstechniken der Habenden und Begüterten.“
Für ihr literarisches Werk, in dem sie immer wieder auch die herrschenden Verhältnisse der Gegenwart seziert, wurde Hundegger vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Reinhard-Priessnitz- und den Anton-Wildgans-Preis. „Die Miteinbeziehung des Gesellschaftspolitischen und Politischen in meine Arbeit“, sagt sie selbst, „hat vor allem etwas mit literarischer Präzision zu tun. Das, was die Umständ‘ und Zuständ‘ mit uns machen, außen vor zu lassen, wäre für mich eine unvertretbare künstlerische Ungenauigkeit.“
Und mit Ungenauigkeiten braucht man der 1963 in Hall geborenen Schriftstellerin nicht zu kommen. Auch aus größter lyrischer Dichte entsteht bei ihr „poetischer Klartext“ (Barbara Neuwirth in ihrer Laudatio anlässlich der Verleihung des Anton-Wildgans-Preises 2014).
„Eine dermaßen vulgäre Abwertung von Frauen muss man erst einmal so parat haben auf die Schnelle!“
Am 5. Oktober wird mit „bahu“, wie sich Hundegger auch selbst nennt, eine der wichtigsten österreichischen Gegenwarts-Lyrikerinnen mit dem Tiroler Landespreis für Kunst 2020 geehrt. Das gab das Land Ende Juni bekannt und betonte dabei besonders ihr feministisches Engagement. Das ist auch Hundegger nicht entgangen: „Der zeitliche Zusammenfall von Preisvergabe und ,Luder‘-Sager wird eher ein Zufall gewesen sein, weil ja eine multipel besetzte Jury entscheidet, der es wohl auch zu Ohren gekommen sein dürfte, dass mein [anich.atmosphären.atlas] von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung unter die 10 besten deutschsprachigen Lyrikbände des Jahres nominiert worden ist … Die Betonung des Feministischen ist mir aber auch aufgefallen – weil sie ansonsten in Tirol ja praktisch nicht vorkommt … Das ändert aber rein gar nichts am Skandalösen des Geisler-Sagers – und eine dermaßen vulgäre Abwertung von Frauen muss man erst einmal so parat haben auf die Schnelle!“
In diesem Tirol, in dem die Betonung des Feministischen sogar dazu angetan ist, Koalitionskrisen auszulösen, hat sich Hundegger in der Tat bereits ab den Achtzigerjahren in verschiedenen feministischen Arbeits- und Projektgruppen intensiv mit Themen wie patriarchaler Ökonomie, sexualisierter Gewalt oder Homophobie beschäftigt. Sie sind für sie nach wie vor höchst relevant: „Die so genannten Demokratie-Krisen“, sagt Hundegger, „sind zu einem gewichtigen Teil auch der cholerische Aufstand des Patriarchats gegen seine Entmachtung.“
Ihr erster Gedichtband „und in den schwestern schlafen vergessene dinge“ erschien 1998 im Wieser Verlag. 2003 entstand als Auftragswerk für coop.fem.art. der Theatertext „kein schluss bleibt auf der andern: nutte nonne lesbe – drei mal raten zählen“. Ausgangspunkt dafür war die Nachbarschaft von drei höchst unterschiedlichen Frauenorten in Wilten – Autonomes FrauenLesbenZentrum (AFLZ), Bordell und Orden der Karmelitinnen – „die gegensätzlicher kaum sein könnten und doch verbunden sind über ihre Konfrontation mit Weiblichkeitsnormen und -klischees“.
Wohlgemerkt habe es „nachbarschaftliche Begegnungen offiziell nie gegeben – wenn man davon absieht, dass in einem der Interviews, die ich für diese Arbeit gemacht habe, davon die Rede war, dass die Karmelitinnen ihre Nachbarinnen des Öfteren ins Gebet eingeschlossen hätten und dass einmal eine Frau vom Puff dem Karmel eine Immobilie habe vererben oder schenken wollen, dieses Geschenk von den Karmelitinnen aber abgelehnt worden sei, weil man so zustande gekommenen Besitz nicht reinen Gewissens hätte annehmen können (da hört man die auch in der Gegend ansässigen Banken nur lauthals lachen!). Und abgesehen davon, dass wohl auch am Küchentisch im Puff, wohin ich in meiner Zeit als Taxifahrerin öfters üppige Hendl-Pommes-Lieferungen aus dem Wienerwald gebracht habe – und das war eine begehrte Fuhre, weil da war drauf Verlass, dass das Trinkgeld passte! – das eine oder andere mehr oder weniger seriöse Wort über die Nachbarinnen gefallen sein wird.“
„nichts von format: kein feuilleton, keine debatten, keine gesellschaftsreflexion, kein diskurs; (…) freiwillig kein kritisches wort über potent-ganzseitige inserenten.“
In „schreibennichtschreiben“ (Skarabäus, 2009) setzt sich Hundegger nicht zuletzt auch mit der prekären Situation der Schreibenden auf dem harten Pflaster der Lyrik auseinander, und hält zugleich bis heute kritischen Abstand zu lyrischen Klischees. Im Vorwort zu ihrem aus der Innsbrucker Poetik-Vorlesung 2016 hervorgegangenen Band „dein wörterkopfball kämpft mit wind“, schreibt sie: Es gehe ihr um „jene Art Lyrik, die sich fern von gestimmtheitstrunkener Gedankenveredelung in der Abenddämmerung den gesellschaftspolitischen, sozialen, technischen, emotionalen, menschlichen usw. Fragen der Zeit stellt“.
Was zurück an die Wirtshaustür oder jene Orte führt, die sie mit „Public-Poetry“-Projekten bespielt. Zum Beispiel eine Brache in Hötting-West, auf der sie vor einigen Jahren zusammen mit Christine S. Prantauer die Plakatserie „PAMPA PAMPA – milieu innsbruck-west“ installiert hat. Für Hundegger auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen „Stadtrandkindheit in den Bau-Boom-Landschaften der Höttinger Au der Sechziger- und Siebzigerjahre“.
Es sind diese poetischen Erkundungen zwischen Schotter und Beton, aber auch die kritischen Blicke auf die Tiroler Verhältnisse, die bahu zu einer wichtigen Stimme im Land machen. Über die hiesige Medienlandschaft schrieb sie einmal: „nichts von format: kein feuilleton, keine debatten, keine gesellschaftsreflexion, kein diskurs; (…) freiwillig kein kritisches wort über potent-ganzseitige inserenten; nichts gender-desaströses wird angeprangert, nichts frauen-relevantes vorangetrieben, niemand wird überhaupt damit konfrontiert und befasst. nirgends eine spur von zur-verfügung-stellen, öffentlicher medienfläche‘ an ,zeitungs‘-fernes im land. alles selbst verkaufen. und kassieren. jeden zehntelmillimeter. selbst bei den anzeigen für die toten noch …“.
Das war lange, nachdem Hundegger selbst an einer Gegenöffentlichkeit mitgeschrieben hatte: Sie gehörte 1996 zu den Gründungsredakteurinnen der Straßenzeitung 20er: „Wir – Benedikt Sauer, Claudia Dietl-Stuppäck und ich – haben uns in einer Kammer mit drei Zetteln und drei Stiften getroffen, um die Sache anzugehen.“ Das entpuppte sich als ein Projekt, das „nur von der Selbstausbeutung vieler Beteiligter überleben hat können“, so Hundegger. „Dass es den 20er immer noch gibt, ist ein mittleres Wunder.“
Zur Person:
Barbara Hundegger, geboren 1963 in Hall, lebt als freie Schriftstellerin in Innsbruck. Studierte einige Jahre Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaft in Innsbruck und Wien, arbeitete u. a. als Lektorin am Institut für Sprachkunst/Universität für Angewandte Kunst/Wien. Mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Reinhard-Priessnitz-Preis (1999), Christine-Lavant-Lyrikpreis (2003), Outstanding Artist Award für Literatur (2011), Anton-Wildgans-Preis (2014).
Ein Posting
Sehr geschätzte Frau Hundegger, erstmal herzlichen Glückwunsch zu Ihren Darlegungen und zu Ihrer Auszeichnung ! Dieses arrogante und senile Patriarcht , das sich weltweit gegen Gleichberechtigung stellt, gilt es ehestens durch ein "50% der Macht den Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen", gesetzlich garantiert für die nächsten 20 Jahre (dann wird´s selbstverständlich sein) einzudämmen. Damit würden auch in der Politik mehr Klimaschutz, Kooperation anstelle von Konkurrenz und die Relevanz zwischenmenschlicher Beziehungen Vorrang erhalten, und es würde sich auch für uns Männer die Lebensqualität verbessern. Dringend wäre dies auch für die Religionen wie den Katholizismus, den Islam und den Hinduismus notwendig ! Karl Trojer, Terlan , Südtirol/Italien trokar.ter@gmail.com
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