Uwe Bressnik hätte man noch vor vierzig Jahren, ohne mit der Wimper zu zucken, als Technofreak apostrophiert. Er liebt Schallplatten, ihren besonderen Sound und ihre besondere Haptik – eine künstliche Form, die Hören, Sehen, Fühlen in gleichem Maß beschäftigt. „Jeder vernünftige Mensch, der sich für Musik interessiert, sollte einmal eine Schallplatte gemacht haben“, ist er überzeugt.
Mit „Soul Source Records“ hat Bressnik 1996 sein eigenes Label gegründet und seither unzählige Platten produziert. Dem bildenden Künstler erspart jedoch sein Handwerk den technischen Aufwand eines Tonstudios, denn er fertigt seine Platten aus Karton, Hartfaser oder Schichtholz und Acryllack. Der visuelle Klang der Plattenrille wird in einer durchgehenden Linie freihändig mit Blei- oder Silberstift aufgezeichnet.
„Aufzeichnung ist ein bemerkenswert vieldeutiger Begriff, der, ureigentlich wohl von einer bildnerischen Tätigkeit ausgehend, mittlerweile geradezu ausschließlich die Aufnahme unzeichnerischer Inhalte (Musik, Text, Sprache, Theater, Sport et cetera) meint.“ Und so lässt Bressnik das akustische Material der Schallplatte mit Dingen des täglichen Bedarfs, mit Töpfen, Pfannen, Teekannen verschmelzen, aber auch mit konventionellen Rahmenbildern, die sich dadurch in Klangbilder verwandeln.
Wenn eine Langspielplatte den Blick von der Alten Hofapotheke auf die Michaelerkirche verstellt, dann leuchtet jedem Freund des Wienerliedes ein, dass „Sperrstund is“. Nicht selten verbinden Bild, Klang und Titel sich zum Epigramm mit feinstem Wortwitz: „Still uman See“ heißt dann das Eintauchen der Scheibe in ein schilfbewachsenes Gewässer, für welches die Bezeichnung „Plattensee“ wohl allemal zu platt ist.
Von den Salzburger Idyllen Friedrich Gauermanns über August Jahns alpine Landschaft bis zu Maurice Legendres Straßenbildern von Paris wird die Romantik des Biedermeier weit ins 20. Jahrhundert prolongiert. Bressnik findet die Motive im „zweiten Bilderweg, d.h. im Altpapier genauso wie in kunsthistorischen Wälzern, alten Bilderrahmen, oder Tageszeitungen und Zeitschriften“ und lässt sich durch „das Spezielle einer abgebildeten Situation, deren (druck)spezifische Ästhetik, eine bestimmte Stimmung, oder schlicht eine Geste“ inspirieren.
Man könnte das Verfahren als „magischen Realismus“ titulieren, dessen Zauber sich der Zusammenstellung in der Alltagserfahrung unvereinbarer Gegenstände und Dimensionen verdankt, die allerdings, ähnlich wie im Traum, als logisch einwandfrei und durchaus selbstverständlich zu erleben sind. Nicht zuletzt auch durch die sensible Angleichung der Labels an die zeichnerische oder malerische Umgebung. Das Ausbleiben der Irritation muss aber im Betrachter grundgelegt sein, in der Bereitschaft, Klänge mit Bildern und Bilder mit Klängen zu assoziieren – in einer Einstellung, die der „Stimmung“ in ihrer musikalischen Bedeutung gleichzusetzen wäre.
„Imagination statt Strom“, fasst Uwe Bressnik eine Grundbedingung für das Zustandekommen seiner Kunst und für das Wechselspiel mit seinem Publikum zusammen. Als Musiker trat er seit 2004 in der Kunst-Sport-Gruppe Hochobir auf – u. a. mit seinem Zwillingsbruder Haiko. In den 1990ern, als Künstlergruppen ihre bislang letzte Konjunktur erlebten, ließen die Zwillinge in einer subversiven Geste die Frage nach Urheberrecht und Autorschaft des Kunstwerks implodieren.
Gilt denn noch das Postulat alleiniger Verantwortung, wenn zwei sich nicht nur ihre äußere Erscheinung, sondern auch die Lebensdaten teilen? Ein Markt, der Einzigartigkeit verlangt, wurde mit der simplen Frage konfrontiert, ob denn ein Name, eine Signatur oder die unverwechselbare Biografie genügen, um Kunst zu garantieren, oder ob nicht doch ein wesentlicher Teil des Kunstwerks auf die Mitarbeit von vielen, jenseits des rein materiell bestimmbaren Herstellungsprozesses, zurückzuführen sei.
Kein Wunder, dass angesichts solcher Erschütterung der altvertrauten Konventionen die Identität des Künstlers von Zeit zu Zeit der Selbstvergewisserung bedarf. „Man schaut in den Spiegel, und zeichnet nach, was man sieht. Ergebnis: ein verzerrtes, meist zerfahrenes, aber erstaunlich realistisches Abbild der momentanen Verfassung“, beschreibt Uwe Bressnik den „watscheneinfachen Weg zum Selbstportrait“. Der Sinn des manuellen Handelns liegt im wahrsten Sinne in und auf der Hand: Rein optisch könnte es ja sein, dass Uwes Bruder durch die Scheibe blickt.
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