Acht Mastensteiger, eine Fotografin und viel Höhenluft.
Ein Montag im Frühherbst. Es ist 3.45 Uhr morgens. Ein Kleinbus hält im Iseltal, Fotoreporterin Ramona Waldner steigt zu. Und notiert:
[RAMONA] Ich werde abgeholt von Walter aus Kals vom Habau-Cteam. In Matrei steigt noch ein Arbeitskollege von Walter zu. Es ist stockdunkel, wenige Autos überqueren den Pass, die meisten von der selben und anderen Freileitungsfirmen. Was für eine Zeit, um in die Arbeit zu fahren! Die Männer sind das gewohnt. Bei anderen Baustellen starten wir meist noch früher, erzählen sie mir. Wir plaudern bis Jochberg, dann hau‘ ich mich auf ’s Ohr und wache kurz vor Schweinfurt wieder auf.
Im Auftrag von DOLOMITENSTADT begleitet Ramona Waldner einen Trupp von „Mastensteigern“ und damit eine Spezies, bei der zum Teil die Herkunft den Beruf prägt. „Die Mölltaler sind Tunnelgräber, die Osttiroler sind Mastensteiger“, sagt der Volksmund und wir haben beschlossen, selbst auf die höchsten Masten zu steigen, um uns diese Männer und ihren ungewöhnlichen Arbeitsplatz aus der Nähe anzuschauen.
Unwillkürlich denkt man an die Hochhausbauten im New York der dreißiger Jahre, als Mohawk-Indianer aus Reservaten angeheuert wurden, weil man ihnen nachsagte, sie seien schwindelfrei. Ein Mythos. Tatsächlich mussten die jungen Ureinwohner Amerikas diese gefährlichen Arbeiten annehmen, um überhaupt einen vernünftig bezahlten Job zu bekommen. Ohne Romantik: Auch die Osttiroler Mastensteiger üben diesen Beruf nicht aus, weil sie schwindelfrei sind, sondern weil es eine vergleichsweise gut bezahlte Arbeit ist, die besondere Fähigkeiten erfordert.
„Den Job kannst du nicht lernen“, erklärt Andreas Presslaber, Geschäftsführer der Habau-Cteam GmbH. „Wer zu uns kommt, muss die Arbeit sehen und darauf zugehen. Gute Leute sind die Zimmerer, auch die Schlosser. Wir hatten aber auch schon einen Zuckerbäcker. Man braucht Hausverstand, sollte die Höhe kennen und Kraft haben.“ Kraft! Damit ist nicht die Muckibuden-Kraft gemeint, die kurz einmal den Bizeps aufbläst, sondern jene Form von Kraft und Ausdauer, die nur harte Arbeit wachsen lässt und die jeder Mastensteiger schlichtweg haben muss, sonst ist er nach kürzester Zeit weg vom Fenster – und vom Mast. Anfänger fallen in den ersten Monaten nach jedem Arbeitstag völlig fertig ins Bett, irgendwo in einem Industriequartier in Deutschland, der Schweiz oder Belgien.
Presslabers Firma, bei der 60 Leute arbeiten, zählt zu den kleineren am Markt. Es gibt noch ein halbes Dutzend heimische Mitbewerber, die alle auch in Osttirol vertreten sind. Mit gutem Grund. Von knapp 450 österreichischen Leitungsmonteuren sind rund 300 Osttiroler. „Unsere Väter waren bei der Felbertauern-Freileitung im Mastenbau, später wurde eine Trasse im Pinzgau gebaut. So ist das gewachsen“, erzählt Presslaber. Seine Männer bauen und sanieren vor allem im deutschsprachigen Raum Stromleitungen, vom zierlichen 110 KV-Masten bis zu den riesigen 380-KV-Stahltürmen. Nur Spezialisten dürfen diesen Job machen. Die Projekte werden unter einem guten Dutzend an „präqualifizierten“ und ISO-zertifizierten Unternehmen ausgeschrieben. Neubau-Projekte seien eher die Ausnahme, erzählt Presslaber, „wir machen viel Instandhaltungen, tauschen Halterungen, Gestänge, Isolatoren und Seile.“
Diesen Job kannst du nicht lernen.
Das ist nach wie vor Handarbeit. Da muss auch in Zeiten der Automatisierung einer raufkraxeln. Worauf es dabei ankommt, fragen wir den Experten. „Auf die Gruppe“, antwortet er ohne zu zögern, „auf das Vertrauen der Leute untereinander, die Bindung der Partie. Die Partie ist so stark wie der schwächste Mann. Der unten muss sich auf den oben verlassen können.“ Vier Männer bilden eine solche Partie, einer ist der Anführer. Es ist eine harte, kraftraubende und gefährliche Arbeit, zudem stehen die Männer meist unter Zeitdruck. Wenn bei einer 380-KV-Leitung Isolatoren und Seile zu tauschen sind, wird diese Leitung abgeschaltet. Es ist wie die Sperre einer Autobahnspur. Stress pur. Zwar gibt es auch für den Strom eine Umleitung, aber auf den Baustellen ist Eile geboten. Presslabers Teams sind perfekt eingespielt, das hilft im Stress. „Unter Druck siehst du, was die Leute können. Und da sind unsere Trupps gut.“ Auftraggeber sind die großen Energieversorger und die fordern neben Termintreue vor allem eines: Sicherheit. Sie ist in diesem Business auch wirtschaftlich zum Überlebensprinzip geworden.
„In den Verträgen steht, dass man am Mast mit Eigenpersonal arbeiten muss“, erklärt Presslaber, dessen Männer umfangreiche Sicherheitstrainings absolvieren müssen. Das beginnt bei einer „Steigerschulung“ und einem Höhentraining mit ausgebildeten Bergführern und endet beim Arbeitsplatz-Credo: Spannungsfreiheit prüfen. Allpolig erden. Spannungsführende Teile kennzeichnen. Der Job bleibt gefährlich, mit einem Restrisiko, das einkalkuliert wird. Die Männer sind auch für den Notfall geschult.
Wie lang kann man so einen harten Job machen und – die Gretchenfrage – was kann man dabei verdienen? Presslaber relativiert. „Die Männer sind im Schnitt zwischen Mitte Zwanzig und Mitte Vierzig. Was früher ein Vierzigjähriger war, ist heute ein Fünfzigjähriger. Die Männer sind länger fit. Nicht so zusammengeschunden wie früher. Bis zur Pension kann man oben am Mast aber eher nicht arbeiten. Und der Lohn, der schwankt je nach Zulagen und Quartierkosten.“ Unter 2.500 Euro gehe bei diesem Job aber keiner heim. Für Osttiroler Verhältnisse ist das viel. Attraktiver als die Bezahlung sei für viele Mastensteiger aber die meist nur vier Tage dauernde Arbeitswoche, die sich freilich durch die teilweise extremen Anreisezeiten relativiert. Liegt die Baustelle oberhalb der Linie Dortmund-Berlin, dann wird in „Dekaden“ gearbeitet, zehn Tage steigen, fünf Tage frei. „Wenn die Leute aufhören, dann wegen der Fahrerei. Das ist zäh.“ Dabei ist gerade Norddeutschland eine lukrative Ecke für Presslabers Team: „Die deutsche Energiewende muss gestemmt werden. Selbst wenn sie die Gleichstromleitungen in die Erde verlegen, gibt es doch viel Freileitungsbau mit 380 KV-Trassen im Norden Deutschlands. Im Süden ist der Markt abgedeckt, aber in Hamburg, da kriegen sie keine Leute.“
Und das ist die Chance für die starken Männer aus den Bergen, die in der Zwischenzeit mit Ramona Schweinfurt erreicht haben, ihr heutiges Ziel. Und damit ist unsere Fotoreporterin am Wort.
[RAMONA] Schweinfurt. Ich kann nicht sagen, dass ich da immer schon einmal hin wollte. Jetzt bin ich hier, mitten in einer Industriezone, im Lager der Habau-CteamCrew.
Wohin man schaut Masten, Baustellen und Container. Fast ansatzlos starten die Männer nach der langen Fahrt ihren Arbeitstag. Am Montag beginnt er um 9.00 Uhr. Rundherum herrscht reges Treiben und ich bin – noch – ein Fremdkörper im Reich der Riesenmasten. Für die Männer kommt mein Besuch überraschend. Eine Fotografin? Nur die Chefs wussten Bescheid und Walter, der mich vorstellt.
Ich erkläre, was ich vorhabe und werde das Gefühl nicht los, den Jungs ist das schnuppe. Es ist Montag. Die Trupps aus drei oder vier Männern sortieren ihr Arbeitsmaterial und die Werkzeuge, laden alles in weiße Einsatzfahrzeuge. Es sind großteils Iseltaler, die meisten unter Dreißig, ein paar Steiger kommen aus dem Raum Lienz, ein Oberländer ist dabei. Walter klärt mich auf: „Am besten sind junge Bergbauern. Die können richtig gut arbeiten und haben keine Angst.“ Und sie brauchen Geld, sagt er dazu, weil sie sich ein Haus bauen möchten. Natürlich daheim, in Osttirol.
Die Autos sind mittlerweile verschwunden. Im Lager fotografiere ich die Überbleibsel abgebauter Masten, daneben überdimensionale Werkzeuge, Geräte und Schrauben. Walter ist mein Guide und wohl auch mein Aufpasser und Schutzengel. Er ist 35, macht den Job seit 16 Jahren und gehört deshalb zum „alten Eisen“. Es ist wie im Spitzensport.
Wir fahren über brettlebenes Land zu einigen Baustellen im Umkreis. Ich orientiere mich an zwei stillgelegten Atommeilern. Die Männer steigen in ihre Arbeitsgurte mit großen Werkzeugtaschen rechts und links. Gewicht: 15 Kilogramm. Die ersten Meter steigen sie seilfrei, dann hängen sie sich in ein Sicherungsseil oder in ein flexibles Sicherungsband, das an mehreren Stellen am Mast befestigt ist. Man kann sich auch mit zwei riesigen Karabinern in die Verstrebungen hängen. Hauptsache sicher. Sicherheit ist ein ernstes Thema, die Vorschriften sind streng. Wer nicht gesichert ist, fliegt vielleicht nicht runter, aber sicher raus.
An „unserem“ ersten Masten werden Schrauben nachgezogen. Riesige Schrauben. „So um die 3.000“, murmelt Walter. Ich beobachte die Arbeit vom Boden aus. Die Männer bewegen sich gekonnt und geschickt. Was sie tun, sieht kräfteraubend aus.
30 Minuten dauert die Mittagspause. Es wird schnell gegessen – Leberkäsesemmeln, Cola, Red Bull. Hier wird keine Zeit verloren. Walter und ich fahren weiter, zu einem 80 Meter hohen Leitungsmast in der Nähe des Atommeilers. Walter stimmt sich mit dem zuständigen Bauleiter ab und endlich gibt es grünes Licht: Ich darf auf den Mast steigen. Obwohl ich selbst klettere und die Höhe gewohnt bin, ist es eigenartig, eine endlos wirkende Leiter nach oben zu steigen. Der schwere Arbeitsgurt und die Fotoausrüstung ziehen nach unten. Als wir den ersten Seitenarm des Mastens erreichen, beginnt mir die Kletterei Spaß zu machen.
Die Männer montieren Stromschlaufen und bewegen sich auf einem Gestell, das am Ende des weit ausladenden Seitenarms baumelt. Die Arbeit wirkt komplex und doch gibt es kein Zögern, keine noch so kleine Unsicherheit. Die Männer arbeiten flink und wirken entschlossen. Jeder Griff passt. Als gäbe es keine zweite Möglichkeit.
Ich sitze hoch oben auf einer Verstrebung, lasse die Füße baumeln, schaue auf Schweinfurt, die Atommeiler, viele Strommasten, ein Umspannwerk, ein Blaukraut- und ein Maisfeld. Die Aussicht ist spektakulär. Die Männer rauchen viel, der Schmäh rennt, man kennt und vertraut sich. Musik hallt aus einem Lautsprecher. Ich erfahre, dass es keine Wetterschicht gibt und fast den ganzen Winter durchgearbeitet wird. Dieser Arbeitsplatz muss bei Regen und Kälte extrem sein. Nur wenn es blitzt, heißt die Devise: schleunigst runter vom Mast.
Brauchen die Männer etwas von unten, kümmert sich H.P., der am Boden arbeitet, fürsorglich darum. Werkzeuge und manchmal auch kühle Getränke werden nach oben gezogen.
Montage sind lang. Bis 19.00 Uhr dauert die Schicht. Dann geht es zurück zum Lager. Für meine Performance auf dem Mast ernte ich Anerkennung und die Jungs laden mich auf ein Afterwork-Bier im Baucontainer ein. Sie reden über den Tag, über Konflikte und Ereignisse der letzten Wochen, erzählen persönliche Geschichten und lachen viel. Wir übersehen die Zeit. In dem kleinen Ort, in dem wir untergebracht sind, hat nur noch der Kebab-Laden offen. H.P. fordert mich zum Chilli-Wettessen. Es ist wohl das Aufnahmeritual ins Team, ich fühle mich geehrt – und verneine dann doch, als ich sehe, wie es ihm dabei geht.
Die Partien der Mastensteiger wohnen in einfachen Hotels und Apartments der Umgebung. Am nächsten Morgen starte ich um halb sieben zum Lager. Stefan Gratz, der Bauleiter, zeigt mir heute Arbeiten, bei denen ein Mann mit einem Fahrzeug direkt auf der Leitung unterwegs ist, was auf mich sehr spektakulär und futuristisch wirkt.
Die restliche Zeit in Schweinfurt verbringe ich auf dem obersten Seitenarm eines Masts, immer die Jungs im Blick. Ich gönne ihnen jeden Cent! Diese Männer haben spürbar Spaß an ihrer harten körperlichen Arbeit in luftiger Höhe. Sie sind ein eingespieltes, fast verschworenes Team. Auch wenn Verdienst und kurze Arbeitswochen locken – nach nur vier Tagen als „Mastensteigerin“ ahne ich, wie sehr dieser Beruf an den Kräften zehrt.
Mein Fazit: Ich bin beeindruckt und habe großen Respekt.
2 Postings
Hut ab vor den Männern und ihrer schweren Arbeit. Sehr interessanter Bericht und besonders schöne Fotos.
Toller Bericht und sehr interessant! Vielen Dank für die einmal etwas andere Berichterstattung! BRAVO den Burschen und der Autorin! Weiter so!
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