Was macht man als moderner Alpinist, um möglichst viel über einen Berg zu erfahren? Man googelt und hat schnell eine Liste von Tourenportalen und Bergsteigerblogs, die mehr oder weniger wortreich beschreiben, wo man unbedingt hinaufkraxeln sollte und wie das am besten gelingt. Osttiroler benutzen für Bergtouren eine andere „Suchmaschine“, die sich Walter Mair nennt und alle paar Jahre ein Buch schreibt, dem Google nicht das Wasser reichen kann.
Doch bei einem Gipfel lässt uns auch der allwissende Bergphilosoph im Trüben tappen. Sein Buch der Bergbücher zählt sie fast vollständig auf, die Kreuzträger der südlichen und östlichen Schobergruppe, wie Petzeck, Glödis und Keeskopf. Doch eben nur fast. Der Hohe Perschitzkopf ist nicht einmal im Stichwortverzeichnis zu finden. Und genau dorthin führt heute unser Weg, inspiriert von den Worten des amerikanischen Dichters Robert Frost: „Zwei Wege boten sich mir dar. Ich nahm den, der weniger begangen war – und das veränderte mein Leben.“ (Robert Lee Frost. The Road not taken.)
Wenig begangene Wege sind im Alpenraum nur noch schwer zu finden, dabei stillen gerade sie unsere Sehnsucht nach dem Unentdeckten, nach Orten, die man exklusiv genießt. Für Entdeckungsreisende und Ruhesuchende ist die Schobergruppe zwischen Osttirol und Kärnten ein lohnendes Ziel. Hier ist tatsächlich Ruhe, wenn man erst einmal das Auto am Parkplatz Seichenbrunn auf 1.668 Metern Seehöhe hinter sich gelassen hat.
Fotografin Ramona Waldner wundert sich jedesmal, dass der Weg Richtung Wangenitzseehütte so ruhig ist: „Obwohl auf den Hütten und am Parkplatz viel los ist, hat man im Debanttal oft das Gefühl, ganz alleine unterwegs zu sein.“ Das bestätigt auch ein anderer Bergfex, der über die Grenzen des Bezirkes hinaus bekannt ist: Tom Gaisbacher ist als Extremskifahrer eigentlich im Winter aktiv, aber Tom und Freundin Scarlett – sie betreibt die Dolomitenhütte – kommen immer wieder hierher. Warum? „Weil man selbst wieder auf das Minimum reduziert wird. Kein Lärm, fast keine Leute, viel Natur und Steine, sehr, sehr viele Steine!“
Bevor der Weg, wie so oft im Leben, steinig wird, wandert man auf einem beschilderten Pfad in Richtung Wangenitzseehütte noch ein Weilchen durch den Wald. Dann öffnet sich das Gelände und man gelangt über wunderschöne Almwiesen zur Unteren Seescharte. Von dort erblickt man zum ersten Mal den See mit der Hütte und sieht schon den anvisierten Gipfel. Das ist wichtig. Ein Grund, warum dieser Weg so wenig begangen wird, dürfte nämlich seine Steilheit und Länge sein. 1.500 Höhenmeter sind eine Ansage. Mit einem Ziel vor Augen bleibt die Motivation hoch.
Die Tour, die wir uns vorgenommen haben, ist nichts für Couch-Potatoes. Ein bisschen Kondition sollte man schon mitbringen. Ramona, Verena und Thomas nehmen eine Abkürzung durch den Wald, deren Spitzname eine Warnung für alle Bewegungsmuffel ist: „Der Brand“. Nomen est omen! Nach dieser Abkürzung brennen nämlich die Waden und die Oberschenkel. Aber wie! Hat man die Untere Seescharte erreicht, folgt man einfach dem Pfad bis zur Wangenitzseehütte. Sie ist eine eigene Geschichte wert, ein ganz wunderbarer Ort, der alleine schon die Mühen lohnt.
Wieder kommt eine Weggabelung. Unser Team hält sich links, folgt der Beschilderung und wandert durch steiles Gelände hoch zu einem Plateau, das wie ein Skulpturengarten aussieht. Wanderer haben hier über die Jahre eine Armee an Steinmännchen aufgetürmt.
Der Steig schlängelt sich jetzt durch das steinige Terrain und gabelt sich ein weiteres Mal. Wir entscheiden uns gegen die Niedere Gradenscharte und peilen weiter den Hohen Perschitzkopf an. 3.126 Meter über dem Meeresspiegel steht das Gipfelkreuz dieses selten bestiegenen Berges, den auch Amateure gut erklimmen können, obwohl der Weg ein paar Tücken hat, auf die man hinweisen muss. „Ich würde ihn als mittelschwer bezeichnen“, meint Tom Gaisbacher: „Es liegt viel loses Gestein und Geröll herum, das erschwert manchmal das Wandern etwas und erfordert auch Konzentration.“ Weil der Pfad durch die süd- und südostseitigen Flanken des Berges so angelegt wurde, dass er sich schlau um Felsen und Brüche herumschlängelt, wird es fast nie richtig steil, obwohl der Gipfel von unten betrachtet durchaus Respekt einflößt. Für trittsichere Wanderer ist er dennoch kein Problem.
Oben angekommen wird jeder Schweißtropfen mit einer grandiosen Aussicht belohnt. Von hier hat man einen perfekten Überblick über die Schobergruppe mit ihren markantesten Erhebungen: Petzeck, Hornkopf, die Klammerköpfe, der Schober, der Keeskopf – alle grüßen herüber. Hat man sich sattgesehen und ein wenig ausgeruht, bietet sich auf dem Rückweg die Hütte zur richtigen Stärkung an, vielleicht sogar mit einer Erfrischung im See!
Wer die Tour wirklich genießen will, kann sich auch zwei Tage dafür Zeit nehmen und auf der Wangenitzseehütte übernachten. Wir kehren am selben Tag zurück, um einen Gipfel, ein Erlebnis und viele unterhaltsame Begegnungen am Wegesrand reicher. So lässt es sich leben. Debanttal, wir sehen uns wieder.
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