Interviewtermin mit Claudia Bergero und Sandra Falkner. Ein Inlokal. Sie wissen, wo sie sitzen wollen: Nichtraucherbereich, am liebsten beim Fenster, in der Sonne. Ein wenig Geplauder, dann die erste Frage – und die führt unerwarteterweise gleich zu einer längeren Diskussion. Was ihnen die Nachhaltigkeit bedeute? Ein selbstverständliches Thema, wenn man die beiden Erfinderinnen des Alpengummis trifft, der ganz ohne Konservierungsstoffe und ungesunde Inhalte wie Petrochemikalien und potentiell gesundheitsschädliche Süßungsmittel auskommen soll. Soll, ja, denn noch ist er nicht auf dem Markt. Sie hoffen, dass es sich für Frühling 2019 ausgeht. Derzeit sind die Osttirolerin und die Niederösterreicherin noch mit den Behörden und mit Tests beschäftigt: Es geht um die Haltbarkeit, die Etikettenprüfung, die finale Rezeptur und die Verpackung. Soviel sei verraten, Letztere wird ebenso sympathisch einfach wie hübsch.
Gut, versuchen wir es mit einer anderen Frage: Warum Kaugummi? Andere Startups produzieren Getränke und derzeit boomt das gute alte Zuckerl. Aber Kaugummi? Wo der Markt doch seit Jahrzehnten von einer einzigen Firma beherrscht wird. Vielleicht gerade deswegen. Denn, so geben sie zu, Herausforderungen brauchen sie. „Wir hätten wahrscheinlich keine Freude daran gehabt, wenn es ganz einfach gewesen wäre. Wie bei etwas, wo es schon Rezepte gibt“, sagt Claudia. „Bei Kaugummi gab es nichts, wir haben uns lange in die Küche gestellt und herumprobieren müssen, bis etwas Kaubares daraus wurde. Es war nicht einfach, und genau das war für uns so spannend.“ Spannend fanden die Idee auch der WWF, SPAR, Impact Hub Vienna und das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus. Sie kürten „Alpengummi“ zum Gewinner des innovate4nature Ideenwettbewerbes 2018.
Die eigene kleine Firma ist kein Zufall, beide haben vorher in der Start-up-Szene gearbeitet. Sehr wohl aber ist das Produkt ein Zufall, der aus einem Seminar heraus entstand. Es ging darum, Innovationen im Wald zu finden ohne sich direkt mit Holz zu beschäftigen. „So sind wir auf Baumharz gekommen und fragten uns, was man daraus machen kann“, sagen sie. Irgendwie sei der Kaugummi dann nahe gelegen.
Sie hörten von der Pecherei, jenem fast ausgestorbenen Handwerk der Harzgewinnung. Zum Erhalt dieses Handwerks beizutragen ist ihnen inzwischen ebenso ein Anliegen, wie ein Produkt zu erzeugen, das ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltig ist, auch wenn sie dafür lieber die Begriffe „natürlich, regional und aktuell“ verwenden. Fortschritt bedeutet für sie auch, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Daraus zu lernen und anzunehmen, was nutzbar ist.
„Nicht jedes Harz ist geeignet“, stellt Sandra fest. Am besten eignet sich die Schwarzföhre. Die gibt es zuhauf in Niederösterreich. Dort arbeiten auch noch einige Pecher, die das Handwerk der Harzgewinnung beherrschen. Das Aroma ist ebenfalls ein Thema. So natürlich wie möglich soll der Alpengummi schmecken, schließlich sind es ja auch seine Zutaten. Auf die Frage nach dem Geschmack antworten sie unisono: „Es gibt den erfrischenden oder fruchtigen Anfangsgeschmack und anschließend tritt der Grundton hervor, der auch bei längerem Kauen bleibt: Wald.“ Alpenwald natürlich, ganz wie der Name es verspricht. Eine Kostprobe beweist: ein wenig fester als der gewohnte Kaugummi. Ein vertrauter Geschmack, dazu ein wenig Bienenwachs, Birkenzucker und ein Hauch von Nadelbaum.
Esst ihr noch normale Kaugummis? „Zum Testen, ja“, sagt die Eine, und die Andere fährt fort: „Um die Realität zu schmecken.“ Aber könnt ihr euch vorstellen, euch die nächsten Jahre mit Kaugummi zu beschäftigen? „Ja, voll!“ Dann lachen sie und meinen, dass es manchmal überraschte Gesichter gäbe, wenn sie auf die Frage „was machst du beruflich?“ antworten: „Kaugummi“.
Das wirft die Frage auf, wie ihre Berufsbezeichnung lautet: Kaugummiherstellerinnen? „Die Sparte ist Lebensmittelerzeugung“, wenden sie ein. Und dann: „Eigentlich sind wir Erfinderinnen. Oder Wiederfinderinnen.“
Und dann beginnen sie zu erzählen: Vom ersten Kaugummi in den USA im Jahr 1848, vom Harzkaugummi, der in Russland produziert wird und ganz anders sei als ihrer, vom Chicle in Mexiko, und von Maria Theresia, die einst dafür sorgte, dass es heute viele Schwarzföhrenwälder in Österreich gibt. Natürlich kennen sie auch die Geschichte, wie der Kaugummi im Zweiten Weltkrieg nach Österreich kam. Sie erzählen gerne und leidenschaftlich. Häufig aber ist es umgekehrt: Kaum sprechen sie von ihrem Produkt, treten Menschen mit Kindheitserinnerungen an sie heran. Diese sammeln sie jetzt. „Wer uns eine senden will, bitte gerne“, meinen sie zum Abschluss, und kommen dann selbst nochmals ins Erzählen, von Bienen und Wachs, von Birkensüße und all dem, was ihren Alpengummi ausmacht. Und wer weiß, vielleicht gibt es den bald nicht nur im Biomarkt, sondern auch im Dolomitenstadt-Shop.
Mehr Informationen:
www.alpengummi.at
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Erinnert mich an meine Kindertage im Wald. Kann mich noch an den Ausdruck "Kaupech" erinnern. Ist scheinbar sehr gut für die Zähne und gut für`s Zahnfleisch. Wurde früher mit Asche vermischt auch zum Zähneputzen verwendet.
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