Eine beherzte Truppe aus Fischern, Arbeitern und Elektrikern mit einem fangsicheren Gabelstaplerfahrer im Tor düpierte am 12. September 1990 ein Ensemble um gestandene Profis wie Andreas Herzog, Toni Polster und Co. Es war ein denkwürdiger und dunkler Tag in Österreichs Fußballgeschichte, als an jenem kühlen Septemberabend Torkil Nielsen die ÖFB-Auswahl mitten ins Fußballherz traf und die Färöer Inseln zur Sensation schoss.
„Ah Austria! 1:0, right?“
Es war der erste Auftritt der Färinger im internationalen Fußballgeschäft überhaupt, der dem Fußballzwerg auf Ewigkeiten in Erinnerung bleiben wird. Die Inselbewohner amüsieren sich noch heute über die Blamage der Österreicher und erinnern Urlauber gerne an die Schmach von Landskrona. So erging es auch dem Osttiroler Helmut Niederwieser, der 2019 mit Sack, Pack und Frau über die Inseln tourte. Unterwegs waren die beiden in einem Wohnmobil und immer dann, wenn sie Zivilisation erreichten, aus ihrem Gefährt stiegen und mit einem Nordländer ins Gespräch kamen, folgte auf das obligatorische „Where do you come from?“ ein kleiner Seitenhieb: „Ah Austria! 1:0, right?“ Zur Siegesfeier kamen damals 20.000 Menschen, was etwa der Hälfte der Einwohner des Eilands entspricht. Der spätere Premierminister Kaj Leo Holm Johannesen war an jenem Abend Ersatztorwart.
„Färöer war die wichtigste Niederlage meines Lebens. Färöer machte mich demütig.“
Das ÖFB-Team hat das Trauma nur schwer verarbeitet. Beim zweiten Gastspiel auf den Inseln setzte es im Oktober 2008 erneut eine Blamage – 1:1. Ex-Stürmer Marc Janko erinnert sich im Gespräch mit „Heute“: „Schon der Landeanflug war abenteuerlich, einige haben um ihr Leben geschrien.“ Der damalige ÖFB-Trainer Josef Hickersberger hat jedenfalls seine Lehren aus der Pleite von 1990 gezogen: „Färöer war die wichtigste Niederlage meines Lebens. Ich war 42 und der Meinung, ein sehr guter Trainer zu sein. Färöer machte mich demütig. Mehr noch: realistischer, aufmerksamer, ehrgeiziger. Auch, was die Weiterbildung anbelangt.“
Am Samstag, 9. Oktober, wagt Österreich einen neuen Anlauf und spielt in Torshavn gegen die Färinger. Eines ist sicher: Unterschätzen wird die Elf von Franco Foda die Nordländer nicht. Mit dem extravaganten Austragungsort dürften die ÖFB-Kicker auch kein Problem haben. Auf den Inseln gibt es zahlreiche spektakuläre Fußballplätze am Meer oder an mächtigen Felsrücken. Gekickt wird ausschließlich auf Kunstrasen. Doch wie sagte ÖFB-Stürmer Marko Arnautovic einst in gewohnt lakonischer Manier: „Wenn es einen Ball gibt, spiele ich damit. Im Wasser, im Sand, auf dem Feld.“
Für Helmut Niederwieser ist das bevorstehende Ballduell der beiden Länder ein guter Anlass, Fotos von seiner Reise auf die Inseln aus dem Archiv zu holen. Seine Bilder und Erzählungen beweisen: Dieses Land lebt und liebt Fußball. Daran ändern auch im Durchschnitt 300 Regentage im Jahr nichts. „Dort kommt der Regen quer her und nicht wie bei uns gerade hinunter“, witzelte etwa Ex-Teamkicker Peter Pacult. Auf den 18 windumpeitschten Inseln im Nordatlantik, die zum Königreich Dänemark gehören, übersteigt das Thermometer zwar selten die 15-Grad-Marke, mit dem Ballsport sind die Inselbewohner aber längst warm geworden.
Zehn Teams kämpfen dort in der „Betri Deildin“ – so heißt die höchste Spielklasse auf den Inseln – um den Titel. Stundenlange Reisen zu Auswärtsspielen mit der Fähre gehören zur Tagesordnung. Mediale Aufmerksamkeit erlangte die Liga nach dem Ausbruch des Coronavirus, als sie als eine der ersten Ligen Europas wieder den Spielbetrieb aufnahm und bei Fans aus aller Welt die Sehnsucht nach König Fußball stillte.
„In jedem Dorf gibt es einen Fußballplatz. Das ist verrückt.“
Die Färöer Inseln ziehen mit ihren imposanten Bergen und Steilküsten, malerischen Graslandschaften und verschlafenen Tälern aber auch Naturliebhaber, Vogelbeobachter und Fotografen an. Die Hauptstadt Tórshavn pulsiert. „Die Leidenschaft der Färinger für den Fußball ist wie ihre Heimat – unvergleichlich schön. Diese Faszination spürt man an jeder Ecke. In jedem Dorf gibt es einen Fußballplatz. Das ist verrückt“, erzählt Helmut, der selbst für den Ballsport brennt. Nur die Zahl der Schafe ist ähnlich beeindruckend. Über 80.000 Tiere sind den 50.000 Einwohnern zahlenmäßig klar überlegen.
Letztere haben es mit Fleiß und Disziplin geschafft, im Fußballkino der Großen ernst genommen zu werden. Mittlerweile ziehen auch ausländische Profikicker und Trainer in die windige Gegend. Apropos Wind: Da gibt es laut dem Weltverband FIFA auf den Färöer Inseln eine Sonderregel. Bei einem ruhenden Ball darf ein zweiter Spieler das Leder festhalten, sollte der Wind zu stark blasen. Noch ist es so, dass die Mehrheit der Spieler auf den Inseln nebenher arbeitet, weil sie nicht nur von Fußball leben können. Wer wochenends auf dem Rasen steht, arbeitet unter der Woche beispielsweise als Schafszüchter, Fischer oder Dachdecker. Mittlerweile gehen Fußballer auch den umgekehrten Weg. John Johannes Frederiksen ist seit Sommer der erste Legionär von den Färöern im österreichischen Profifußball und geht für den Zweitligisten SKU Amstetten auf Torjagd.
In den kleinen Dörfern mit ihren bunten Häuschen und begrünten Dächern, so erzählt es uns Helmut, findet man tagsüber rund um die Uhr Kinder und Jugendliche, die auf Kunstrasen oder in Bolzkäfigen kicken. Auch die Kleinsten wissen Bescheid und rufen dem Osttiroler „1:0“ zu, als sie ihn und seine Kamera entdecken. Wenn es dunkel wird, kann man auf den Färöer Inseln auf dem heiligen Grün auch schlafen. Direkt an der Küste wird das „Eidi Stadium“ nachts als Campingplatz genutzt. Auf beiden Seiten vom Atlantik flankiert, wachte Helmut in der 600-Seelen-Gemeinde mit einem beeindruckenden Blick ins Blaue auf. Klar ist aber auch: Wer hier den Ball verzieht und in den Ozean jagt, darf die Badehose auspacken, ins Boot steigen oder resignieren.
An seine Reise in den verregneten Norden wird sich Helmut am Samstagabend vor dem Fernseher erinnern. Nicht im selben Raum, aber mit der gleichen Begeisterung werden die Leute auf allen 18 Inseln ihren Kickern auf die Beine schauen und auf die nächste Sensation gegen die Alpenrepublik hoffen. Zumindest Marc Janko ist sich sicher: „Es wird keine Blamage geben.“
2 Postings
Cordoba von der anderen Seite. Schöner Bericht mit traumhaften Bildern eines Ex-Fußballers. Bravo!
Eine interessante und wunderbare Geschichte! Da muss ich unbedingt mal hin.
Sie müssen angemeldet sein, um ein Posting zu verfassen.
Anmelden oder Registrieren