Im Gymnasium Lienz und am BORG Lienz standen Maturant:innen heuer vor einer neuen Wahl: Statt der bisher verpflichtenden Vorwissenschaftlichen Arbeit (VWA) konnten sie erstmals auch ein kreatives Projekt starten oder ein zusätzliches Prüfungsfach absolvieren. Klingt nach mehr Freiheit und Flexibilität. Doch wie wurde diese Reform tatsächlich angenommen?
Zur Einordnung: Bis zum Schuljahr 2023/24 war die VWA fixer Bestandteil jeder AHS-Matura österreichweit – eine eigenständige schriftliche Arbeit zu einem selbstgewählten Thema, erstellt außerhalb des Unterrichts, präsentiert und diskutiert im Rahmen der Reifeprüfung. Seit dem Schuljahr 2024/25 wurde dieses System durch ein neues Modell ersetzt. Nun können Schüler:innen zwischen der sogenannten Abschließenden Arbeit (ABA) – wahlweise forschend, gestalterisch oder künstlerisch – und einer weiteren Klausurarbeit bzw. einer weiteren mündlichen Teilprüfung wählen. Projekte wie Podcasts, Kurzfilme oder Musikproduktionen gehören zu den neuen kreativen Möglichkeiten. Diese Regelung gilt bis einschließlich des Schuljahres 2028/29.
Ich habe mit Schüler:innen des Gymnasiums Lienz gesprochen und auch am BORG Lienz nachgeforscht, um herauszufinden, wer sich woran getraut hat – und warum sich am Ende die große Mehrheit für den scheinbar planbareren Weg entschieden hat.
Zeitliche Entlastung steht über akademischer Vorbereitung
Zusatzfach oder ABA? Diese Frage stellte sich als erstes – und es wurde deutlich, welche Option bei den heurigen Maturant:innen am beliebtesten war: Von insgesamt 70 Schüler:innen des Gymnasiums und 72 Schüler:innen des BORG entschieden sich 109 – also fast 80 Prozent – für ein zusätzliches Maturafach statt einer Abschließenden Arbeit. Auffällig: In beiden Lienzer AHS-Schulen wählte tatsächlich niemand eine kreative oder gestalterische Arbeit.

Ein wichtiger Faktor für die Entscheidung war laut Schüler:innen des Gymnasiums die zeitliche Entlastung: Das Zusatzfach lässt sich – im Gegensatz zur Abschließenden Arbeit – in den regulären Schulbetrieb integrieren. Mündlich kann man jedes Fach wählen, solange man genügend Unterrichtsstunden in jenem Fach gesammelt hat – schriftlich stehen die Schularbeiten-Fächer zur Auswahl. Ein Schüler des Gymnasiums brachte es auf den Punkt: „Ich habe mich für ein weiteres Maturafach entschieden, da ich somit in den Winter- und Sommerferien arbeiten und mich während der Schulzeit auf Schularbeiten und Tests konzentrieren konnte.“ Diese pragmatische Herangehensweise war vielen wichtig. Wer das Zusatzfach wählt, weiß auch genau, was auf ihn oder sie zukommt – Unterricht, Stoff, Prüfungsformat.
„Der Aufwand des zusätzlichen Fachs ist sicher ein Zehntel der schriftlichen Arbeit.“
Es entschieden sich aber einige wenige bewusst für die altbekannte forschende Arbeit. Genannt wurden als Gründe: der persönliche Bezug und das Interesse zum Thema, bereits vorhandene Interviewpartner:innen, der Wunsch nach einer akademischen Vorbereitung, sowie die Möglichkeit im engen Austausch mit betreuenden Lehrpersonen zu arbeiten.
Wurde die neue Variante vorschnell eingeführt?
Anders bei der ABA in ihrer kreativen Ausprägung: Die Anforderungen wirkten oft vage, der Aufwand schwer einschätzbar. Die Schüler:innen gaben an, sich unsicher gefühlt zu haben – auch weil viele Lehrpersonen selbst noch wenig über die neuen Möglichkeiten wussten. Verschärft wurde diese Unsicherheit durch die späte Veröffentlichung der finalen offiziellen Richtlinien. Sie wurden erst im Juli 2024 publiziert – mitten in den Sommerferien.
Erste Entscheidungen über die Maturavariante mussten jedoch schon im zweiten Semester der 7. Klasse erfolgen. Der damalige Bildungsminister Martin Polaschek begründete die Änderung mit den Entwicklungen der künstlichen Intelligenz. Reine Textarbeit seien deshalb nicht mehr zeitgemäß.
„Aus meiner Sicht ist das neue System noch sehr schlecht organisiert, da keine genauen Vorgaben da sind. Es ist zwar sehr offen und vieles möglich, aber zu vage, um Formate wie zum Beispiel einen Podcast sicher umzusetzen. An sich wirken die neuen Optionen sehr attraktiv und ich würde es sehr spannend finden, damit zu arbeiten,“ merkt Professorin Silvia Ebner am Gymnasium Lienz an. Das Interesse der Schüler:innen sei grundsätzlich schon vorhanden, spürbar durch erste kreative Anfragen aus den unteren Schulstufen, erwähnt die Lehrerin.
Die breite Tendenz zeigt: Das Zusatzfach wird nicht aus Bequemlichkeit oder mangelndem Interesse an neuen Prüfungsvarianten gewählt – sondern aus Vernunft, weil es klarer strukturiert, planbarer und mit weniger Unsicherheiten verbunden ist.
Bei der Einführung der „Abschließenden Arbeit“ mangelte es an rechtzeitiger Information, klaren Vorgaben und Erfahrungswerten. Wenn diese Faktoren in Zukunft gestärkt werden, könnte sich die neue Form durchaus zu einem Gewinn für das Schulwesen entwickeln.
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