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Er wird auch „Star of Bethlehem“ genannt – der doldige Milchstern. Foto: Annelies Senfter

Er wird auch „Star of Bethlehem“ genannt – der doldige Milchstern. Foto: Annelies Senfter

Ein Erinnerungsprojekt trägt nach Jahren Blüten

Die Künstlerin Annelies Senfter thematisiert Flucht und Vertreibung mit einem „Garten im Wald“.

Nun sind sie aufgeblüht, die kleinen weißen Milchsterne, deren Knollen Annelies Senfter im November 2022 in Arnbach vergrub, in der Hoffnung auf Blüten schon im folgenden Frühling. Die Osttiroler Künstlerin, die in Salzburg lebt und arbeitet, wählte die Blume und den Ort ganz bewusst. Hier an der „Grünen Grenze“ sollte der symbolträchtige doldige Milchstern – der auch „Star of Bethlehem“ genannt wird – leise und doch eindringlich an die gefährliche Flucht verfolgter Jüdinnen und Juden erinnern, und an die Menschen, die ihnen dabei halfen.

Am Grenzübergang Sillian–Arnbach versuchten politisch wie rassisch Verfolgte nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland die Flucht nach Italien. Der Weg über die Grenze war für manche der letzte Ausweg aus einem mörderischen System. Darüber wird bis heute nicht viel gesprochen, ein Umstand, den die Künstlerin bereits 2022 thematisierte.

November 2022: Annelies Senfter pflanzt Milchsterne in Arnbach. Fotos: Senfter
Wird ein Milchstern gepflanzt, bildet er unterirdisch Brutzwiebeln, die wieder eigene Pflanzen bilden.

Mit der Pflanzung der Milchsterne als „Garten im Wald“ und der parallel dazu gezeigten Ausstellung „Protokolle des Schweigens“ vor Weihnachten 2022 in der Heinfelser Kirche sollte im eigentlichen und übertragenen Sinn mit der Erinnerung auch das Bewusstsein für den Wert des Lebens und seine Bedrohung keimen und wachsen.

Und wie so oft wurde die Hoffnung zunächst enttäuscht. Im Frühling 2023 war kein einziger Milchstern erblüht. Wurden die Wurzelknollen von Mäusen gefressen? Hatten sie zu kalt oder waren sie verfault? Annelies Senfter gab die Hoffnung nicht auf und kehrte immer wieder zu ihrem „Garten im Wald“ zurück.

Und siehe da: Vor wenigen Tagen, im Frühling 2025, zeigten sich die ersten kleinen Milchsterne in der Nähe des ehemaligen Grenzübergangs. Passend zur Osterzeit erblüht hier leise die Erinnerung an die verfolgten Menschen, die diese gefährliche Flucht wagten, und an all jene, die ihr Leben riskierten, um ihnen dabei zu helfen.

Schon bald werden mehr dieser kleinen weißen Sterne in der Bergwiese erstrahlen. Wird ein Milchstern gepflanzt, bildet er unterirdisch Brutzwiebeln, die wieder eigene Pflanzen bilden. Wenn etwas tief Vergrabenes keimen soll, braucht es wohl Geduld. Auch Mut, die verhärtete Erde behutsam zu lockern und zu lüften.

Aber wenn es gelingt und das Pflänzchen die harte Kruste des Schweigens durchbricht, dann kann die einst unansehnliche Knolle in transformierter Form erblühen und sich fortpflanzen, um neue Pflanzen mit Blüten zu erschaffen. Blumen fordern uns auf, stehenzubleiben, hinzusehen und mit wachsamem Auge weiterzugehen. Das Grauen von Flucht und Vertreibung ist heute wieder mitten in Europa angekommen.

Die Erinnerung an das Geschehene an der „Grünen Grenze“ bei Sillian pflanzt sich im kommenden Herbst in Innsbruck fort. Am 11. November eröffnet die Neue Galerie eine Ausstellung mit Annelies Senfters Projekt „Protokolle des Schweigens“. Nur wenige Gehminuten vom Eduard-Wallnöfer-Platz entfernt. Dort ist – neben anderen 123 widerständigen Menschen – auch der Name der Sillianerin Rosa Stallbaumer in das Befreiungsdenkmal eingeschrieben. Sie wurde 1942 im KZ-Auschwitz ermordet.

Evelin Gander ist nicht nur Stadtführerin und Biobäuerin, sondern auch Ideenlieferantin und Geschichtenerzählerin mit viel Einfühlungsvermögen. Thema ihrer Reportagen und Podcasts ist das Leben in all seinen Facetten.

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