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In der Kartitscher Filialkirche St. Oswald ist Oswald Kollreiders Fastentuch bis 11. April aufgespannt. Alle Fotos: Rudolf Ingruber

In der Kartitscher Filialkirche St. Oswald ist Oswald Kollreiders Fastentuch bis 11. April aufgespannt. Alle Fotos: Rudolf Ingruber

Oswald Kollreiders späte Passion: „Es ist vollbracht.“

40 Zeichnungen des Künstlers sind als „Fastentuch“ in der Innsbrucker Georgs­kapelle und in St. Oswald zu sehen. 

Eine Bleistiftlinie, vom unteren Rand des Blattes schräg ansteigend, ändert mit einem minimalen Schlenker die Richtung, steigt weiter und kommt abrupt zum Stillstand. Eine weitere Linie, ihr fallendes Spiegelbild variiert und schließt eine Form, die v-förmig nach oben schießende Striche wie zwei ausgespannte Arme als hängenden Körper markieren: eine flüchtige, souverän hingeworfene Skizze des gekreuzigten Christus?  Natürlich, denn was hätte sonst der krönende Bogen, der die verstreuten Linien zusammenhält, für eine Bedeutung?

Eine Bleistiftlinie, vom unteren Rand des Bilder schräg ansteigend ...
... eine flüchtige, souverän hingeworfene Skizze des gekreuzigten Christus.

„Fa presto!“ soll der Kunsthändler Antonio Giordano seinen achtjährigen Sohn Luca zur Eile ermahnt haben: „Beeil dich!“ Der Neapolitaner Barockmaler behielt die Anrede als Beinamen, der ihn als außergewöhnlich produktiven Schnellmaler ausweist, bis zum heutigen Tag. Geschwindigkeit als Kriterium für Kunst? Gewiss, wenn es gilt, dem Leben in seiner rasanten Veränderlichkeit beizukommen, und um einen mit dieser Methode befeuerten Markt zu bedienen. Auch Oswald Kollreider hat man gelegentlich einen „Fa presto“ genannt.

„Wenn ich mit einem Bild beginne, ist es auch schon fertig“, soll er sich dem Kunsthistoriker Leo Andergassen gegenüber geäußert haben, der ihn als „Vielmaler, Vielseher und Wahrnehmer aller Wirklichkeit um ihn herum“ charakterisierte. „Dazwischen kann er die Farben mit dem Föhn trocknen und gleich weitermalen“, gab Kollreiders Schwester und Mitbewohnerin im Gemeindehaus von Strassen zu Protokoll, als der bereits über Achtzigjährige neue Strategien entwarf, um das Nachlassen seiner Arbeitshand zu kompensieren. 

Ob sein Vater den jungen Oswald zur Eile erzogen hat, wissen wir nicht. „War es seine tief empfundene Liebe zur Mutter, die den Vater eher als streng erscheinen ließ?“, fragt sich jedoch Andergassen angesichts Kollreiders Interpretationen des Weihnachtsthemas, in denen der heilige Josef eher als Störfaktor auftritt. 

Wie auch immer – in den 40 auf ein zwölf Meter langes Tuch gedruckten Bleistiftzeichnungen, die bis 11. April in der Georgskapelle des Alten Innsbrucker Landhauses und in der Kartitscher Filialkirche St. Oswald aufgespannt sind, ist der irdische Vater nicht von Belang. Entstanden als tägliche Übung zwischen August 2013 und Mai 2014 sind sie Erinnerung wie Vorausschau eines Motivs, dem der über Neunzigjährige in seinem langen Künstlerleben unzählige Male Gestalt gab: Der Gekreuzigte Christus, Gott am Zenit seines Menschseins. 

Kollreider war zu dieser Zeit längst nicht mehr in der Lage einen Pinsel zu halten, und auch die Führung des Bleistiftes kostete ihm alle noch verbliebene Kraft. Die Worte „Es ist vollbracht“, mit denen er die meisten der Blätter überschrieb, entfalten so einen doppelten Sinn. Die Passion Jesu und jene des Künstlers bilden in diesen Zeichnungen ein ergreifendes Amalgam und trotzdem hinterlässt ihre Deutung als Kreuzweg oder als Fastentuch einen üblen Geschmack: Das Leiden Jesu hätte ohne Öffentlichkeit seinen Sinn verfehlt. Kollreiders Leiden bestimmt nicht.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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