„Alle meine Kinder bekommen zum Geburtstag eine Torte, auch Nico“, erzählt Monika Pucher-Schweiger im Podcast-Gespräch. Sie ist Mutter von vier Kindern, eines davon heißt Nico und ist ein Sternenkind. Sternenkinder sind Kinder, die während der Schwangerschaft, bei oder nach der Geburt verstorben sind. Die medizinischen Begriffe Fehlgeburt oder Totgeburt entpersönlichen das verstorbene Kind und können betroffene Eltern sehr verletzen.
Wenn ein Kind stirbt, zerbrechen alle Träume und Hoffnungen. Unsere Gesellschaft ist nicht ausreichend sensibilisiert für die Trauer um so früh verstorbene Kinder, daher fühlen sich die Eltern in ihrem Schmerz oft allein gelassen. Monika Pucher-Schweiger leitet gemeinsam mit Maria Radziwon die Selbsthilfegruppe „Sternenkinder“ in Lienz. Dort finden alle Menschen einen sicheren Raum für ihre Trauer um ein Kind, unabhängig davon, wie alt das Kind bei seinem Tod war und wie lange dies zurückliegt.
„Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust, wird es dir sein, als lachten alle Sterne, weil ich auf einem von ihnen wohne, weil ich auf einem von ihnen lache. Du allein wirst Sterne haben, die lachen können.“
Aus „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry
„Manche Mütter kommen schon seit Jahren“, erzählt Monika. Sie kommen, um einmal im Monat ihrem Kind, das nur wenige sichtbare Spuren in der Welt hinterlassen hat, Platz zu schenken und seiner bewusst zu gedenken. Andere finden die Teilnahme an einigen wenigen Treffen ausreichend oder kommen nur ab und zu. Gemeinsam wird an die Kinder gedacht, es werden zu bestimmten Anlässen Kerzen gestaltet, ein gemeinsames Frühstück geplant, gemeinsam geschwiegen und auch immer wieder gelacht. Es gibt Betroffene, die nicht in die Gruppe möchten und Einzelgespräche bevorzugen, auch das ist selbstverständlich möglich.

Monika und Maria möchten den Eltern Mut machen, sich auf die Trauer einzulassen und sich selbst die Zeit zu geben, die man für die Verarbeitung dieses Erlebnisses braucht. „Jeder trauert anders, bei uns darf jeder so sein, wie er ist.“ Es tut gut, sich mit Menschen zu treffen, die Ähnliches erfahren mussten.
Maria Radziwon begleitet als Krankenhausseelsorgerin oft Menschen hohen Alters. Sie erzählt, dass sich in vielen Lebensgeschichten Sternenkinder finden. Erschreckend häufig erlebt Maria, wie bei Menschen, die am Ende ihres Lebens ankommen, die Trauer über diese Kinder aufbricht. Erst dann stellen sie die Fragen, die sie ein Leben lang quälten: „Was ist eigentlich mit meinem Kind passiert? Wo ist es hingekommen?“
Es liegt nicht lange zurück, da verließen die Eltern das Krankenhaus nach der Geburt, ohne ihr verstorbenes Kind gesehen oder gar berührt zu haben. Es wurde einfach nicht mehr darüber gesprochen. Diese Tabuisierung nahm den Eltern die Möglichkeit zu trauern. Aber für den Heilungsprozess ist die Trauer notwendig, auch wenn sie sehr schmerzhaft sein kann.
„Jeder trauert anders, bei uns darf jeder so sein, wie er ist.“
Dank der Geburtenbücher im Krankenhaus und mit Hilfe der Stadtgemeinde Lienz ist es Maria Radziwon schon mehrmals gelungen, herauszufinden, wo genau die Sternenkinder begraben liegen, auch wenn das schon Jahrzehnte zurückliegt. Das Wissen darüber kann für die Betroffenen eine große Entlastung und Befriedung bedeuten.
Heute dürfen die Eltern selbstverständlich ihr Kind nach der Geburt anschauen, halten und streicheln. Das gilt auch für stillgeborene Kinder wie Nico, den Sohn von Monika. Nico starb völlig überraschend in der 36. Schwangerschaftswoche, also vier Wochen vor dem Geburtstermin. Die Geburt wurde eingeleitet und Monika brachte Nico zur Welt. In den meisten Fällen wird eine natürliche Geburt angestrebt und von einem Kaiserschnitt abgeraten, auch wenn das Kind bereits im Mutterleib verstorben ist. Die Geburt bewusst zu erleben und zu gestalten, kann Eltern helfen, den Verlust ihres Kindes besser zu verarbeiten. „Es ist ganz wichtig, dass es zuerst ein Begrüßen und dann erst eine Verabschiedung gibt“, weiß Maria Radziwon.
Dazu gehört, dem Kind einen Namen zu geben, um ihm so einen Platz in der eigenen Familien- und Lebensgeschichte zuzusprechen. Zur Namensgebungsfeier, die Maria im Krankenhaus gestaltet, können auch nächste Verwandte eingeladen werden. Vor allem das Miteinbeziehen der Geschwisterkinder ist von großer Bedeutung, sagt Maria: „Je klarer auch über die Trauer gesprochen wird und je mehr Platz die Gefühle haben von den Eltern, umso eher öffnen sich auch die Kinder.“
Die Organisation „Dein Sternenkind“ ermöglicht zusammen mit regionalen Fotografinnen auch im Krankenhaus Lienz die kostenlose Anfertigung von Erinnerungsfotos. Es erscheint vielleicht seltsam, in einer derart schmerzvollen Situation Fotos von seinem toten Kind machen zu lassen, aber diese Bilder können in der Trauer eine große Stütze sein. Von den ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen des Seelsorgeteams werden liebevoll kleine, kuschelige Einschlagdecken genäht, und die Kinder in dieser „Sternenkinder-Bekleidung“ beigesetzt.
Für tot geborene und direkt nach der Geburt verstorbene Kinder besteht in Österreich eine Bestattungspflicht. Für fehlgeborene Kinder besteht in Tirol keine Bestattungspflicht, aber ein Bestattungsrecht. In Lienz können alle Kinder, unabhängig von der Schwangerschaftswoche und dem Geburtsgewicht, kostenlos im Kindergrab bestattet werden. „Ohne Heide Bernard gäbe es das nicht“, erzählt Maria im Podcastgespräch. Heide Bernard initiierte im Jahr 2003 die Errichtung des Kindergrabes am Lienzer Friedhof.
Regelmäßig finden dort würdevoll gestaltete Verabschiedungsfeiern und Beerdigungen statt. Der Termin wird den betroffenen Eltern, aber nicht der Öffentlichkeit, weitergegeben. Am 15. Oktober, dem weltweiten Gedenktag für Sternenkinder, finden jährlich öffentliche Gedenkfeiern am Lienzer Kindergrab statt, seit Jahren musikalisch umrahmt von Per Sonare.
Trotz aller Trauer über die verwehrte Chance auf ein Leben ist für Monika ihr Sohn Nico ein Geschenk, das sie in ihrem Leben nicht missen möchte. Und so wie die Sterne immer da sind, bleibt auch Nico für immer Teil der Familie.
Selbsthilfe Osttirol
Sternenkinder und ihre Eltern: Monika Pucher-Schweiger 0676/3254540
Krankenhaus Seelsorge: Maria Radziwon 04852 606 - 85201
In der Serie „Reden hilft“ stellen Evelin Gander und Sabine Buchberger die unterschiedlichen Angebote und Gruppierungen der Selbsthilfe Osttirol vor, die mit mehr als 40 aktiven Gruppen ein breites Auffangnetz für all jene anbietet, die sich mit einem Problem, einer Krankheit oder einem sozialen Anliegen alleine oder auch allein gelassen fühlen.
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