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Unverschleiert: Ein Abwehr­kampf in Rot-Weiß-Rot

„Wehret den Anfängen“ ruft Johanna Mikl-Leitner. Dabei begründete ein Schleier das Stift Klosterneuburg!

1.723.723 Einwohner hat Niederösterreich, fast eine Million mehr als Tirol. Nicht einmal 5 Prozent davon sind Muslime, und wenn die Annahme nicht zutreffen sollte, dass diese zur Hauptsache aus der Schweiz, aus Italien und Liechtenstein kommen und der Anteil an Zuwanderern muslimischen Glaubens in Tirol und Vorarlberg deshalb mehr als doppelt so hoch ist, dann ist es schwer zu erklären, warum es nur noch im Burgenland weniger Muslime als in Niederösterreich gibt.

Nichtsdestotrotz hat Niederösterreichs schwarzblaue Landesregierung soeben einen Aktionsplan beschlossen, den Udo Landbauer seiner Bevölkerung als eine Gleichung ohne Variablen verkauft: Zuwanderung = Gefährdung der inneren Sicherheit = radikaler Islam.

Ab sofort sind junge Niederösterreicher und -innen nicht mehr im Internet, in den Koranschulen und den Moscheen, sondern in katholischen Kindergärten zu sozialisieren. „Wehret den Anfängen“, lautet der Auftrag, den Johanna Mikl-Leitner aus der simplen Formel ihres Stellvertreters ableitet und mit dem Verschleierungsverbot für niederösterreichische Beamtinnen und Beamten begründet. Zwar kenne sie keine verschleierten Frauen im Landesdienst, doch hat das weniger mit restriktiven Gesetzen als mit einer peinlichen Wissenslücke zu tun. Das kommt davon, wenn man mit identitätspolitischer Bildung nicht schon im Kindergarten beginnt.

Im Jahre 1106, gleich nach ihrer Hochzeit, wehte Agnes, der Tochter Kaiser Heinrich IV., ein Windstoß den Schleier vom Kopf. An der Stelle, wo man ihn neun Jahre später wiederentdeckte, ließ ihr Gemahl, Markgraf Leopold III., das Stift Klosterneuburg errichten, wo man dieses Symbol der weiblichen Unterdrückung bis heute verehrt. Obwohl, oder vielleicht sogar weil sie sich im Dienste des Landes achtzehnfach reproduzierten, sind weder Agnes noch Leopold, der nach seiner Heiligsprechung sogar zum niederösterreichischen Landespatron avancierte, als Testimonials für ein Verschleierungsverbot zu gebrauchen.


Die Eroberung von Akko 1191 durch Herzog Leopold V. von Österreich. Museum: Private Sammlung. Alamy/Friedrich L'Allemand

Ihr Enkel Leopold V., der Ende des 12. Jahrhunderts in den Nahen Osten aufbrach, um muslimische Fluchtursachen bereits vor Ort zu bekämpfen, war da aus ganz anderem Holz. 2.500 getötete Araber hatte er während der Belagerung der levantinischen Hafenstadt Akkon auf sein Konto gebucht, und als er nach geschlagener Schlacht den blutdurchtränkten Waffenrock von seinem breiten Gürtel erlöste, sah man dort einen weißen Streifen und den siegreichen Markgrafen mit der österreichischen Fahne bekleidet. Heiliggesprochen wurde er nicht.

Von der katholischen Litanei werden zur Bekämpfung des radikalen Islams geeignetere Namen angerufen. Der Heilige Nikolaus beispielsweise war schon dreihundert Jahre vor Mohammed auf der Welt und in Sachen Elementarpädagogik hat er hundertmal mehr Expertise als Carla Amina Baghajati, Mouhanad Khorchide und Pierre Vogel zusammen. Statt Mandarinen, Datteln und türkischen Honig bringt er niederösterreichischen Kindern Leckereien aus der heimischen Küche und wird dafür mit der Wirtshausprämie belohnt. Und um die kleinen Salafisten nicht zu erschrecken, muss er sich nur noch die Oberlippe rasieren.

Glaubt man der niederösterreichischen Landesregierung, dann liegt die Überlegenheit des Christentums gegenüber dem Islam im wörtlichen Sinn auf der Hand: Sind Katholiken stets in der Lage, die Bibel für sämtliche Eventualitäten der Gegenwart zu missbrauchen, plädieren zumindest progressive Muslime dafür, den Wortlaut des Korans aus seinem historischen Kontext zu deuten und unliebsame Passagen in ihrer Vergangenheit zu belassen. So werden widerspenstige Frauen heute nicht mehr, wie in Sure 4,34 von Männern eigenhändig geschlagen. Es wird ihnen, ganz im Gegenteil, der Handschlag sogar strikt verweigert!

„Lasset die Kinder zu mir kommen!“ Dass man die Worte aus dem Evangelium nach Markus in Niederösterreich nicht unbedingt als Einladung zum Familiennachzug versteht, ist ein Gemeinplatz, doch es macht einen Unterschied, ob sie aus dem Munde Jesu erklingen oder aus jenem von Hans-Hermann Groer. Noch niemals hat man sie von der niederösterreichischen Landeshauptfrau gehört, die ihre Tage spätestens seit der Moria-Krise 2020 mit einem anderen Glaubensbekenntnis beschließt: „Mein Herz ist klein, kann niemand hinein als du…“ Aber der Rest wäre auch schon wieder gelogen.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

Ein Posting

tantmarie
vor 14 Stunden

Nachdem vor sieben Jahren einige unangebrachten Strophen aus dem „Komm sing mit!“ der Zensur zum Opfer gefallen waren, mussten von oberster Stelle dem neuen Zeitgeist entsprechende nachgedichtet werden. Weltoffenheit bewies indes die Landeshauptfrau, indem sie sogar dem IGGÖ zuerkannte, das Wort „politisch“ in den neuen Text hineinzureklamieren.

 
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