Beim Blick auf die Covid-19-Pandemie dominieren für die Epidemiologin Eva Schernhammer und den Virologen Andreas Bergthaler nun Fragen nach langfristigen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Neben Long Covid diskutiere man auch einen „möglichen Anstieg neuer kardiovaskulärer Erkrankungen“ lange nach Covid-Infektionen, so Schernhammer. Für Bergthaler wurde die „ungeheure gesellschaftliche Dynamik und Wucht“ der Ereignisse „wohl vielfach unterschätzt“.
Beide Wissenschafter waren im Verlauf der Pandemie, die in Österreich ab Ende Februar 2020 richtig Fahrt aufgenommen hat, in der Erklärung und Einordnung der Abläufe in den Medien oder später auch als Mitglieder der gesamtstaatlichen Covid-Krisenkoordination – vulgo „GECKO-Kommission“ - höchst aktiv und das eine oder andere Mal auch nicht um kritische Stellungnahmen zu politischen Abläufen und Entscheidungen verlegen.
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Gegenüber der APA machen sich nun beide Experten vor allem Gedanken darüber, wie es um die Vorbereitung auf eine etwaige nächste Pandemie bestellt ist, und wie sich die gesellschaftlichen Spannungs- und Bruchstellen glätten lassen. Für Schernhammer hat das Land „politisch-juristisch und gesellschaftlich noch einige Hausaufgaben zu machen“.
Viele Fragen tun sich für sie im Zusammenhang mit Wissenschaftsskepsis, Des- und Fehlinformationen und rund um den Gemeinschaftssinn und Zusammenhalt in der Bevölkerung auf: „Für eine effektivere Aufarbeitung fehlt meines Erachtens aber auch noch der Konsens in der Gesellschaft, dass es keine kontrafaktische Welt gibt und dass wir deshalb im Nachhinein manches anders machen würden als in Echtzeit, ohne daraus Schuldzuweisungen abzulesen“, so die Leiterin der Abteilung für Epidemiologie der Medizinischen Universität (MedUni) Wien.
„Für eine effektivere Aufarbeitung fehlt meines Erachtens aber auch noch der Konsens in der Gesellschaft, dass es keine kontrafaktische Welt gibt und dass wir deshalb im Nachhinein manches anders machen würden als in Echtzeit, ohne daraus Schuldzuweisungen abzulesen“
Eva Schernhammer, Epidemiologin
Erste „gute Ansätze“ für eine möglichst nüchterne Aufarbeitung habe es seitens der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und anderer wissenschaftlicher Akteure gegeben, erklärten beide Experten. „Darin wurden einige wichtige Punkte hervorgehoben, wie zum Beispiel die Impfpflicht als Scheideweg“, erklärte Schernhammer, die die Ansicht teilt, dass hier „eine politische Entscheidung getroffen wurde, für die es keine gute wissenschaftliche Grundlage gab“.
Für Bergthaler ist insgesamt „augenscheinlich, dass die Parteipolitik unterschiedlicher Couleur das Thema instrumentalisiert und eine unvoreingenommene sachliche Aufarbeitung inklusive der zeitnahen Umsetzung der daraus resultierenden Lehren - Beispiel neues Epidemiegesetz (das noch immer ausständig ist, Anm.) - nicht gerade erleichtert hat“.
Fokus darauf, was Wissenschaft leisten kann
Klar sei, dass sich Wissenschafterinnen und Wissenschafter auf die Bekämpfung zukünftiger Pandemien gut vorbereiten müssten - auch dahingehend, wie man in dem Zusammenhang „niederschwellig und zielgruppengerecht“ kommunizieren kann. Denn: Dem „Zwischenspiel von Wissen und Macht“ könne man sich „auch mit noch so großer Sorgfalt und nüchterner faktenbasierten Vorgehensweise nur schwer entziehen“, betonte der an der MedUni Wien und am Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der ÖAW tätige Bergthaler.
Die Pandemie habe aber auch deutlich ersichtlich gemacht, was Wissenschaft in sehr kurzer Zeit zu leisten vermag - Stichwort: Impfstoffentwicklung, verschiedenste neue Testverfahren, systematische breite Genomsequenzierungen oder zahlreiche Fortschritte bei epidemiologischen Modellrechnungen. Was aber auch bleibe, ist die oftmals von Experten zahlreicher Fachrichtungen bemängelte österreichische Problematik bei der Erhebung und Verfügbarkeit von medizinischen Daten.
Das bescherte dem Land u.a. ein langes Rätselraten, wie viele Intensivbetten es überhaupt gibt, und wo die Belastungsgrenzen des Gesundheitssystems liegen. Nicht umsonst bemängelten viele Experten einen unnötigen „Blindflug“. Vielfach war man letztlich stark von Informationen aus Großbritannien, den USA oder Israel abhängig.
Alles in allem gehe es auch zukünftig um den Umgang mit und den Schutz von angesichts eines Krankheitserregers besonders gefährdeten Gruppen. Gleichzeitig müssen die Kollateralschäden für die restliche Gesellschaft niedrig gehalten werden. Hier brauche es gesellschaftlichen Konsens darüber, welche Maßnahmen man je nach Situation und Bedrohungslage trifft.
Dazu brauche es auch mehr Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung, fächerübergreifendes Denken und „strukturell verbesserte wissenschaftliche Beratung für Entscheidungsträger“, so Bergthaler. „Wünschenswert wäre insgesamt auch eine klarere Trennung von Politik und Wissenschaft im gesellschaftlichen Diskurs“, betonte Schernhammer.
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