„Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein!“ 

In Österreich ist die Rechtsprechung die Dritte Gewalt und der Journalismus die Vierte. Beides gehört streng auseinandergehalten. In Zukunft noch mehr als bis jetzt. Doch wie soll das gehen, wenn eine Gewalt die andere garantieren und zugleich die Kontrolle über sie ausüben soll? Und wenn die Verfassung zwei weitere Gewalten vorsieht?

Die Suppen, die der Boulevard uns serviert, waren immer schon dünn. Auslöffeln mussten sie seine Leserinnen und Leser. Dass sich auch Qualitätsmedien unter die Mitesser mischen, ist relativ neu. Werden aber durch staatliche Förderrichtlinien die Grenzen eher verunklärt, existiert ein untrüglicher Maßstab, der es erlaubt, Qualität und Boulevard auseinanderzuhalten: „90 Prozent der Rügen an ‚Krone‘, ‚Österreich‘ und ‚Heute‘“, konnte der Standard noch vor zehn Jahren voller Genugtuung titeln. Im Juni 2024 wurde er selbst wegen Verstößen gegen den Ehrenkodex der Presse gerügt.

Es war einer der großen Skandale des Jahres, und die Berichterstattung dazu geeignet, das berufliche Fortkommen der grünen EU-Parlamentskandidatin „nachhaltig zu schädigen bzw. erheblich zu erschweren“. „Klima! Klima, Klima, Klima!“, hatte sie zuversichtlich im Wahlkampf skandiert. Damit ist es jetzt wohl vorbei, und das Herz, das Lena Schilling mit allen zehn Fingern in die Kameras hielt, schaffen rechte Politiker spielend mit einer Hand! Jetzt diskutiert Schilling mit dem ebenfalls an seinem beruflichen Weiterkommen verhinderten Heinz-Christian Strache auf Krone TV.

Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich mir beim Klimakleben den Hintern verkühlt. Das wird mir heuer nicht mehr passieren, entweder weil, wie die einen behaupten, bei mindestens 1,6 Grad Erwärmung sich keine Verkühlung mehr ausgeht, oder weil es, wie die anderen sagen, das Klima nicht gibt. Mein Hintern wird für ganz andere Dinge herhalten müssen. Oder ich werde ihn zumindest hinhalten müssen. Ganz bestimmt aber nicht, um von der Politik und den Medien einen Tritt einzufangen.

Der Standard hat also im Vorjahr neue Maßstäbe gesetzt. Vor zehn Tagen wurde er zu 20.250 Euro Entschädigungszahlung verdonnert. Er hatte den freiheitlichen Abgeordneten Martin Graf, Harald Stefan und Norbert Nemeth zwar nicht, wie Lena Schilling, Lügen und psychische Defizite, dafür aber die Nähe zur SS und zum Deutschen Reich unterstellt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig und es gilt daher die Unschuldsvermutung. Für den Standard, nicht für Stefan, Nemeth und Graf!

„In einem Rechtsstaat hat man, Gott sei Dank, Möglichkeiten, auch dagegen vorzugehen, das tun wir selbstverständlich, wir haben berufen, und ich bin eigentlich sehr optimistisch, dass wir hier von einer zweiten Instanz auch Recht bekommen.“ Das sagte Sebastian Kurz, nachdem er wegen einer Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss in erster Instanz zu acht Monaten bedingter Haft verurteilt worden war.

Mit der „zweiten Instanz“ war jedoch nicht das Justizministerium gemeint. Des Altkanzlers ehemaliger Kabinettchef brachte es im „erniedrigendsten Moment meines Lebens“ mit einer Zeichnung seines Sohnes zum Ausdruck: Der liebe Gott, der über der irdischen Strafjustiz thront. Jener Gott also, der seinen Anhängern das Falschaussagen durch Mose schon vor über dreitausend Jahren strengstens verboten hat. Aber im Christentum, dort wo das Wort noch was gilt, ist die ÖVP schon des Längeren nicht mehr zu Hause. Im Judentum war sie es nie.

Gibt es so etwas wie ein negatives Eheversprechen? So nach dem Motto: „Mit dir werde ich niemals ein Bündnis eingehen!“ Ich weiß es nicht, aber wenn, dann kommt einem ein Wortbruch mitunter teuer zu stehen. Meine Frau hat mich bis zu unserer Hochzeit mit dieser Drohung erpresst. Dafür bezahle ich immer noch, und für mein berufliches Weiterkommen war die Situation auch nicht gerade von Nutzen. Für ihres allerdings ebenso wenig, aber das könnte sich mit der Herdprämie ändern.

Der ÖVP jedenfalls könnte man jetzt Ehebruch vorwerfen, und was das Gesetz Moses für diesen Fall vorsieht, kann man im Deuteronomium und im 8. Kapitel des Johannesevangeliums nachlesen: Die Steinigung! Im eigentlichen Sinn hat schon 2019 die ÖVP und nicht ihr Koalitionspartner die Ehe gebrochen. „Wenn alle untreu werden…“, die FPÖ hält die Treue bedingungslos hoch. In der FPÖ können sie ein Lied davon singen. Oder doch von der Reue? Oder von Hump oder Dump?

„Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein!“ In Österreich ist man unschuldig, solange man nicht rechtskräftig verurteilt ist. „Auch ich verurteile dich nicht“, sagte Jesus zur Ehebrecherin. Sebastian Kurz hofft nun stark, dass er zu ihm Ähnliches sagen wird. Dann wird er ohne Schuld sein und damit anfangen können, die ersten Steine auf seine ehebrecherischen Parteifreunde zu werfen. Die Vierte Gewalt wird ihn dabei unterstützen.