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Foto: iStock/Motortion

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Ausgepokert! Jetzt sind die Märchenerzähler an der Reihe

Zwei Geschichten, von denen nur eine in den nächsten Wochen lauthals verkündet werden wird. 

Lies nach bei Yuval Harari. Der Historiker und Bestseller-Autor wird nicht müde in seinen Büchern zu erklären, warum wir Menschen – im Gegensatz zu allen nichtmenschlichen Tieren – überhaupt in der Lage waren und sind, höchst komplexe und erfolgreiche Gemeinschaften zu bilden: Unser Geheimnis ist die Kommunikation, die durch die Entwicklung einer äußerst facettenreichen Sprache erst möglich wurde. 

Zwar können auch viele Tiere erstaunlich gut und effizient miteinander kommunizieren, doch nur eine Spezies kann etwas ganz Besonderes: Abstrahieren. Und damit auch Fabulieren, Schwadronieren, Schwurbeln oder gigantische Epen schaffen, Erzählungen, die riesigen Völkern eine verbindende Identität geben und – die Kehrseite – als frei erfundene Schauermärchen Millionen Menschen den Tod gebracht haben.

Der Mensch kann seinesgleichen nicht nur mitteilen, wo man Nahrung findet – das können auch Bienen – oder wo eine Gefahr lauert, er kann auch eine fiktive Geschichte über Helden und Bösewichte, drohende Gefahren und deren Vermeidung erzählen, kann einen Bogen weit in die Vergangenheit und in die Zukunft spannen und dabei mittels Massenmedien und Internet eine riesige Gruppe ansprechen, zum Beispiel Millionen von Landsleuten, die in Österreich darauf warten, dass sich eine Regierung bildet. 

Womit wir beim Thema wären. Der Koalitionspoker der letzten Monate war ein Paradebeispiel für verpfuschtes politisches Marketing. Man hatte tatsächlich das Gefühl, dass hier Politprofis, mit allen Wassern gewaschen, an einem Spieltisch sitzen, in einem hermetisch abgeriegelten Hinterzimmer, und um gigantische Summen spielen. Jeder Spieler, jede Spielerin hatte offenbar nur ein Ziel: den Spieltisch mit einem möglichst großen Gewinn zu verlassen. Man hielt die Karten verdeckt und blieb in Aussagen kryptisch. Vor den Kameras wirkten die Zocker müde, abgekämpft und desillusioniert, redeten über ausverhandelte „Kapitel“, „Knackpunkte“ und „rote Linien“. 

Man stelle sich dagegen vor, Karl Nehammer, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger wären vor die Medien getreten und hätten gesagt: „Wir haben schwierige Jahre hinter uns und große Hürden vor uns, aber gemeinsam werden wir sie bewältigen. Wir werden Schritt für Schritt den Staat dort stärken, wo er Schutz bietet und die Wirtschaft dort befeuern, wo sie Wohlstand für alle sichert. Um unseren Lebensraum zu bewahren, werden wir die von der Bevölkerung gemeinsam mit der Wissenschaft ausgearbeiteten Anregungen des Klimarates umsetzen. Wir werden verhindern, dass die Schere zwischen arm und reich in diesem Land noch weiter auseinander klafft. Wir werden Steuerschlupflöcher schließen, digitale Hetze bestrafen und Kreativität belohnen. Die Ziele sind gesetzt. Den durchaus steinigen Weg dorthin müssen wir erst finden und gemeinsam gehen. Wer mitgehen und mitarbeiten will, ist dazu eingeladen. Es wird eine harte, aber spannende Arbeit werden, in Foren, in denen alle Gesellschaftsschichten sich vertreten fühlen. Wir werden den konstruktiven Diskurs fördern und vor allem dafür Sorge tragen, dass jedes Kind in diesem Land ein gutes Zuhause und eine gute Ausbildung hat, unabhängig von seiner Farbe, seiner Herkunft und seinem Wohnort. Mit diesem Projekt beginnen wir morgen.“

Heiße Luft? Vielleicht. Aber weit besser als taktische Kälte auf dem politischen Zahlenfriedhof. Populisten wissen das! Sie halten sich niemals mit Details und Fakten auf, sondern erzählen – von Trump bis Kickl – griffige, eingängige, völlig faktenbefreite Märchen. Populisten fabulieren über fiktive Drachen und dämonische Eliten, ziehen mit goldener Rüstung gegen „den Feind von außen und innen“ zu Felde, lügen, dass sich die Balken biegen – und finden begeistertes Gehör. Populisten hinterfragen nicht, sondern behaupten, als einzige die Wahrheit zu kennen. Es ist immer eine simple Wahrheit und damit die willkommene Erlösung aus den Gedankenlabyrinthen einer komplizierten und komplexen Lebenswelt. Und so wird leider die Erzählung, die wir in den nächsten Wochen von der ÖVP und der FPÖ hören werden, eine ganz andere sein.

Der rechte Flügel der ÖVP und die ultrarechten Freiheitlichen werden uns Folgendes erzählen: Es sind schwere Zeiten, aber wir haben erkannt, wer uns das Leben schwer macht und werden entschlossen handeln. Der Feind der Bauern ist der Wolf, den rotten wir aus. Der Feind der Arbeiter ist der Ausländer. Den schicken wir heim. Der Feind der Wirtschaft ist die Faulheit, also machen wir denen Beine, die Teilzeit arbeiten und Langzeit studieren. Hopp, hopp, jetzt sollt auch ihr mal schwitzen. Der Feind der Industrie ist der Staat. Den stutzen wir zusammen. Er soll den Banken und Unternehmen dienen, statt sie zu beschneiden. Und sich um die Alten und Kranken kümmern. Den Rest erledigt der Markt. Die Reichen sind die Leistungsträger, also begraben wir die Neiddiskussion. Und dann haben wir noch einen gemeinsamen Feind, der gefährlicher ist, als alle anderen zusammen: Die woken, grünen, geschlechtslosen Umweltfuzzis! Die können sich warm anziehen. Denn jetzt geben wir Vollgas im Verbrenner! Wir holen uns unser altes Leben zurück, die alten Lieder, die alte Ordnung. Was für eine schöne Zukunft!

Gerhard Pirkner ist Herausgeber und Chefredakteur von „Dolomitenstadt“. Der promovierte Politologe und Kommunikationswissenschafter arbeitete Jahrzehnte als Kommunikationsberater in Salzburg, Wien und München, bevor er mit seiner Familie im Jahr 2000 nach Lienz zurückkehrte und dort 2010 „Dolomitenstadt“ ins Leben rief.

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„Dass wir niemanden zurücklassen – das würde Europa von anderen unterscheiden.“

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20 Postings

E.L
vor 17 Stunden

Gratulation und Danke Hr. Pirkner, ein großartiger Artikel .. bitte weiter so !

 
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Bahner Bernd
gestern

Was Dr.Pirker im Abschnitt..Man stelle sich vor...vor uns ausbreitet klingt für pragmatisch Denkende durchaus überzeugend und umsetzbar, vor allem wenn man die derzeitige gesellschaftliche und wirtschaftliche Krisensituation bedenkt. Der Kraftakt, sich zu überwinden und das Staatswohl über parteipolitische Interessen zu stellen, schien den verhandelnden Parteien aber nicht zumutbar. Und was ist mit der Verantwortung gegenüber der Staatsräson, ua. die freiheitliche Rechtsordnung mit unabhängiger Justiz und den Pluralismus der Medien zu schützen, anstatt unser Gemeinwesen einer Partei auszuliefern mit erklärten Ambitionen einer Neuordnung orbanesker Art.

 
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    juchehh
    vor 23 Stunden

    Wir sollten damit aufhören auf andere Länder zu zeigen. Dass die Justiz in Österreich unabhängiger ist als in Ungarn, darf bezweifelt werden. Der ÖVP geht es vor allem auch darum den Justizminister zu bekommen,um die diversen Verfahren "daschlogen "zu können.

     
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      TW-WU
      vor 22 Stunden

      Das österreichische justizsystem mag nicht ideal sein. Unser justizsysteme mit dem in Ungarn zu vergleichen, wo ausschliesslich günstlinge von orban das sagen haben, ist aber fern jeder Realität....

      "Spionagesoftware Pegasus: Ungarn räumt Spähangriffe ein – Politiker und Journalisten abgehört... Nach mehrmonatigem Schweigen hat ein hochrangiger ungarischer Regierungspolitiker eingeräumt, dass das Innenministerium des EU-Landes die umstrittene israelische Spionage-Software Pegasus beschafft hat... Die mit Hilfe von Pegasus erfolgten Spähangriffe seien allesamt von Richtern oder vom Justizministerium genehmigt gewesen... Auch in Ungarn konnte nachgewiesen werden, dass unabhängigen Journalisten, Medieninhabern und Politikern die Software ohne ihr Wissen auf ihre Mobiltelefone geladen worden war... "

      https://www.rnd.de/politik/pegasus-ungarn-raeumt-spionage-ein-wurden-politiker-und-journalisten-abgehoert-M2C4QVEQJTDB4QGRVXIFMMYPSM.html

       
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      wolf_C
      vor 13 Stunden

      ''Wir sollten damit aufhören auf andere Länder zu zeigen'' : ja danke, der Nationalratspräsident gibt schon die Richtung vor; wir machen es jetzt den anderen nach mit Korruption und Abschaffung der Medien und denDiktatorenindenArschkriechen

       
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Kapatieme
gestern

Die drei Parteien hatten jetzt 3 Monate Zeit etwas auf die Reihe zu bringen! Gelungen ist genau gar nichts.Keinerlei positive Zukunftsvision für Österreich! Nur taktisches Geplänkel. Lassen wir mal die blauen mitregieren, ich sage mitregieren sonst gehts halt auf Neuwahlen zu . Das wollen wir sicher nicht. Bei der Variante schwarzblau begegnen sich beide Parteien auf Grund des Wahlergebnisses auf Augenhöhe, sprich Alleingänge wird es nicht geben. Und die blauen müssen aufpassen denn man wird ihnen besonders auf die Finger schauen! Und Populist hin oder her , ein Trump wurde trotz allem demokratisch gewählt. Nicht zuletzt aufgrund der schlechten Performance seines Vorgängers.

 
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Iselrauschen
gestern

Nicht heiße Luft, sondern eine Vision von jenen Zielen, die gerade in diesen Zeiten Hoffnung geben könnten, hat Gerhard Pirkner mit seiner ‚ersten‘ Geschichte entworfen. Wie wesentlich und zugleich motivierend wäre diese aus dem Mund der drei Koalitions-Verhandelnden gewesen. Jetzt gilt es Visionen zu entwickeln, wie wir als Bürgerinnen und Bürger den, erschreckend realistisch gezeichneten ‚Erzählungen‘ einer zukünftigen FPÖ-ÖVP-Regierung mit Mitteln gelebter Demokratie etwas entgegensetzen können.

 
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    r.ingruber
    vor 22 Stunden

    Wie von einem Literaten formuliert, Hut ab!

    Sie wissen aber schon, dass ihr Anliegen im Parlament dann allenfalls noch durch Rot und Grün vertreten wird.

     
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iseline
gestern

Schade, dass G. Pirkner bei den Koaltionsverhandlungen nicht als Kommunkationsberater tätig war. Allerdings muss es schon eine Grundhaltung der Parteien geben, Kompromisse zu schließen und Abstriche von den eigenen Forderungen zu machen. Wenn das die Parteien, oder nur Teile davon, nie wirklich wollten, (wobei hier die ÖVP am wenigsten flexibel erscheint, nachdem A. Babler sogar auf die Vermögenssteuer und Erbschaftsteuer verzichtet hätte) sind drei Monate "scheinverhandeln" eine Missachtung des Wählerwillens, eine Zumutung und ein demokratiepolitisches Desaster.

 
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Damaha
gestern

Wo bleibt der Optimismus??? Mit Hoffnung und Zuversicht werde ich dieses Jahr angehen, alles andere wäre doch ungesund...

 
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Nichtwisser
gestern

In der Politik gilt: "Macht ist geil"!

 
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arlingriese
gestern

@chefredakteur: treffender gehts nicht - danke!

 
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Claudia Moser
gestern

Danke, Gerhard!

 
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Muscicapa
gestern

Ja, dieses Statement wäre es wert gewesen, in eine Regierungserklärung aufgenommen zu werden. Jetzt werden wir die üblichen hohlen Phrasen bekommen.

 
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wolf_C
gestern

Ja, mit VOLL GAS in die Vergangenheit, die Österreicher wollen es so, hätten sie sonst so gewählt? Die 'GutealteZeit' wird sich als verkommene Mumie entpuppen, das Wehklagen ein großes sein, ausgenommen die Reichen

 
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Senf
gestern

Red. Pirkner hat es im fünften Absatz (Man stelle sich dagegen vor ...") treffend auf den Punkt gebracht, wohin Politik in dieser schwierigen Zeit führen sollte.

Wäre das das Ziel gewesen, dann hätten wir heute eine funktionierende Regierung mit Perspekiven. Aber es musste ja so kommen.

Die nicht enden wollenden Koalationsverhandlungen hatten anscheinend nur das Ziel, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen. Wie es dem Bürger in Zukunft ergeht hatte keine Priorität, Hauptsache das eigene Klientell wird gut bedient und die Machtstrukturen bleiben aufrecht.

 
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Colombo
gestern

@ Chefredakteur schreibt: Die rechten werden uns erzählen, daß die schlimmsten sind die woken, grünen, geschlechtslosen Umweltfuzzis! Die können sich warm anziehen. Denn jetzt geben wir Vollgas im Verbrenner! 😁😅😂🤣

 
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r.ingruber
gestern

Des Rückgriffs auf Harari (schon gar nicht in Form einer Leseempfehlung) hätte dieser an sich gestochen scharfe Kommentar gar nicht bedurft. So manche These erweckt den Anschein, als sei sie direkt aus dem Forum von Dolomitenstadt gefischt, vielleicht sogar aus nicht veröffentlichten Kommentaren. Dort kreist man nämlich auch nicht selten um den Zirkel: "Populisten fabulieren über fiktive Drachen und dämonische Eliten, ziehen mit goldener Rüstung gegen den Feind von außen und innen“ zu Felde – und umgekehrt.

 
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Gertrude
gestern

Danke für diesen leider so wahren Artikel.

 
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ilMioNomeEnessuno
gestern

wenns nicht so traurig wäre, könnt man ja lachen.

 
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