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Nicht auf die Form, auf den Inhalt kommt es an!

Ich habe einen Ideenwettbewerb für Osttirol-Portale ausgeschrieben und mich als einziger daran beteiligt.

Im Advent bereiten sich Christen in aller Welt 24 Tage auf Weihnachten vor. In Lienz tun sie das auch noch danach. Wenn zu Silvester und lang nach Neujahr die Türchen des Adventkalenders am Rathaus noch immer sperrangelweit offenstehen, atmen Herbergssuchende auf: „Wir sind in Lienz!“ Aber die Stadt Lienz ist nicht der Bezirk Lienz. Den hat man längst schon betreten, bevor man am Lienzer Stadtplatz einlangt.

Der Lienzer Adventkalender ist zwar ein Leuchtturmprojekt, aber so hell und gut sichtbar nun auch wieder nicht, dass einer, von Antholz, von Oberdrauburg oder von Winklern herkommend, sogleich im Bilde ist, wo er ist. Auch nicht von Maria Luggau, und da gäbe es mehrere Chancen, falsch abzubiegen. Einzig am südlichen Mundloch des Felbertauerns steht fest, dass man in Osttirol ist. Besser gesagt, es liegt fest.

Advent kommt von „Adventus Domini“ und heißt Ankunft des Herrn. Es wäre doch schön, dachte sich der Tourismus, wenn den Herrn bei seiner Ankunft eine Herrin begrüßt. Oder wenigstens eine Dame empfängt. Und so hat man dort vor bald zehn Jahren ein Wahrzeichen errichtet, das auf hinter- und vordergründige Weise die Schönheiten Osttirols symbolisiert. Eine nackte Dame aus Glas steht für die Durchsichtigkeit der Aktion: Mutter Erde, die ihre Gebirge zum Licht und zum Himmel erhebt.

70.000 Euro hat das Denkmal gekostet. Dass es bis heute ohne Nachfolge blieb, liegt gewiss nicht an der Finanzierung, galt es doch damals schon als Schulbeispiel einer ressourcenschonenden Ehe zwischen Tourismus und Kunst. Das fing mit einer Halbierung der Personalkosten an, indem man den Bräutigam von seinem Nebenbuhler erlöste. Der war nun der Ausführende und der Planer in einer Person. Doch auch die Braut hatte sich, wie die unten stehende Grafik veranschaulicht, gnadenlos und am eigenen Leib mit dem Sparstift kasteit:

T(H)EUER(L)

Das Hindernis für weitere Hochzeiten war also weniger ein Mangel an Mitgift, es mangelte schlicht und ergreifend an der Idee. Also habe ich einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben und mich selbst als einziger daran beteiligt. Und ich habe meinen gesamten Ehrgeiz darauf konzentriert, noch kostengünstiger zu produzieren, als es vor zehn Jahren ohnehin schon geschah. Gleichzeitig habe ich aus der bis zum heutigen Tag nicht verstummten Kritik gewonnene Erkenntnisse einzuarbeiten versucht.

Denn einerseits nahm man es damals mit der Geschlechtergerechtigkeit nicht so genau und andererseits sollte das Auge des Einheimischen sich doch mehr an den Formationen seiner Osttiroler Natur als an den Formen seiner einheimischen Mitbürgerinnen erfreuen. An Touristen hatte man offenbar keine Gedanken verschwendet. Ein oberster Handlungsgrundsatz hat mein Unterfangen daher von Anfang an motiviert: dass es nicht so sehr auf die Form, als vielmehr auf den Inhalt ankommen muss.

„Wenn die weibliche Natur, von Natur doch so verderbt, sich in der Heiligkeit sublimiert, kann sie zum höchsten Gefäß der Anmut werden. Pulchra enim sunt ubera, quae paululum supereminent…“ (Ubertin von Casale im Roman ‚Der Name der Rose‘ in den Mund gelegtes Zitat nach Gilbert von Hoyland). Damit ist der sakrale Charakter des Originals überboten, und es ist auch kein auf Gehrung geschnittener Altarstein vonnöten, auf dem man das Werk opfern müsste. Die Figur selbst ist auf Gärung hin offen und kann nun mit Inhalt gefüllt und zum Leben erweckt werden:

Mein Favorit ist dieses Kunstwerk, das mit der bestehenden Glasplastik am Felbertauernportal gut harmonieren würde. © Rudolf Ingruber

„Von erster Sonne schimmerte der Haarschaum der weiten Wogenscham, an deren Rand das Mädchen aufstand, weiß, verwirrt und feucht.“ Das ist nicht von mir, das ist von Rainer Maria Rilke. Aber ich habe dem Geschöpf einen Namen gegeben und sie auf eigene Füße gestellt. Hätte ich sie flachgelegt, wär' sie nämlich ein Mann. Ein Flachmann. Flachmänner sind auch nicht aus Glas und heißen in der Regel nicht Uschi. Eher heißen sie Armin-Müller und sind aus Stahl. So wie dieses Beispiel:

Diese, betont männliche Variante erscheint mir zu flach für Ort und Einsatzzweck. © Rudolf Ingruber

Um dieses Dilemma zu knacken, habe ich mich doch für eine dritte Variante entschieden, die einen typisch männlichen Inhalt in typisch weibliche Formen verpackt. Auch das Sockelproblem ist hier auf die billigste Weise gelöst. Allerdings hat der geistige Husarenritt auch seinen Preis: So um die sechs Millionen wird der Theu(e)rl schon hinblättern müssen, wenn er ihn 2025 verwirklichen will.

Genial, aber mit 6 Millionen Euro pro Stück wohl selbst für den Tourismusverband zu teuer.

Na dann: Prosit Neujahr!

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

4 Postings

Bahner Bernd
vor 5 Tagen

Gar nicht so abwegig. Catellans Banane hat die kulturelle Szene weltweit bewegt. Ingrubers Objekt, welch starker Impuls für den Qualitätstourismus in Osttirol könnte das sein.

 
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amRande
vor 6 Tagen

Schade! Hätte mich gerne an diesem Wettbewerb beteiligt! Vielleicht kannst du, lieber Rudi, das Wettbewerbsprozedere noch einmal starten. Ich bin sicher, da kämen doch etliche brauchbare Vorschläge. Der vergeistigte Hintergrund würde natürlich wegfallen. Wer kann dir schon das geschliffene Glas Wasser reichen!

 
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Senf
vor 6 Tagen

nach jahrelanger kritik am "kunstwerk" einer flachgelegten dame als begrüßungsportal am felbertauern hätt ich mir niemals geträumt, dass nun ausgerechnet ein ein kunsthistoriker für die abtrünnige region tirols ein so treffendes alleinstellungsmerkmal aus dem hut zaubert. ja, man muss bei der suche danach in die tiefe gehn, die natur mit der geschichte der ansässsigen kennen und die augen aufmachen - was leider den bildenden künstlern und auch den grafikern bisher blöderweise vorenthalten blieb. danke herr ingruber!

wenn das sinnteure und wertvolle objekt an den einfahrten osttirols nun die einen oder anderen zur vollsbremsung verleitet ist das ein gutes zeichen. damit es niemand stiehlt, wird der betreiber nicht umhin kommen, das ganze per sarkophag zu sichern, denn die grandiose idee würde sonst ja verloren gehn. unwiderbringlich! das werk selbst nicht, es wäre ersetzbar, liegt es doch zu hauf auch an den straßenrändern - samt klebestreifen.

wer es aber nicht ewarten kann, endlich in das echte tirol einzufahren muß auf den pass thurn fahren, erst dort weiss man das weltweit bekannte tirollogo zu schätzen.

a gutes neues

 
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tantmarie
vor 6 Tagen

Das Werk im letzten Bild gefällt mir, denn es passt zu meinem Neujahrsvorsatz. Und für die 6 Cents, die ich vor 15 Jahren für meine digitalen Münzen bezahlt habe, ist es obendrein noch ein Schnäppchen!

 
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