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Visualisierung der Schlacht am Bergisel. Man hat „das Gefühl hat, eine Kugel pfeift einem um die Ohren“. So wird erzählt. Foto: Burkhard Mücke, Wikicommons 4.0

Visualisierung der Schlacht am Bergisel. Man hat „das Gefühl hat, eine Kugel pfeift einem um die Ohren“. So wird erzählt. Foto: Burkhard Mücke, Wikicommons 4.0

Vorbei am Augenbetrug fließt künftig die Rechtsperson

Am Bergisel und an den Ufern der Isel ist Schein nicht Sein und die Kunst alles andere als frey.

Ich erinnere mich noch gut an die Triggerwarnung, mit der unser Vater meinen Bruder und mich auf den ersten Besuch des Innsbrucker Riesenrundgemäldes einstimmte. Bekanntlich wird hier ein Panorama der Schlacht am Bergisel illusioniert, und zwar so täuschend, dass man jeden Augenblick „das Gefühl hat, eine Kugel pfeift einem um die Ohren“. Leider wussten wir mit dieser Metapher nichts anzufangen, denn unsere Mutter hatte stets großen Wert darauf gelegt, dass wir sie wenigstens während des Spielens nicht störten und unsere Waffen niemals ohne Schalldämpfer gebrauchten.

Enttäuscht aber waren wir doch. Zu gerne hätten wir der Schießerei nicht nur zugeschaut, wir hätten sie auch gern gehört, den Dampf des Pulvers gerochen und sein Brennen in unseren Augen gespürt. Das Riesenrundgemälde jedoch sei, so klärte der Vater uns auf, wie sein Name schon sagt, ein Gemälde und weder eine sensorische noch akustische oder gar olfaktorische Reproduktion. Die Erklärung vermochte uns nicht zufriedenzustellen, waren wir doch vom Kino in unserer Heimatstadt definitiv überzeugendere Bilder gewohnt. Zugegeben, das mit dem Spüren kam tatsächlich erst später, als unsere Kinobesuche keiner Altersbeschränkung mehr unterlagen. Gerochen aber hat es dort immer schon.

Und erst das Fernsehen! Gerd Prechtl, Frank Lester und Peter Fichna, die uns täglich das Neueste aus aller Welt zum Abendessen servierten, genossen nicht nur den Rang von Familienmitgliedern, sondern sogar bei uns Kindern unangefochtene Autorität. Nicht einmal dem heiligen Nikolaus wurde bei seinem Besuch am 5. Dezember so viel Aufmerksamkeit entgegengebracht. Erst als Mitte der 1970er Jahre Sprecherinnen wie Ursula Stenzel die Nachrichten vorzutragen begannen und ihre männlichen Kollegen zum Verlesen der Kasperlpost herabgestuft wurden, verlor der Zauber des schönen Scheins seine Wirkung.

Auch legendäre Doppelconférencen, mit denen der Österreichische Rundfunk die Geschlechterparität wiederherzustellen bemüht war, änderten nichts: „Hast du deinen Mann um Erlaubnis gebeten?“ fragte Stefan Gehrer, blau wie die Nacht, seine Partnerin Christa Kummer, bevor er sie durch die Mattscheibe küsste. „Der Mann ist das Oberhaupt der Familie, und die Frau hat seine Anordnungen zu befolgen und befolgen zu machen“, lautete bis in die Ära Kreisky in Österreich ein Gesetz, das im ORF offenbar immer noch nachwirkt. Sollte man aus der Nummer je wieder herausfinden wollen, wird nicht nur Armin Wolf im Schafspelz, sondern auch Peter Filzmaier in Frauenkleidern auftreten müssen.

Doch zurück zum Bergisel und zu der Erkenntnis, dass Visualisierungen, die im Kostüm der Wahrhaftigkeit daherkommen, von etlichen, ja, wenn man es genau nimmt, von nahezu allen Eigenschaften der Wirklichkeit abstrahieren und den Unterschied zwischen Sein und Schein nicht verringern, sondern auf ein Maximum steigern. „Trompe l’oeil“ nennen es die Franzosen, „L‘inganno degli occhi“ die Italiener. „Augenbetrug!“ schreit man bei uns, aber angeklagt werden jene, die uns von Anfang an reinen Wein einzuschenken versuchten. Die Kunst ist hierzulande eben alles andere als frey und das stärkste Indiz dafür ist der Umstand, dass die Trugbilder nicht vom Bergisel, sondern vom Iselsberg kommen.

Bei uns gibt es allerdings, ganz ohne Berg, auch die Isel, und die soll jetzt Rechtsperson werden. Dazu braucht sie zuallererst einen Namen, der sie nicht nur von ihren männlichen Verwandten zu unterscheiden, sondern eben auch mit persönlichen Eigenschaften zu identifizieren erlaubt. Eine beliebte Methode, Flüsse zu personifizieren, besteht darin, sie nach den in ihnen Ertrunkenen zu benennen. So fand einst Tiberinus Silvius, der neunte König von Alba Longa, in dem Gewässer, das nach ihm Tiber genannt wurde, den Tod. „Sabrina hold, hör‘ uns, wo dich die klare spiegelnde Well‘ umfängt“, ruft der englische Dichter John Milton die Nymphe, die dem längsten Fluss Großbritanniens den Namen lieh.

Man könnte nun die Sage von Ilse erzählen, die bei Hinterbichl ins Wasser ging und, von der Strömung stundenlang durchgeschüttelt, als Isel im Südwesten von Lienz in die Drau gespült wurde. Damit aus einem Mädchen ein Fluss und aus diesem eine Person wird, müssen wir nur ein paar Buchstaben vertauschen. Was aber ist eine Rechts-Person, und wie kommt eine solche zustande? Dazu müssen wir das Anagramm mit ganz anderen Buchstaben basteln: Na, macht es Klick?

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

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