Andrea Schorn ist in Dölsach aufgewachsen und lebt seit neun Jahren im schweizerischen Zürich. Ihre Schwester absolvierte ihr Medizinstudium in Graz und befindet sich derzeit in der Facharztausbildung im Klinikum Klagenfurt. „Wir hatten eine sehr schöne Kindheit und ich weiß die heimische Natur und die Umgebung Osttirols heute mehr denn je zu schätzen“, erinnert sich Andrea. Nach Dölsach kommt sie derzeit nur an Weihnachten und Ostern, Zürich ist zu ihrer zweiten Heimat geworden.
„Innerhalb von einer knappen Viertelstunde ist man hier durch die Altstadt spaziert. Am einen Ende der Altstadt befindet sich der Nobelwohnbezirk am See, auf der anderen Seite der Altstadt beginnt schon gleich das Industriegebiet. „Ich mag Zürich, weil es klein und überschaubar ist und trotzdem eine hohe Lebensqualität bietet.“ Trotz der überschaubaren Größe ist Zürich eine Weltstadt, in der sich Menschen aller Nationen und Fachrichtungen treffen. „Egal, wo man auf der Welt ist, wenn man sagt, ‚I'm from Switzerland‘, dann wird das verstanden. Das ist oft bei Österreich nicht so der Fall (lacht).“
Eine Rückkehr nach Osttirol schließt Andrea nicht aus. „Ich weiß nicht, ob ich meinen Herzensjob dort finden würde. Außerdem sind all meine Freunde, die ich seit dem Studium kennengelernt habe, in Zürich. Mein Freund ist Schweizer, seine Familie lebt auch hier.“ Während des ersten Heimweh-Interviews vor sieben Jahren befand sich die Osttirolerin gerade im zweiten von drei Jahren ihres Bachelorstudiums in Maschinenbau an der renommierten ETH Zürich. „Nach Abschluss meines Bachelors habe ich das anschließende Masterstudium gleich mit einem Auslandssemester an der ‚National University of Singapore‘ in Singapur begonnen.“
Eine schöne Erfahrung, gespickt mit neuen Erkenntnissen und vielen internationalen Kontakten. „Damals habe ich mit Menschen aus Amerika, Australien, Europa und Asien gemeinsam studiert. Mit 21 Jahren in einer Millionenstadt wie Singapur zu leben, war sehr aufregend. Man merkt dann erst, wie essenziell Englischkenntnisse sind (schmunzelt).“
Zurück in der Schweiz folgte der nächste Schritt des Master-Studienplans. „Ich musste mir an der ETH einen Professor als Tutor suchen, der mich bei meinem gewählten Studienschwerpunkt, einer Vertiefung in Statik und Leichtbau, Luft- und Raumfahrt, unterstützt. Mein Professor ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Faserverbundwerkstoffe.“ So vertiefte sich Andrea im Laufe des Masterstudiums in die Bereiche Luft- und Raumfahrt, die sie mit einer Mischung aus Theorie und Praxis erforschte.
„Es war eine sehr lehrreiche Zeit, und ich habe auch einige Praktika in dem Bereich gemacht. Eines davon war bei dem Innerschweizer Unternehmen 'Pilatus Flugzeugwerke'. Die Privatjets, die Pilatus herstellt, unterscheiden sich gegenüber anderen Jets dadurch, dass sie auf jedem Untergrund landen können – also sowohl in Island und Grönland auf Eis als auch in jeder Steppe Afrikas.“
Ein weiteres Praxisprojekt von Andrea trägt den Namen ARIS. Sie gehörte jener Gruppe der Akademischen Raumfahrtinitiative Schweiz an, die kleine Forschungsraketen samt Antrieb, Kleinstsatelliten und Experimente für die Schwerelosigkeit konstruiert. „Mein Team und ich waren zuständig für die Entwicklung eines Hybrid-Raketenmotors. Obwohl der fertige Motor den geplanten Schub lieferte, war er noch zu klobig für den Einbau in die Rakete. Diese Aufgabe überließen wir der nächsten Generation von Studenten und mittlerweile wird der weiterentwickelte Motor auch wirklich geflogen“, resümiert Andrea.
Trotz ihrer positiven Erfahrungen im Luftfahrt-Bereich hielt es sie nicht dauerhaft dort. „Viele Leute, die ich damals getroffen habe, haben eine starke Passion dafür, lesen in ihrer Freizeit nur Raumfahrt-Bücher und würden extra nach Amerika fahren, um einen Raketenstart zu sehen. Obwohl ich diese tiefe Faszination nicht ganz teilen kann, finde ich es immer noch sehr beeindruckend, was die Menschheit heute alles machen kann.“
Es folgte ein Praktikum bei der Boston Consulting Group, einer Management- und Strategieberatung. Work-Life Balance: Fehlanzeige. „Mir war klar, dass mein Sozialleben leidet, aber ich wollte verschiedene Industrien und Kunden kennenlernen, um meinen Weg zu finden“, erzählt die Wahl-Schweizerin. Aus dem Praktikum wurde ein Vollzeitjob. „Ich konnte viel lernen und ein großes Netzwerk aufbauen. Die Leute dort sind alle gute und hart arbeitende Menschen.“ Nach zwei Jahren im Unternehmen begann Andrea, sich nach etwas Neuem umzusehen.
Durch eines ihrer letzten Projekte bei der Boston Consulting Group, kurz BCG, wurde sie auf ein Unternehmen in einer ihr neuen Branche aufmerksam. „Die Nachhaltigkeitsbranche fand ich sehr spannend, so habe ich mich in das Thema und die Möglichkeiten eingelesen. Nach Abschluss des Projektes habe ich mich nach dementsprechenden Jobs in Zürich umgeschaut.“ Fündig wurde sie bei „Climeworks“, einem Schweizer Unternehmen, das 2009 von den beiden heutigen Co-CEOs und damaligen Doktoratsstudenten der ETH Zürich gegründet wurde.
„Alles, was der Mensch aus den Ölreservaten geholt hat, fangen wir ein und speichern es wieder unter der Erde.“
Andrea Schorn
Wie das Unternehmen arbeitet, erklärt Andrea kompakt. „Climeworks filtert CO₂ mit großen Anlagen direkt aus der Luft (engl. ‚Direct Air Capture‘), vermischt das gasförmige CO₂ mit Wasser und pumpt es so unter die Erde. Innerhalb von zwei Jahren mineralisiert das CO₂ zu festem Material (Carbonat), was eine langfristige Speicherung des Gases garantiert. So verschwindet das CO₂ aus der Atmosphäre, was wiederum der Erderwärmung durch die Reduktion der Treibhausgase entgegenwirkt. Alles, was der Mensch also aus den Ölreservaten nach oben gepumpt hat, um zum Beispiel Treibstoff für Verbrennungsmotoren herzustellen, muss wieder eingefangen werden. Climeworks trägt einen Teil dazu bei.“ Ist das CO₂ unter der Erde gespeichert, verkauft man sogenannte „Carbon Credits“. „Diese werden von Firmen gekauft, die damit ihre Emissionen kompensieren. Die ‚Direct Air Capture Credits‘ unserer Technologie sind eher teurer, da sie das CO₂, wie vorher erklärt, sehr permanent speichern.“
Mittlerweile bietet „Climeworks“ aufgrund von Wünschen nach günstigeren Methoden auch ein Portfolio von verschiedenen Technologien der CO₂-Entfernung an. In diesem Bereich arbeitet Andrea mit ihrem Team. „Wir evaluieren mit unserem Science-Team die Technologien, die es zurzeit am Markt gibt. Beispiele sind klassische Aufforstungsprojekte, 'Biochar', bei der Pflanzenkohle aus Biomasse erzeugt wird und das CO₂ somit permanenter speichert oder 'Enhanced Rock Weathering‘.“
Ihr Team vergleicht all diese und noch mehr Methoden der CO₂-Entfernung auf technische Umsetzbarkeit und Skalierbarkeit. Basierend darauf wird entschieden, ob sie sich für Investments der Unternehmenskunden eignen. Andrea mag ihren Job und den Start-Up Charakter von „Climeworks“ sehr gerne. „Wir haben, wie ich finde, genug Strukturen, um die Zuständigkeitsbereiche innerhalb des Unternehmens klar einzuteilen und wir sind schon lange genug auf dem Markt, dass wir uns eine bestimmte Reputation aufbauen konnten. Dennoch ist die Firma jung genug, um eine gewisse Flexibilität in den Arbeitsaufgaben und Fokusthemen zu behalten. So wird es nie langweilig und man lernt immer was Neues. Zusätzlich zu diesen Aspekten ist mein Job eine Tätigkeit, hinter der ich voll und ganz stehe.“ Gearbeitet wird übrigens überwiegend in englischer Sprache. „Unser Team ist international aufgestellt, der Großteil der Mitarbeiter:innen stammt aber aus europäischen Ländern wie England, Deutschland und Frankreich. Die Schweiz ist ja sowieso dreisprachig.“
In den Sommermonaten trifft man Andrea auf Reisen oder an freien Tagen oft am Rennrad. „Das geht in und um Zürich herum hervorragend: Die Landschaft ist hügelig, es gibt Pässe und viele Seen.“ Auch Volleyball spiele sie gerne ab und zu, wenn auch nicht mehr so intensiv wie früher. „An der ETH gibt es einen Sportverein namens ‚Akademischer Sportverband Zürich‘, der wie ein großes Fitnessstudio aufgebaut ist, aber auch Kurse in allen möglichen Bereichen anbietet. Dort gehe ich auch ab und zu zum Workout hin. Hauptsächlich mache ich also viel Sport, ansonsten treffe ich mich mit meinen Freunden aus Studium, vorherigen Projekten oder Arbeitsorten zum Essen gehen oder selbst Kochen.“
Auf Andreas Bucket-List steht neben einigen privaten Projekten berufliche Weiterentwicklung. „Ich möchte weiter die Karriereleiter hochklettern und bald selbst ein Team leiten. Ich könnte mir auch vorstellen, ein eigenes Start-Up zu gründen. Auf eine gute Idee bzw. den guten Einfall warte ich noch. Der Nachhaltigkeitsbereich ist ja eine aufstrebende Industrie, in der es immer wieder neue Ideen gibt.“
In den vergangenen sieben Jahren hat Andrea viele Highlights erlebt. „Eines davon war mein Austauschsemester, weil es noch mal was ganz anderes ist, so weit weg von daheim zu leben.“ Auch ihr Studienabschluss ist ein wichtiger Abschnitt ihres Lebens. „Schlussendlich sind all meine Jobs auch irgendwo Meilensteine für mich. Ich würde nicht sagen, dass irgendeine meiner Arbeitserfahrungen verschwendete Zeit war. Auch wenn man ab und zu eher nur lernt, was einem nicht gefällt, hatte das Sinn.“
Könnte Andrea ihrem Ich vor sieben Jahren einen Ratschlag mit auf den Weg geben, wäre es folgender: „Mach, was dir Spaß macht – das macht vieles leichter. Außerdem musst du nicht immer ein ‚Sehr Gut‘ haben (zwinkert).“ Auch einen beruflichen Rat hat sie parat. „Ich würde jedem Studenten und jeder Studentin empfehlen: Weniger Vorlesungen, mehr Praxis – das bringt dich wirklich weiter und wird auf jedem Lebenslauf gerne gesehen.“
Ein Posting
Ich habe großen Respekt vor den studentischen und wissenschaftlichen Leistungen von Frau Schorn. Weniger Respekt habe ich von der Idee, Kohlendioxid mit enormem Energieaufwand aus der Atmosphäre zu kitzeln, um es dann mit ebenfalls großem Energieaufwand in die Erde zu pressen, um es zu mineralisieren. Wie wäre es, wenn man verhindern würde, dass Kohlenstoffverbindungen, die im Verlauf von Millionen Jahren Sonnenlicht gespeichert haben, gar nicht erst heraufholt, sie verbrennt und als Kohlendioxid in wenigen Jahren in die Luft bläst. Besessen vom Wunsch nach immer mehr Bequemlichkeit und immer weniger Verantwortung. Was ist der Mensch doch für ein seltsames Wesen auf diesem Planeten. Macht Euch die Erde untertan auf Teufel komm raus!
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