Auf den ersten Blick war es eine Buchvorstellung. Doch wer am 20. November im Bildungshaus Osttirol genau hinhörte und hinsah, spürte eine erstaunlich kraftvolle „Bewegung für die Isel“, motiviert nicht nur von der Faszination, die Flüsse generell und dieser Fluss im Speziellen ausstrahlen, sondern auch von einer geballten Ladung an Wissen über den Wert des Lebensraumes, der von der Isel geprägt wird.
Dieses Wissen haben Susanna und Andreas Muhar – beide Lehrende an der Universität für Bodenkultur und im wissenschaftlichen Unruhestand – mit viel Sachkenntnis und noch mehr Engagement erschlossen. Das Forscher-Ehepaar und die schlagkräftige Expert:innen-Truppe von Revital waren die Motoren hinter einem Buchprojekt mit fast schon enzyklopädischem Charakter.
Was die Muhars, Klaus Michor, Oliver Stöhr und Marian Unterlercher als Herausgeber zwischen zwei Buchdeckel packten, ist ein fachliches Aha-Erlebnis selbst für „Iselkenner:innen“, von denen sich gut hundert bei der Präsentation im Bildungshaus einfanden. Unter ihnen saßen mit der Lienzer Bürgermeisterin Elisabeth Blanik, Umwelt-Landesrat René Zumtobel und TVBO-Obmann Franz Theurl auch Entscheidungsträger, die politischen und wirtschaftlichen Einfluss auf das Geschehen am Fluss haben und ausüben.
Nicht weniger als 40 Autor:innen lieferten Beiträge für das Buch und ließen sich dazu auch nicht lange bitten, wie Susanna Muhar dem Publikum erzählte. Biolog:innen aus unterschiedlichsten Fachgebieten beschreiben im Detail und in vielen bebilderten Kapiteln, welche Tiere und Pflanzen es am und im Fluss zu entdecken gibt. Die Isel wird als Motiv für die Kunst präsentiert, als prägendes Element für die Siedlungsräume von der Steinzeit bis in die Gegenwart, als Erholungsraum und als Gefahrenpotenzial – kein Themenbereich fehlt und alle Perspektiven sind fachlich so fundiert ausgearbeitet, dass man ruhig von einem Lehrbuch sprechen kann.
„Die Isel – Gletscherfluss in der Kulturlandschaft“ erweitert ganz bewusst den Blickwinkel von der rein ökologischen zu einer auch sozialen, kulturellen und damit ganzheitlichen Perspektive auf das, was unser Leben in der Region prägt und besonders lebenswert macht. Denkt man diesen umfassenden Ansatz weiter, dann ist ein Fluss wie die Isel weit mehr als eine große Menge Gletscherwasser, das tagtäglich an uns vorbeifließt.
Vor einem Publikum, das sich teils über Jahrzehnte auch für den Schutz der Isel und ihrer Zubringer vor zerstörenden Zugriffen stark macht, rannte der Tiroler Umweltanwalt deshalb mit einer Zukunftsvision offene Türen ein: „Für viele von euch hat die Isel eigentlich ein Wesen,“ erklärte Johannes Kostenzer, „das eben mehr ist als Wasser, das der Schwerkraft folgt.“
Deshalb möchte die Umweltanwaltschaft einen ambitionierten Prozess starten. Kostenzer: „Was bei so einem Prozess herauskommt, ist völlig offen. Es könnte ein anderer Blick auf die Isel sein. Es könnte ein Schritt sein, den Fluss als Gegenüber zu erkennen. Wir bemerken, dass auch andernorts der Stellenwert von Natur neu eingeordnet wird, dass nachgedacht wird über die Perspektiven einer Anerkennung von Rechten des Lebendigen. Viele Menschen lösen sich zunehmend von der Vorstellung, Natur und nichtmenschliches Leben seien lediglich Dinge oder verwaltungsrechtliche Sachen.“
„Für viele von euch hat die Isel eigentlich ein Wesen und ist deshalb eben mehr als Wasser, das der Schwerkraft folgt.“
Johannes Kostenzer, Tiroler Umweltanwalt
Kostenzers Vision klingt utopisch, ist aber in anderen Ländern für wertvolle Naturräume bereits Realität: „Einige von euch haben vielleicht schon davon gehört, dass es eine Eigenrechtsfähigkeit von Naturgebieten oder nichtmenschlichen Lebensformen gibt. Sie ist Ausdruck einer Veränderung, einer größeren Wertschätzung gegenüber der Natur. Wenn ich jetzt so an die Zukunft denke, womöglich wird die Isel irgendwann auch eine eigene Rechtsperson haben. Wer weiß.“
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