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Überfor­dert durch die Fülle des Möglichen?

Wir jungen Menschen sind zugleich Produkt und Konsumierende. Die Währung: Informationen und unsere Zeit.

Wir sind sie, die Jungen. Wir haben alles: Selbstbestimmung, Flexibilität und Freiheit, aber vor allem: die (Qual der) Wahl. Während die Generationen vor uns in der Regel klar strukturierte Lebenswege entlangtrotteten, laufen wir in Schlangenlinien einem Irrlicht nach dem anderen hinterher. Neben Ausbildung, Swipen, Selbstverwirklichung und -optimierung sollen wir im besten Fall auch noch mit existenziellen Problemen wie Klimawandel, Inflation und digitaler Transformation klarkommen.

Früher war das Berufsleben in vielen Fällen vorbestimmt, nicht selten schlug man denselben oder ähnlichen Berufsweg ein wie die Eltern und deren Eltern vor einem. Heute stehen uns die Türen sämtlicher Ausbildungsorte offen. Die Absolvierung einer Lehre bedeutet nicht zwingend, dass eine Hochschulausbildung zu späterem Zeitpunkt ausgeschlossen ist. Man muss nicht mehr zwingend in eine Akademikerfamilie hineingeboren sein, um studieren gehen zu können. Dennoch spielen sozioökonomische Hintergründe nach wie vor eine Rolle bei der Ausbildung junger Menschen in Österreich.

Das Bildungssystem ist mit seinen Einstiegs- und Weiterbildungsmöglichkeiten flexibler geworden und ermöglicht eine Vielfalt an Angeboten und Wegen. Dies ließe vermuten, dass wir klassische Strukturen hinter uns gelassen haben – zumindest in den Hörsälen der Universitäten, was jedoch zur Prämisse hat, dass man es in erster Hand dorthin schafft, denn zum Studieren gehört mehr dazu, als bloß im Vorlesungssaal zu sitzen. Man braucht schließlich nicht nur das Dach des Universitätsgebäudes über seinem Kopf. Bei der Vielzahl an (mehr oder weniger sinnvollen) Studiengängen kann man schnell die Orientierung verlieren und damit auch die Entscheidungsfähigkeit. Denn was will ich werden, wenn ich alles machen kann?

In der Entscheidungstheorie spricht man vom Auswahlparadoxon. Der Begriff lässt sich jedoch auch auf andere Lebensbereiche anwenden, in denen Menschen Entscheidungen treffen müssen. Im Allgemeinen beschreibt er die Überforderung durch eine Fülle an Optionen. Stehen zu viele Alternativen zur Verfügung, führt dies häufig zu Entscheidungsblockaden oder gar Entscheidungsverweigerung.

Ob vor dem Regal im Supermarkt, beim Online-Dating oder der Karriereplanung: Mehr Optionen müssen nicht zwangsläufig zu besseren oder einfacheren Entscheidungen führen. Früher oder später muss man sich jedoch für einen Weg entschließen und so inskribieren sich viele Studienanfänger:innen für ein Studium, bloß um an der Universität den nächsten logischen und oftmals einfacheren Schritt nach der Matura zu machen. Während der Vorlesungen, die sie dann im Laufe des Semesters besuchen, haben sie schließlich genügend Zeit, herauszufinden, was sie tatsächlich machen wollen und wofür sie insgeheim brennen.

Bleibt diese Erleuchtung aus, kann es schnell passieren, dass sie selbst mit dem Titel in der Tasche und dem Wissen, dass sie die Semester über gesammelt haben, sich nicht darüber im Klaren sind, wo sie beruflich landen wollen. Zumindest halten sie aber schon mal den Schlüssel für die nächste Türe auf dem Karriereweg in der Hand und manchmal findet man über Umwege genau an sein Ziel.

Nicht nur der Alltag, auch unsere intimsten Beziehungen sind durch Technologie und Kapitalismus geprägt. Foto: Dimitriy Shironosov /Alamy

Ebenso in unseren Händen: unser Smartphone. Vor ihm haben wir unsere Jugend verbracht, allerdings mussten wir unsere Zeit noch mit Facebook, Instagram und Snapchat verschwenden. Mittlerweile scheint sich die Distribution der Inhalte auf verschiedenen Social Media Plattformen kaum zu unterscheiden, denn sie sind überall: die Reels. In Häppchen ermöglicht das Format der, sagen wir, Kürzestvideos, (Un-)wissenswertes bequem konsumierbar zu machen, dabei scheint zu gelten: Quantität vor Qualität. Nicht selten fliegt man wie Alice durch Raum und Zeit und findet sich eine Stunde später inmitten des Rabbitholes wieder. Der zurückgelegte Weg ist meist schwer rekonstruierbar.

Mit der einfachsten Wischbewegung können Nutzer:innen einen Inhalt nach dem nächsten konsumieren und mühelos vom Ausgangspunkt abschweifen. Wir werden derart gefesselt, dass wir so viel Zeit wie möglich auf der App verbringen, denn damit generieren Soziale Plattformen ihren Gewinn. Wir sind Prosumer – Produkt und Konsumierende zur selben Zeit. Die Währung: Informationen und unsere Zeit.

Ohne es zu merken, verschwenden wir unsere Zeit mit Inhalten, die in den meisten Fällen inhaltslos sind.

„Das Opium des Volkes“ – was bei Marx die Religion war, sind heutzutage digitale Technologien. Ohne es zu merken, verschwenden wir unsere Zeit mit Inhalten, die in den meisten Fällen inhaltslos sind. Am Ende der Tage haben unsere Daumen hunderte Meter nach unten gescrollt, unsere Augen zahlreiche Reels gesehen und doch können wir uns an kein einziges (im Detail) erinnern. Wie paralysiert konsumieren wir in einer derartigen Geschwindigkeit, dass uns kaum Zeit zum Verarbeiten bleibt. Nicht nur unsere Lebenszeit, auch unsere Aufmerksamkeitsfähigkeit leidet darunter. Aber immerhin müssen wir uns dabei nicht mit unseren eigenen Gedanken beschäftigen! Das Format der Reels ist das perfekte Hilfsmittel zur Flucht vor der Realität.

Nicht nur der Alltag, auch unsere intimsten Beziehungen sind durch Technologie und Kapitalismus geprägt, so die Soziologin Eva Illouz. Dating Apps bilden den Gipfel des Eisbergs im unüberschaubaren Ozean der Konsequenzen der Moderne. Sie haben die Suche nach der einen Person in einen Marktplatz verortet, in dessen Rahmen die angeblich Suchenden sich strategisch präsentieren. Es scheint vielmehr darum zu gehen, sich selbst als begehrenswert zu positionieren, weniger darum, andere Individuen authentisch kennenzulernen. Wir sehnen uns danach begehrt zu werden, nach Anerkennung und Likes.

Oftmals dienen Dating-Apps einzig der Aufwertung des eigenen Egos. Viele Nutzer:innen suchen in den Matches Bestätigung. Das rechts oder links Swipen von Profilen wird dabei zum unterhaltsamen Zeitvertreib. Hierbei wird von der sogenannten ,Gamification‘ – dem Dating als Spiel – gesprochen. Wir arbeiten uns durch den Stapel an Karten, jede Präsentation einer anderen Person. Durch die omnipräsente Verfügbarkeit anderer scheinen zwischenmenschliche, romantische Beziehungen sich verändert zu haben. Der jungen Generation wird oftmals vorgeworfen, beziehungsunfähig zu sein. Verliebt ins Verliebtsein, von einem Bett ins andere, um alles wieder von Neuem zu erleben. Von allem alles, schnell und verfügbar – die Liebe als Konsumgut.

Kapitalistische Denk- und Handlungsmuster sitzen demzufolge nicht bloß in unseren Köpfen, sondern auch in unseren Herzen. Werden wir angesichts all dieser Beispiele zu Recht als lebens-, zukunfts- und beziehungsunfähig abgestempelt? Wir stehen, wie jede Generation vor uns, vor Krisen, die wir zu großen Teilen nicht selbst verschuldet haben. Wir blicken in eine Zukunft, von der wir nicht sicher wissen, ob die Menschheit sie überlebt. Eine Zukunft, die die Generationen vor uns beansprucht und verbraucht haben.

Bei all den Krisen unserer Zeit scheint es kaum verwunderlich, dass manche vor der Realität zu fliehen versuchen, indem sie sich hinter ihren Bildschirmen verstecken. Wenn wir diese Realität auszusprechen wagen, werden wir belächelt, beschimpft, kriminalisiert. Mit der Verabschiedung beruflicher Kontinuität und konservativer Beziehungssysteme versuchen wir, vorausgesetzte Wege infrage zu stellen und alte Muster aufzubrechen.

Ist das nicht allein schon ein radikaler Akt in einer Welt, die sich so verzweifelt an alte Lösungen klammert? Wir versuchen damit, uns eine Welt zu gestalten, die lebenswert ist. Wenn wir schon mit den Konsequenzen der Vergangenheit kämpfen müssen, wieso dann auch ein Leben lang mit den Entscheidungen, die wir als junge Erwachsene gemacht haben? Und zumindest eine Entscheidung wird getroffen: die Entscheidung, sich nicht zu entscheiden.

Lea-Sophie Franz studiert und arbeitet in Wien. Nach dem Abschluss in Germanistik studiert die Lienzerin derzeit Publizistik und Kommunikationswissenschaft. Sie schreibt für das Magazin Allerlei und für dolomitenstadt.at.

5 Postings

Bahner Bernd
vor 2 Wochen

Freiheit wozu und zu welchem Ziele ? Wenn Struktur und Orientierung verloren gehen verkommt diese zur grenzenlosen Beliebigkeit, offen für Manipulationen jeglicher Art. Ordnende Kräfte in den Sozial Media wie TikTok sorgen aber dann schon für die richtige Orientierheit. Nicht umsonst reüssieren FPÖ, AfD, Trump uä. bei der jungen Wählerschaft. Freiheit fußt notwendigerweise ua. auf dem rationalen Umgang mit Wissenschaft und Gesellschaftspolitik. Das alerte, undifferenzierte Abrufen und Inhalieren vorn Informationen ersetzt nicht den komplexen Prozess des Erkenntnisgewinnes. So sehr man jetzt auch die unendlichen Möglichkeiten zur Erfahrung und Entfaltung begrüßen möchte, auch neugierg was sich alles noch daraus entwickeln möchte, bleibt doch die Sorge einer völligen Disruption des Vermächtnisses der Aufklärung. Deren Prinzip blieb zumindest als Leitgedanke bis jetzt lebendig.

 
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    r.ingruber
    vor 2 Wochen

    Danke, lieber Herr Dr. Bahner, für ihre differenzieren Überlegungen und den nimmermüden Einsatz für das Projekt der Aufklärung. Hinsichtlich des gegenständlichen Beitrags sollte man aber im Auge behalten, dass die Autorin vor allem Studierende fokussiert, die bei weitem nicht ihre Generation repräsentieren.

    Dem Verlust von Struktur und Orientierung wäre ein Ziel und damit ein Handeln aus der Zukunft heraus entgegenzusetzen, das alle gleichermaßen betrifft: das Individuum u n d die "Generation". Wie Sie als Arzt sicher wissen, führt (mit oder ohne Klimawandel, mit oder ohne Aufklärung, mit oder ohne Nahrungsergänzunsmittel) zum Tod. Selten war dieser so allgegenwärtig wie heute, selten wurde er erfolgreicher verdrängt. Das ist d a s Generationenproblem!

     
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      Bahner Bernd
      vor 2 Wochen

      Sich resignativ bzw. fatalistisch der Ohnmacht angesichts scheinbar unvermeindlicher Unheile wie die Klimakatastrophe oder politischen Verwerfungen hinzugeben heißt das Leben nicht zu ergreifen und die Entscheidung ( ? ), nicht zu entscheiden dann folgerichtig ; diese wird dann schon jemand treffen. Das Leben zum Tode hin ist für jeden gewiss, trotzdem wird es, meist erwartungsfrohe in eine zu gestaltende Zukunft gelebt. Und Verdrängung ist ein Werkzeug unserer psychischen Hygiene. Ganz klar ist es mir noch nicht geworden : Zustandsbericht über die Verfasstheit der Generation Z oder Aufzeigen wie sich Leben trotz alledem gestalten läßt ?

       
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    r.ingruber
    vor 2 Wochen

    ... führt das Leben zum Tod, müsste es heißen!

     
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r.ingruber
vor 3 Wochen

Nach einigen Erkenntnissen, die auch einem, der altersmäßig der Großvater der Autorin sein könnte, geläufig sind, nimmt der Artikel in den letzten drei Absätzen so richtig Fahrt auf. Ich vergebe, um mich aufzuwerten, das einzig mögliche, dafür umso größere Like!

 
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