Zu Beginn des heutigen Gespräches ist der schnelle Herbsteinbruch Thema. Es geht natürlich nicht nur darum, aber Bernhard Grüner meint, dass seine momentan etwas gemischte Gefühlslage etwas damit zu tun haben könnte. Was ihn im grauen Herbstwetter aufmuntert? Das Gefühl, einen Meilenstein im Leben abgeschlossen zu haben. Welcher das ist, erzählt er mir in Heimweh 2.0.
Aber der Reihe nach. Bernhard ist in Sillian aufgewachsen, „also im obersten Oberland, das man sich vorstellen kann, wenn man die Seitentäler weglässt“, wie er augenzwinkernd erklärt. Nach der Schulzeit in Lienz zog es ihn für viele Jahre nach Innsbruck und schlussendlich nach Wien. Bei seinem ersten Heimweh-Interview vor fast sieben Jahren befand er sich gerade in einer Umbruchsphase, in der er aktuell wieder steckt. Mehr dazu später.
„Ursprünglich habe ich Lehramt in Innsbruck studiert und gegen Ende ein Unterrichtspraktikum in Wien absolviert. Danach war ich noch einmal für ein Verwaltungspraktikum beim Lawinenwarndienst des Landes Tirol, in Innsbruck angestellt.“ 2019 folgte gemeinsam mit seiner Partnerin der Versuch einer Weltreise. „Aufgrund von Covid-19 mussten wir die Reise leider vorzeitig abbrechen und sind dann nach Wien gezogen.“
Der Bezug zu seiner Heimat Osttirol hat sich in den letzten Jahren stark verändert, wie Bernhard erzählt. „Als ich noch in Innsbruck gelebt habe, waren die Wege noch kürzer. Zudem war ich daheim Mitglied einer Band, die ein zusätzlicher Grund für eine wöchentliche Heimreise waren.“ Bernhard war nicht nur musikalisch aktiv, sondern unterstützte auch andere Vereine ehrenamtlich. „Ich war Mitglied des Österreichischen Roten Kreuzes und des Kulturvereines ‚dieHitte‘. Der Verein hat sich leider aufgelöst und meine Tätigkeit beim Roten Kreuz habe ich aufgeben müssen, weil es für mich immer schwieriger wurde, regelmäßig Dienste zu übernehmen. Aber das Interesse ist nach wie vor da und ich könnte mir vorstellen, wieder zum Roten Kreuz zu gehen, je nachdem wo es mich hinverschlägt.“
Bei der Bergrettung ist Bernhard seit 2007 Mitglied und bis heute dabei. „Ich finde die Kombination aus am-Berg-sein und Leuten helfen einfach spannend. Was mich immer schon speziell interessiert, ist das Medizinische. Ich war von 2012 bis 2019 in der medizinischen Ausbildung der Bergrettung Tirol tätig. Dort war ich Teil eines Teams aus Notfallsanitäter:innen, Rettungssanitäter:innen und Ärzt:innen, das Tirols Bergretter:innen im medizinischen Bereich aus- und fortgebildet hat. Das war recht cool und hat sicher auch noch dazu beigetragen, dass mir die Bergrettung nach wie vor so wichtig ist.“
Nach dem Abschluss seines Lehramtsstudiums in Geografie und Physik blieb Bernhard dem universitären Umfeld durch eine gute Forschungsidee treu. Darauf gebracht hat ihn sein damaliger Diplomarbeitsbetreuer und jetziger Chef. „Da Forschungsstellen rar gesät sind, hat mir mein Chef geraten, einen Antrag beim Fond für Wissenschaft und Forschung (FWF) zu stellen. Einfach gesagt überzeugt man dabei ein Gremium von internationalen Gutachter:innen von einer innovativen Forschungsidee, deren Erkenntnisse einen Beitrag zu einem nachhaltigen Leben leisten können.“
Gesagt getan. Bernhard stellte im Sommer nach seinem Unterrichtspraktikum den Antrag. „Zuerst habe ich – auch aufgrund meiner wenigen Erfahrung – nicht an eine Bewilligung geglaubt, da maximal ein Drittel derartiger Anträge akzeptiert werden.“ Eineinhalb Jahre später, noch vor Antritt seiner Weltreise, erfuhr er dann von der Bewilligung seines Projektvorschlags. „Ich war komplett aus dem Häuschen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich für mich schon fix beschlossen, nach der Weltreise als Lehrer an einer Schule zu unterrichten (lacht: ohne verbittert zu sein, versteht sich). Auf einmal hatte ich dann aber durch diesen Antrag eine finanzierte Forschungsstelle, durch die ich jetzt auch meine Dissertation abschließen konnte. Die letzten vier Jahre seitdem waren eine sehr intensive Zeit, aber ich habe dieses Vertrauens-Geschenk immer zu schätzen gewusst.“
Zum Thema seiner Forschung hat sich Bernhard vor zwei Jahren bereits in einer Folge des Dolomitenstadt-Podcasts mit Gerhard Pirkner unterhalten. Hier fasst er den Forschungsfokus „New Highlanders“ zusammen:
Wer nun neugierig auf das Thema geworden ist, kann Bernhards Dissertation hier nachlesen. Im Juni dieses Jahres hat Bernhard seine Dissertation über den Zuzug ins Hochgebirge sowie den Quereinstieg in die Berglandwirtschaft abgegeben und somit sein Doktoratsstudium abgeschlossen. Aktuell ist er noch über das beantragte Forschungsprojekt an der Universität Innsbruck angestellt. „Hier unterscheidet man das Dienstverhältnis vom Ausbildungsverhältnis. Das Dienstverhältnis läuft noch ein paar Monate, für die Zeit danach bin ich mir noch nicht ganz sicher.“
In der Wissenschaft zu bleiben ist für Bernhard eine von mehreren Möglichkeiten. „Ich weiß, dass meine Anstellung und der bewilligte Forschungsantrag wahnsinniges Glück und ein großes Privileg gewesen sind.“ Ob das ein zweites Mal möglich ist, weiß Bernhard nicht. „Daher schaue ich mich gerade sowohl im universitären Umfeld als auch in Unternehmen, mit Forschungszweigen um.“
„Ich bin viel entspannter als nach meiner Studienzeit in Innsbruck. Mir macht die Zukunft nicht mehr so Angst, ich habe mehr innere Ruhe gefunden.“
Mit einem Doktortitel gilt man außerhalb der Wissenschaft oft schnell als überqualifiziert, dennoch ist für den gebürtigen Sillianer auch eine Rückkehr ins Klassenzimmer nicht ausgeschlossen. „Mit meinem Physik-Studium habe ich sicher einen Vorteil gegenüber anderen Fächern, weil das recht gefragt ist.“ Spruchreif wird seine Entscheidung aber erst im kommenden Jahr, erklärt Bernhard. Trotz der erneuten Umbruchsphase fühlt sich Bernhard gesettled: „Ich bin viel entspannter als nach meiner Studienzeit in Innsbruck. Mir macht die Zukunft nicht mehr so Angst, ich habe mehr innere Ruhe gefunden.“
In seiner Freizeit widmete sich Bernhard auch dem Schreiben, wenn auch auf eine andere, kreative Art und Weise, als sie an einer Universität üblich ist. „Ich habe eine Zeit lang an Poetry-Slams teilgenommen. Mein letzter Auftritt war aber 2019 im Vitalpinum in Thal.“ Auf das Slammen ist Bernhard durch den Kulturverein „dieHITTE“ gestoßen. „Damals haben wir immer wieder Veranstaltungen gemacht und eine Art Gegenkonzept zu klassischen Veranstaltungen am Land ausprobiert. Eine Freundin aus dem Verein hat dann unter anderem einen Poetry-Slam organisiert. Da sich nur schwer Teilnehmer:innen gefunden haben, haben ich und die Leute vom Verein herhalten müssen. Warum auch immer, habe ich diesen ersten Slam gleich gewonnen. Ich weiß auch nicht, wie das funktioniert hat (lacht).“
Bernhard schloss sich daraufhin in Innsbruck dem Verein „SPOT – Slam Poetry Tirol“ an. „Die wahnsinnig feinen Menschen wurden zu meiner ‚Slamily‘“, erinnert sich Bernhard. Mit ihm damals aktiv waren bekannte Namen der Szene wie Martin Fritz, Stefan Abermann und Katrin Rauch (Katrin ohne H). „Damals hatte ich gerade eine schwierige Studienphase, in der mich alles ein bisschen runtergezogen hat. Da kam die herzliche Aufnahme genau richtig!“
Das kreative Schreiben war immer schon ein guter Ausgleich zu dem wissenschaftlichen Schreiben. „Das hat sich gegenseitig befruchtet. Ich habe dann auch beim Verfassen meiner Diplomarbeit nie eine arge Schreibblockade gehabt, weil ich in solchen Phasen einfach an Slamtexten geschrieben habe. Leider ist dieses Hobby jetzt ein bisschen abgetaucht und wurde von meiner neuen Band abgelöst- diese nimmt sehr viel Freizeit in Anspruch.“
Es ist schon cool für den Geist, wenn man immer wieder mal auf Berge kommt und sprichwörtlich einen Überblick erhält.
An seiner Heimat vermisst Bernhard vor allem den mit den Bergen verbundenen Sport. „Du kannst dort echt allein sein und so eine Ruhe haben, auch vor der Stadt. Es ist schon cool für den Geist, wenn man immer wieder mal auf Berge kommt und sprichwörtlich einen Überblick erhält. Man schaut von oben herunter auf die schnelllebige Welt und erhält so viel Kraft für den Alltag. Leider geht sich das bei mir nicht mehr so oft aus, wie ich eigentlich möchte.“
Zukünftig möchte er seine Leidenschaften – das Surfen und Reisen – weiter ausbauen. „Ich kann noch nicht gut surfen, aber ich probiere es immer wieder. Mein Ziel ist, den Sport so zu beherrschen, dass ich mich ohne fremde Hilfe nicht selber in Gefahr bringe (lacht).“ Auf Bernhards Plan steht daher eine längere Reise mit vielen Surfstunden und Einblicken in die dortige Kultur. Das Reisen reizt ihn auch ohne Surfbrett. „Ich möchte unbedingt auch einmal weiter weg, beziehungsweise mal außerhalb von Österreich leben, auch wenn es nur für ein paar Monate ist. Ich habe nie ein Auslandssemester gemacht, da es sich vom Studium her nicht ohne größere Studienzeitverluste ausgegangen ist.“
Bernhard möchte einen Job finden, bei dem die Work-Life-Balance („auch, wenn das Wort so abgedroschen klingt, passt es sehr gut“) stimmt. „Ich möchte, dass mir meine Arbeit Spaß macht, bei der ich nebenher viel Zeit habe, andere Sachen zu unternehmen und mich weiterzubilden.“ Die Entscheidung, nach dem Lehramtsstudium nach Wien zu gehen, ist Bernhard besonders im Kopf geblieben. „Ich war schon immer ein sehr Tirol-fixierter Mensch, habe aber immer den Wunsch gehabt, einmal in die Bundeshauptstadt zu ziehen.“ Ein Schritt weit aus seiner Komfortzone hinaus. „Auch, dass ich mir zugetraut habe, damals diesen Förderantrag zu schreiben, war ein großer Meilenstein.“
Auch die Weltreise (wenn auch gezwungenermaßen in verkürzter Version) ist im Kopf geblieben. „Bis zum Ausbruch der Covid-Pandemie waren meine Freundin und ich mit einem Working-Holiday Visum in Neuseeland, das war wahnsinnig cool. Wir hatten einen eigenen Campingbus und arbeiteten für längere Zeit bei einem Imker und Bienenzüchter. Das werde ich nie vergessen.“
Abschließend wird auch Bernhard nach einem Ratschlag an sein damaliges Ich gefragt. Die Antwort folgt prompt und mit Musikempfehlung. „Cool bleiben! Es gibt ein Songzitat, das mir dazu einfällt: ‚Das Wichtigste ist cool bleiben‘ von Rebel Musig. Wer mich kennt wird sicher die Augen verdrehen, wenn das am Ende des Textes steht, denn dieses cool bleiben kann ich eigentlich nicht immer gut (lacht).“
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