Ein Martiniglas, darin eine Olive, mutet, verdoppelt und schwarzweiß von oben abgelichtet, an wie ein Augenpaar. Gedruckt, gerahmt und an die Wand gehängt wird der profunde Blick ins Glas zu einem aus dem Glas heraus. Weitere Male vervielfacht, dazu reziprok verkleinert, aufgefädelt in Bildern gleichbleibenden Formats und dort kombiniert mit Punkten, lässt die Serie „Yeux“ (Augen) im Lienzer RLB-Atelier so etwas wie Unendlichkeit erahnen.
Man ist versucht, einen Algorithmus aus dem Muster abzulesen, und es ist auch einer: ein Regelwerk, das man auch klatschen könnte, das jedoch kaum den uns vertrauten Rhythmen gleichkommt. Der Code ist in nichts zurückzuübersetzen, das außerhalb des Visuellen liegt. „Meine Arbeit hätte etwas Mathematisches, meinte einmal mein Professor“, schmunzelt Stephanie Stern, die an der Akademie der bildenden Künste in Wien bei Martin Guttmann, der selbst Mathematiker ist, studiert hat.
„Meine Arbeit hätte etwas Mathematisches, meinte einmal mein Professor.“
Stefanie Stern
Sterns Medium ist die Linie. Etymologisch ist diese vom lateinischen Wort für Leinen, „linea“, abzuleiten. Das heißt, ihr angestammtes Feld ist nicht so sehr die Zeichnung oder die Schrift, vielmehr das Gewebe. Darin wird sie zum Faden, der, von links nach rechts geführt, Zeile für Zeile zwar auf ein Ziel gerichtet ist, doch niemals an sein Ende kommt. Es sei denn, man schneidet ihn ab.
Der Ab- oder Ausschnitt begründet den Kompromiss, den die Wirklichkeit mit ihrem Abbild eingeht, egal, ob dieses – wie in der Fotografie – klassisch-perspektivisch oder – wie u. a. in der Musik – seriell daherkommt. Der Teil steht für das Ganze und der Künstler vor der Frage, wie dieses Ganze denn zu teilen sei: Durch die drei Bahnen Awagami Kozo beispielsweise, einem geschmeidigen Naturpapier aus Japan, das mit dem Tang aus Laminaria Algen eine wellenförmige Bewegung und das Durchscheinen von Licht und reinem Wasser evoziert.
„In meinen Bildern reflektiere ich, wie diese Prozesse nicht nur die Art und Weise beeinflussen, wie wir die Welt wahrnehmen, sondern auch, wie wir in ihr existieren“, macht die aus Tarrenz stammende Künstlerin die Grenzziehung davon abhängig, ob sie sich selbst innerhalb oder außerhalb der von ihr dargestellten Welt wahrnimmt. Die traditionelle abendländische Bildauffassung baut sich die Welt üblicherweise vor dem Auge der Kamera auf und das Bild gibt Auskunft darüber, aus welchem Blickwinkel solches geschah.
Jeder andere Zusammenhang, der einer Ausstellung zum Beispiel, zieht eine radikale Änderung dieses Blickwinkels nach sich, ja er macht das Bild erst als solches erkennbar. Dort aber, wo die Grenzen zwischen Bild und Wirklichkeit verschwimmen, muss auch das Seherlebnis ständig kippen. Neben der Homogenisierung von Material-, Größen- und Distanzunterschieden sowie der Annäherung von Fläche und Raum, der Einebnung der Dimensionen durch das Bild, bieten die Werke Stephanie Sterns eine Reihe von Strategien um Grenzfragen à la: „Sind Schwämme Gegenstände oder Lebewesen?“, „Gehört die Butter stehend oder liegend ins Regal?“ aufzuwerfen.
Für die ehemalige Schülerin Anja Manfredis an der „Schule Friedl Kubelka für künstlerische Photographie“ bedeutet „Sowohl als auch“ jedes Mal eine glasklare Entscheidung. Denn erst das Zusammenklingen von Gegensätzen erzeugt Neues, das ohne die künstlerische Intervention weder zu erwarten noch ausrechnen war.
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