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Je länger man lebt, desto knapper wird die Zeit

Diesem Dilemma kann man durch Nahrungsergänzungsmittel ein Schnippchen schlagen.

Der katholische Eschatologe Gisbert Greshake führt die Popularität fernöstlicher Reinkarnationslehren auf die von ihnen in Aussicht gestellte Möglichkeit, zu Lebzeiten nicht erledigte Dinge in einem der folgenden Leben vollenden zu können, zurück. Je älter man wird, desto knapper wird die Zeit für das, was im Leben zählt: Seine Memoiren zu schreiben oder zumindest die gesammelten Werke um die ersten zwei Bände zu ergänzen, sich mehr bewegen und ausgewogen ernähren, um bei der vierteljährlichen Vorsorgeuntersuchung keine unliebsamen Überraschungen zu riskieren, man soll zur Massage, zur Pediküre und zum Frisör.

Wenn der Terminkalender es zulässt, sollte man nicht nur den eigenen Körper, sondern auch die ohnehin immer weniger werdenden Beziehungen pflegen. Das geht natürlich am besten in einem menschlichen Körper, obwohl für so manche Beziehung zu seinen Mitmenschen der eines Blutegels oder einer Schmeißfliege unbestritten genügte. In der europäischen Spielart des Buddhismus jedoch wird die Wiedergeburt auf einer unterhalb des Homo sapiens gelegenen Stufe der Nahrungspyramide strikt abgelehnt. Was aber bleibt einem Katholiken? Schließlich werden im schultheologischen Traktat „De Novissimis“ die unwiderruflich letzten Dinge behandelt.

Also müssen Katholiken danach trachten, den physischen Tod zu vermeiden bzw., positiv formuliert, das eigene Leben mit allen Mitteln in Ewigkeit zu verlängern. Mit gesunder Ernährung ist da nichts getan, denn nicht vom Brot allein lebt der Mensch, auch nicht vom Vollkornbrot, und müssen gläubige Katholiken, um ewig zu leben, bekanntlich zunächst einmal sterben. Bisher. Wie man neulich auf Dolomitenstadt ausführlich nachlesen konnte, ist es der medizinischen Forschung gelungen, diesem Dilemma durch Nahrungsergänzungsmittel ein Schnippchen zu schlagen.

Selbstoptimierung liegt im Trend. Innerlich und äußerlich. Da geht noch was! Foto: Ingruber

Magnesium, Zink, Omega-3, Prä-, Pro- und Antibiotika, Proteinpulver, Folsäure und Melatonin sind Substanzen, die zwar der menschliche Geist, nicht aber der menschliche Körper und wenn, dann nur in unzureichendem Maße selbst herstellen kann. Natürlich ist die Feststellung des individuellen Bedarfs und nach Möglichkeit auch der Vertrieb solcher Supplements den Fachärzten vorzubehalten. 

Ein Missbrauch von Kreatin, gewöhnlich unter der Handelsbezeichnung „Maggi Würfel“ verabreicht, führt beispielsweise zum Kretinismus, wie man an etlichen Bodybuildern nachweisen konnte. Gottseidank neigt die Industrie immer mehr dazu, traditionelle Nahrungsergänzungen mit Aufschriften à la „Ero mors tua – ich werde dein Tod sein!“ zu kennzeichnen, während moderne Produkte nicht mehr den Konsumenten, sondern nach Hosea 13, Vers 14 dessen Tod adressieren: „Ich werde dein Tod sein, o Tod!“

Verwirrend aber bleibt die Semantik, welche die menschliche Existenz auf ein Besitzverhältnis zurückführt: mein Leben, mein Tod. „Mein Körper gehört mir“, lauten das Motto der Frauenbewegung und der Titel eines theaterpädagogischen Kinderprogrammes, welches „meinen Mund, meine Beine, meinen Po” der Begierde anderer entzieht und zum Objekt der eigenen Begierde macht. Eine Antwort auf die Frage, was den neuen Besitzer nun ausmacht, wird keine gegeben. Geschuldet ist dieser Zwiespalt nicht zuletzt der methodologischen Trennung zwischen Körper und Geist, die den Zugriff der Medizin erst ermöglicht. Nicht von ungefähr wird der Besitzanspruch erstmals beim Doktorspiel formuliert.

Am Anfang schwebt der Geist Gottes über den Wassern, am Ende schwebt der Geist des Verstorbenen über dem Bett. Und er schaut auf den leblosen Körper herab. Wie ist das möglich, wo doch die Augen und, falls vorhanden, auch das Gehirn Teile des Körpers und folglich mit diesem verstorben sind?

In den letzten Jahren wurden in den sozialen Netzwerken massenhaft Nahtoderfahrungen publiziert, so dass das Phänomen längst aus dem episodischen Gedächtnis des Einzelnen in ein kollektiv zugängliches Weltwissen gedrungen ist – verstärkt durch zahlreiche Beiträge von Medizinern, Naturwissenschaftlern, Philosophen und Theologen, welche als Forschergemeinschaft zu begreifen allein zueinander teilweise in heftigem Widerspruch stehende Interessen und Ergebnisse hindern. Konsens herrscht lediglich darüber, dass die Nahtoderfahrung und ihre Bedeutung für das Leben der Betroffenen weder geleugnet noch wissenschaftlich hinreichend erklärt werden können.

Im Umgang mit diesem Rätsel hält der katholische Theologe Godehard Brüntrup SJ drei Strategien für gangbar: erstens die Hoffnung, das Phänomen doch noch im Rahmen des aktuellen, freilich zur Hauptsache neurowissenschaftlich determinierten Weltbildes in den Griff zu bekommen, zweitens einen wohl im Anschluss an den niederländischen Kardiologen Pim van Lommel zu vollziehenden Paradigmenwechsel, der Subjektivität und Bewusstsein anderswo als in den neuronalen Netzwerken sucht, und drittens das Eingeständnis, dass die Aufklärung des Gehirn-Geist- Verhältnisses, das er übrigens kommentarlos mit dem Leib-Seele-Verhältnis identifiziert, dem menschlichen Verstand grundsätzlich versagt bleiben muss.

Ich habe jetzt aufgehört, Sport zu betreiben, ausgiebig zu schlafen, mich cholesterinarm und ballaststoffreich zu ernähren. Und ich habe sämtliche Nahrungsergänzungen abgesetzt. Denn wenn, wie es aussieht, Andreas Babler tatsächlich Regierungschef wird, müsste ich am Ende noch Vermögenssteuer für meinen Luxuskörper abliefern. Andererseits würde ein Kreuz für Schwarzblau mit der Senkung der Körperschaftssteuer belohnt, aber daran glaube ich nicht so recht. Viel eher würden sie meinen Körper als Vorwand für die Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters benutzen. Vor allem aber möchte ich mir von niemandem vorwerfen lassen, mit 105 Jahren zu jung verstorben zu sein.

Rudolf Ingruber ist Kunsthistoriker und Leiter der Lienzer Kunstwerkstatt. Für dolomitenstadt.at verfasst er pointierte „Randnotizen“, präsentiert „Meisterwerke“, porträtiert zeitgenössische Kunstschaffende und kuratiert unsere Online-Kunstsammlung.

5 Postings

isnitwahr
vor 2 Wochen

"je länger man lebt, desto knapper wird die Zeit" - oder vielleicht lieber: "wer früher stirbt ist länger tot" (kann auch ob der Einnahme vieler unnützer Mittelchen passieren ....)

 
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r.ingruber
vor 2 Wochen

Vielen Dank! Vielleicht wäre es besser, mein schwebender Körper könnte mich über so manche geistige Unzulänglichkeit hinwegtragen. Nur weiß ich eben nicht, wie ich die beiden auseinanderbekomme. Die Theologie spricht da auch vom "Leib".

 
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    Bahner Bernd
    vor 2 Wochen

    Levitation wird von Maharishis Sekte " Transzendentale Medidation " , gelehrt , mehr als zum Hüpfen reichts bei den meisten Adepten allerdings nicht. Der Guru selbst soll das Schweben seines Körpers mühelos beherrscht haben , hat dies allerdings aus Bescheidenheit nie öffentlich demonstriert. Vielleicht sollte man dort einmal nachfragen. Eine scharfe Trennung von Körper und Geist scheint aber auch nicht garantiert.

     
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      r.ingruber
      vor 2 Wochen

      Levitation ist eine zutiefst katholische Domäne: die hll. Franz v. Assisi, Katharina v. Siena, Filippo Neri, Theresia v. Avila u. v. m. sollen sie beherrscht haben. Was die Augenzeugen zuvor an verbotenen Substanzen geschluckt haben, ist nicht bekannt.

       
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Bahner Bernd
vor 3 Wochen

Genial ! Erstaunlich, was so eine kleine Diskussion über Nahrungsergänzungsmittel an geistiger Brillianz freisetzen kann. Der Geist r.ingrubers schwebt nicht nur hellsichtig über den Wassern, sondern kann ihn vielleicht auch über so manche physische Unzulänglichkeit hinwegtragen. Trotzdem würde ich das " mens sana in corpore sano " nicht ganz aus den Augen verlieren. Das Leib-Seeleproblem wird sich wohl für uns immer einer deterministisch-mechanistischen Interpretation entziehen. Für uns Abendländer, einem Zeitpfeil folgend, ist auch die Reinkarnation ( Samsara ) kein rechter Trost, soll sie doch nur dazu dienen ( nach unzähligen Durchläufen ) unser Karma letztlich auf moralischen Höchststand zu bringen, und zur Erkenntnis von der Müßigkeit menschlichen Begehrens.

 
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